Radikales Jugendporträt
28. November 2009Oshima Nagisa gilt als führender Regisseur der japanischen "Nouvelle Vague". Auch wenn dieser Ausdruck in erster Linie für die stilistischen und thematischen Neuerungen im französischen Film Ende der 1950er Jahre geprägt wurde, ist die Bezeichnung nicht ganz falsch. Oshimas vierter Film, "Das Grab der Sonne", der jetzt eine 22teilige DVD-Edition zum japanischen Kino eröffnet, ist ein gewalttätiges Jugenddrama voller Energie und Dynamik.
Brüder im Geiste: Pasolini und Oshima
Doch erinnert "Das Grab der Sonne" auch an andere Klassiker des europäischen Kinos. Vor allem Pier Paolo Pasolinis berühmter Film "Accattone" fällt einem dabei ein. Der schonungslose Blick Oshimas auf die jugendlichen Bewohner eines riesigen Slums ist voller schockierender Härte - und noch unerbittlicher als der des Italieners. Der Überlebenskampf der jungen Männer, die kriminelle Energie, die Brutalität, die auch den eigenen Körper nicht schont, das alles erinnert deutlich an das von Pasolini so bezeichnete "Subproletariat" in den Vorstädten Roms.
Handel mit Blut
Bei Oshima wird mit menschlichem Blut ein schmutziges Geschäft betrieben. Dabei spielen auch die Frauen eine entscheidene Rolle. Die Dialoge der Protagonisten sind roh und werden von den Darstellern maschinengewehrartig ausgestoßen. Diebstahl, Drogen, Prostitution, Mord und Selbstmord bestimmen den Alltag in den Slums. Gefühle werden ignoriert. Und wenn einer von Oshimas Antihelden solche Gefühle doch an den Tag legt, ist er erst Recht dem Untergang geweiht.
Pessimistisches Milieudrama
Der japanische Regisseur hat "Das Grab der Sonne" als düsteres Jugenddrama inszeniert, allerdings mit dem leuchtenden Rot des Blutes und den dramatischen Farben des Himmels: "Ein wütender Film, dessen unheilvolle Symbolik und schonungslose Darstellung von der großen Kunstfertigkeit Oshima Nagisas zeugen: Im Land der aufgehenden Sonne befindet sich gleichzeitig auch ihr Grab." (Florian Widegger im DVD-Booklet)
Einblicke in unbekannte Kinowelten
"Das Grab der Sonne" eröffnet eine 22teilige Reihe mit Werken des japanischen Kinos. Außer vier Filmen Oshimas erscheinen in den kommenden zwei Jahren jeweils mehrere Werke der Regisseure Nomura Yoshitaro, Kinoshita Keisuke und Ozu Yasujiro. Für den deutschen Zuschauer ergibt sich die einmalige Chance diese hierzulande selten gezeigten Meisterwerke geschlossen zu sehen. Das japanische Kino in all seinen Verzweigungen harrt hierzulande noch seiner Entdeckung.
Japanische Meisterregisseure (22 DVDS), jede DVD ist auch einzeln erhältlich (19,90 Euro), Poly Film Video 2009. "Das Grab der Sonne" erschien als erster Teil der Edition. Es folgt Oshimas "Sing a Song of Sex".
Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Conny Paul