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Politik

Brutale Polizeigewalt gegen Nawalny-Anhänger

Elena Barysheva
26. Januar 2021

Die Solidaritätskundgebungen für Alexej Nawalny vergangenes Wochenende waren die größten seit Jahren. Es gab auch so viele Festnahmen wie schon lange nicht mehr. Opfer von Polizeigewalt berichten von ihren Erlebnissen.

Russland Moskau Navalny Protestaktion
Bild: Alexey Maishev/Sputnik/dpa/picture alliance/

Am Wochenende haben Menschen in 125 russischen Städten gegen die Inhaftierung des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny protestiert. Bei Kundgebungen demonstrierten sie ihre Unterstützung für den Gründer des Fonds zur Bekämpfung von Korruption (FBK). Nawalny war unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Deutschland am 17. Januar festgenommen worden und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.

Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation OWD-info wurden bei den von den Behörden nicht genehmigten Kundgebungen am Samstag (23.01) mindestens 3711 Personen festgenommen, mindestens 15 Strafverfahren laufen bereits. Viele der Festgenommenen befinden sind noch in Polizeistationen oder stehen schon vor Gericht. Dutzende Menschen wurden verletzt, eine Frau wurde durch einen Tritt in den Bauch von einem Polizisten so schwer verletzt, dass sie jetzt auf der Intensivstation behandelt wird. Demonstranten, die an der Kundgebung in Moskau teilnahmen und inzwischen wieder auf freiem Fuß sind, haben mit der DW über ihre Erlebnisse gesprochen.

Festnahmen auf dem Puschkin-Platz

Die 21-jährige Irina wurde gleich zu Beginn der Kundgebung auf dem Puschkin-Platz im Zentrum von Moskau festgenommen und zu einem Gefangenentransporter gebracht. Zu der Aktion war sie gezielt gekommen, aber sie trug keine Plakate bei sich. "Ich stand ruhig da, habe nichts gemacht, nur vielleicht ein paar Mal etwas skandiert. Als die Festnahmen begannen, geriet ich zwischen die Fronten. Ich wurde nicht geschlagen, aber festgehalten. Ich versuchte mich zu befreien - doch vergebens. Dabei verletzte ich mich leicht an der Hand. Als ich zu dem Gefangenentransporter abgeführt wurde, war das sehr beängstigend. Aber später habe ich mich beruhigt", erinnert sich Irina.

Demonstranten fordern Freiheit für Alexej NawalnyBild: Kirill Kudryavtsev/AFP

Zusammen mit anderen Festgenommenen wurde sie zur Polizeistation im Moskauer Bezirk Twerskoj gebracht. Erst wurde ihr das Handy abgenommen, dann sollte sie ein Protokoll unterschreiben, in dem ihr "geringfügiges Rowdytum" und "die Teilnahme an einer nicht genehmigten Kundgebung" vorgeworfen wurden. Doch Irina lehnte dies ab. So kam sie erst gegen 20 Uhr frei. Von einem Prozess oder einer Strafe war zu dem Zeitpunkt nicht mehr die Rede. "Ich rief sofort einen Freund an und bat ihn, mich abzuholen. Ich weiß nicht, ob man mich noch bestrafen wird", so die junge Frau.

"Angst hatte ich keine"

Die Geschwister Dimitri und Warja Kojfman nahmen gemeinsam an den Protesten teil. Der 28-jährige Kameramann und die 24-jährige Regisseurin versuchten, einander während der gesamten Kundgebung an der Hand festzuhalten. "Wir hatten ausgemacht, sollte es zur Festnahme kommen, dann würden wir zusammen in den Gefangenentransporter steigen", sagt Warja.

Erst waren sie auf dem Puschkin-Platz. Als die Polizeikräfte die Demonstranten von dort vertrieben, gerieten sie auf dem Strastnoy-Boulevard. "Wir waren ganz vorne, als die Menschenmenge von Polizisten eingekreist wurde. Ich habe alles mit meinem Handy gefilmt. Angst hatte ich keine", erinnert sich Dmitri. Ihm sei klar gewesen, sollte er Schläge abbekommen, würde dies weh tun, aber auch wieder vorbeigehen. Ihm sei wichtiger gewesen, vor Ort zu sein und nichts zu verpassen.

Dmitrij bei der Demo zur Unterstützung von NawalnyBild: Privat

Danach gingen die Geschwister zum Trubnaja-Platz, der in 15 Minuten zu Fuß erreichbar war. Spezialkräfte kamen ihnen von dort entgegen gelaufen. Dmitri war klar, dass man ihn nun festnehmen würde. Schnell ging er zur Absperrung. Mit einer Hand klammerte er sich dort fest während er mit der anderen sein Handy in die Tasche steckte, um es nicht zu verlieren. Dmitri wurde zum Gefangenentransporter gezerrt, wobei seine Jacke zerrissen wurde. Dann wurde er durchsucht, fotografiert und in den Wagen gesetzt.

