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Politik

Blutige Rache in Mossul

18. Juli 2017

Nach der Eroberung Mossuls kommt es in der Stadt zu Folter und Massenhinrichtungen von IS-Kämpfern und deren Familien. Die Regierung in Bagdad schaut weg. Auch die Anti-IS-Koalition unternimmt offenbar nichts dagegen.

Irak Kampf um Mossul gegen den IS
Bild: Getty Images/A. Al-Rubaye

Gehört die mittlerweile 16-jährige Linda W. aus dem sächsischen Pulsnitz zu der Gruppe von ausländischen IS-Kämpferinnen, die vergangene Woche von irakischen Anti-Terror-Einheiten in Mossul festgenommen wurden? Die Informationen dazu sind widersprüchlich. Fest steht nur: Wenn sie festgenommen wurde, kann sie von Glück reden, dass sie noch lebt.

Nicht allein, weil zumindest einige der Frauen aus der 20-köpfigen Gruppe Sprengstoff-Gürtel trugen. Nicht allein, weil nach neuesten Zahlen der Nichtregierungsorganisation "Airwars" mindestens 2000 Menschen nur durch die Bombardierungen der Anti-IS-Allianz getötet wurden. Sondern auch, weil die irakischen Streitkräfte nach glaubwürdigen Berichten nicht nur gefangene IS-Kämpfer foltern und hinrichten, sondern auch deren Familien.

Leichen im Fluss

Das behauptet zumindest Microblogger "Mosul Eye" auf Twitter. Schon zu Zeiten der IS-Herrschaft über Mossul hatte "Mosul Eye" unter großem persönlichen Risiko Informationen aus der Millionenstadt am Tigris verbreitet. Zu Wochenbeginn veröffentlichte "Mosul Eye" nun einen verstörenden Twitter Feed mit 38 Einzeltweets. Darin wirft er den irakischen Sicherheitskräften vor, alle noch in der Altstadt von Mossul angetroffenen Zivilisten als IS-Angehörige anzusehen - und sie in Massenhinrichtungen zu exekutieren. Ein Grund laut "Mosul Eye": Es habe keinen Plan gegeben, wie mit den Familien von IS-Angehörigen zu verfahren sei. Über soziale Medien verbreitete Videos von Hinrichtungen und Folterungen von Kriegsgefangenen lassen zumindest den Schluss zu, dass im Häuserkampf um die Altstadt von Mossul nicht nur ganze Straßenzüge zerstört wurden, sondern dass auch die Regeln des Völker- und des Kriegsrechts missachtet werden. Der britische Guardian berichtete schon am Samstag von zahlreichen Leichen, die stromabwärts von Mossul im Tigris treiben.

Racheakte gegen mutmaßliche IS-Angehörige und deren Familien waren am Montagabend auch Thema im UN-Sicherheitsrat. Der Sonderbotschafter der Vereinten Nationen für den Irak, Jan Kubis, drückte in New York seine Besorgnis aus wegen einer "wachsenden Stimmung für kollektive Bestrafung von Familien, die mit Daesh (IS) assoziiert werden".

Täter gehen offen vor

Belkis Wille von Human Rights Watch (HRW) kann das bestätigen. Die Irak-Expertin schreibt in einer Mail an die DW, zahlreiche Zeugen von der Front hätten ihr detailliert Hinrichtungen und Folterungen von IS-verdächtigen geschildert. Besorgt ist Wille vor allem wegen einer Änderung der Stimmung: Die irakischen Streitkräfte hätten nicht mehr das Gefühl, ihre Taten verheimlichen zu müssen.

Umgekehrt, schreibt die HRW-Expertin weiter, habe sie noch keinen einzigen Regierungsbeamten in Bagdad getroffen, der sich für eine ernsthafte Untersuchung der Vorfälle ausgesprochen hätte. Ein Berater des irakischen Ministerpräsidenten Haider Al-Abadi habe noch am 14. Juli Human Rights Watch auf Anfrage mitgeteilt, die Regierung werde Maßnahmen gegen die betreffenden Offiziere verkünden. Das werde aber erst später geschehen, weil das die "derzeitigen Glückwunsch-Botschaften über den Sieg stören würde", wie Wille den Beamten zitierte.

Gefährliche Befreier: Manche irakische Soldaten dürsten offenbar nach Rache und missachten das RechtBild: Getty Images/AFP/A. Al-Rubaye

Wille selbst kennt kein einziges Beispiel dafür, dass jemand wegen Folter, Mord oder außergerichtlichen Hinrichtungen zur Verantwortung gezogen worden wäre. Sie betont, die Befreiung Mossuls sei eine gemeinsame Operation des irakischen Militärs und der US-geführten Anti-IS-Allianz. Die Koalition müsse daher sicherstellen, dass die Truppen, die sie mit Luftschlägen unterstützt, sich an das Kriegsrecht halten. Die Koalition dürfe keine Luftunterstützung für Kriegsverbrechen leisten.

Null-Toleranz-Politik des irakischen Militärs?

Ein Sprecher der Operation "Inherent Resolve" erläuterte der DW, die Koalition könne den Wahrheitsgehalt der Berichte nicht überprüfen. HRW hatte da mit Satellitendaten bereits den genauen Standort einer Hinrichtung ermittelt, wo Soldaten einen Gefangenen erst schlagen und dann eine Klippe hinab werfen. In dem Video schießen sie auf einen weiteren Mann, der schon am Boden liegt.

Immerhin ließ der Militärsprecher wissen, jede Verletzung des Kriegsrechts sei inakzeptabel und müsse gründlich und auf transparente Weise untersucht werden. Im Übrigen habe Ministerpräsident Abadi eine "Null-Toleranz-Politik gegenüber Verfehlungen der irakischen Streitkräfte" angekündigt. Zudem sei eigens eine Kommission zur Untersuchung der Vorfälle ins Leben gerufen worden.

Ob diese Kommission großen Eindruck gemacht hat? Renad Mansour vom britischen Think Tank "Chatham House" attestiert den irakischen Streitkräften ein Gefühl von Straflosigkeit. Dazu komme, sagt der Irak-Experte im DW-Interview, dass die ganze Idee der Herrschaft des Rechts verschwommen sei. Mansour analysiert: "Es handelt sich um eine extrem traumatisierte Gesellschaft ohne solide Rechtsinstitutionen, um Wahrheit und Versöhnung herzustellen." Die Soldaten glaubten, als einzige für Gerechtigkeit sorgen zu können, weil das Justizsystem mangelhaft ist.

Microblogger "Mosul Eye" sieht eine düstere Zukunft voraus: "Dieses Chaos zerstört den Ruf der irakischen Streitkräfte. Es wird dem IS direkt zugute kommen und die Zukunft Mossuls nach dem IS schwer belasten."

 

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