Seine Schwester Warja wurde nicht festgenommen, doch sie bekam Schläge ab. "Als sie Dmitri abführten, hielt ich seine Hand fest, solange es ging", erinnert sie sich. Dann sei sie auf den Asphalt gefallen und habe sich plötzlich zwischen Polizisten und dem Gefangenentransporter wiedergefunden. "Ich hatte große Angst, ich wusste nicht, was ich tun sollte. Auf ein Mal kam ein Polizist auf mich zu und schlug mir mit voller Kraft mit einem Schlagstock auf den Arm. Es tat sehr weh. Ich sah Freunde hinter der Absperrung und sie zogen mich buchstäblich zu sich", erinnert sich Warja. Sie fuhr zu einer Notaufnahme, um die Verletzungen zu dokumentieren: unter anderem eine Gehirnerschütterung und ein verstauchter Arm. Nun will Warja bei der Staatsanwaltschaft Beschwerde gegen die Polizei einreichen.

Dmitri wurde unterdessen zu einer Polizeistation gebracht. Für ihn keine neue Erfahrung. 2017 war er zum ersten Mal festgenommen worden - auch bei einer Kundgebung von Nawalny-Anhängern gegen Korruption. Diesmal aber, so stellt er fest, war die Polizei besser auf die Proteste vorbereitet . Die Formalitäten wurden schnell erledigt. Es gab schon Vorlagen für die Protokolle. Man musste nur noch unterschreiben. Trotzdem kam er erst um Mitternacht frei. "Ungefähr fünf Stunden mussten wir dort ausharren und warten, bis jemand von oben die Erlaubnis gab, uns gehen zu lassen", so Dmitri.

Gewalt vor Nawalnys Gefängnis 

Der 23-jährige Kirill aus St. Petersburg war zum Zeitpunkt der Proteste gerade zu Besuch bei seiner Großmutter, die in der Nähe von Moskau lebt. Von den Kundgebungen erfuhr er, als er die Reisetickets schon hatte. Er beschloss, dorthin gehen - seine erste Protestaktion überhaupt. "Ich wollte schon lange an einer solchen Aktion teilnehmen, besonders seit dem Film 'Für euch ist er nicht Dimon'. Aber irgendwie hatte es nie geklappt", erinnert sich Kirill. Der investigative Dokumentarfilm von Nawalnys Fonds zur Korruptionsbekämpfung beleuchtet den mutmaßlichen Immobilienbesitz des ehemaligen russischen Präsidenten und Premierministers Dmitri Medwedew.

Diesmal aber habe Kirill ein Video des bekannten russischen Rap- und Rock-Sängers Noize MC dazu bewegt, auf die Straße zu gehen. Darin prangert der Musiker die Polizeigewalt an und ruft zur Unterstützung von Nawalny auf. Noize MC ist bekannt für seine kritischen Texte, in denen er sich mit den Missständen in Russland auseinandersetzt. Festgenommen wurde Kirill beim Gefängnis "Matrosskaja Tischina" (Matrosenruhe), in dem Alexej Nawalny festgehalten wird. Er war mit Demonstranten dorthin gegangen, die er am Trubnaja-Platz kennengelernt hatte.

Festnahme eines Teilnehmers an der Protestaktion in MoskauBild: Natalia Kolesnikova/AFP

"Erst später wurde mir klar, dass ich großes Glück gehabt habe. Wir gehörten zu den Ersten, die bei dem Gefängnis ankamen. Wir wurden noch ruhig und anständig auf der leeren Straße festgenommen. Aber dann kamen weitere Demonstranten und diese wurden brutal behandelt. Einem jungen Mann wurde ein Zahn ausgeschlagen, anderen wurde in die Beine geknüppelt. In unseren Transporter brachten sie einen Jugendlichen mit einer Kopfverletzung, aber einen Krankenwagen riefen die Polizisten nicht. Sie gaben uns nur ein Erste-Hilfe-Set. Mit dem Wasser, das wir hatten, haben wir die blutende Wunde gesäubert. Eine der festgenommenen jungen Frauen legte ihm einen Kopfverband an", erzählt Kirill. Gegen 21 Uhr wurde er zur Polizeistation im Bezirk Wychino gebracht, und gegen drei Uhr nachts mit einem vorgefertigten Protokoll freigelassen. 

Der 27-jährige Wladimir, der auch in der Nähe des Gefängnisses "Matrosskaja Tischina" festgenommen wurde, hatte weniger Glück. Er wurde zur Polizeistation im Bezirk Ismailowo im Nordwesten Moskaus gebracht, wo er zwei Tage bis zum Prozess festgehalten wurde. "Ich habe nur ein paar Schläge mit einem Schlagstock auf die Beine abbekommen. Sie konnten mich lange nicht überwältigen, ich habe mich gewehrt. Mir war überhaupt nicht klar, warum ich festgenommen worden war. Aber sie nahmen Rücksicht darauf, dass ich schon einmal eine Gehirnerschütterung hatte, daher wurde ich vorsichtig zur Polizeistation gebracht", sagt Wladimir. Menschenrechtsaktivisten brachten ihm und anderen Häftlingen Schlafsäcke, Lebensmittel und Wasser. Inzwischen ist er vom zuständigen Bezirksgericht zu zehn Tagen Arrest verurteilt worden.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

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