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PolitikTschad

Blutiger Machtkampf um die Vorherrschaft im Tschad

6. März 2024

Zwei Monate vor der Präsidentschaftswahl im Tschad töten Sicherheitskräfte einen führenden Oppositionspolitiker. Übergangspräsident Mahamat Déby geht auch gegen andere Gegner vor. Experten zeichnen ein düsteres Bild.

Tschad | Militärpräsenz in N'Djamena
Versperrter Weg zur PSF-Parteizentrale (29.02.2024)Bild: AFP/Getty Images

Der gewaltsame Tod des tschadischen Oppositionellen Yaya Dillo Djérou Betchi war ein Schock für Menschenrechtsaktivisten und Gegner von Interimspräsident Mahamat Idriss Déby Itno. Dillo, der ein Cousin von Mahamat Déby war, wurde getötet, als Sicherheitskräfte am Mittwoch vergangener Woche die Zentrale seiner Sozialistischen Partei ohne Grenzen (PSF) in der tschadischen Hauptstadt N'Djamena angriffen.

"Ich bin untröstlich", sagte Max Loalngar, Vorsitzender der tschadischen Menschenrechtsliga LTDH im Exil, tags darauf der DW. "Dieser Tod ist der Tod aller Demokraten, der Tod von uns allen, die wir für Menschenrechte kämpfen. Heute läutet die Totenglocke für Yaya Dillo, es könnte auch meine sein oder die von jemand anderem."

Yaya Dillo (Bild vom April 2021) wurde am 29. Februar in seiner Parteizentrale getötetBild: Issouf Sanogo/AFP

Alles begann mit Schüssen auf den Finanzsekretär der Partei, der dabei mutmaßlich ums Leben kam, wie Loalngar erklärte, der sich auf eine Mitteilung von Dillo kurz vor dessen Tod bezog. Seine Familie habe ihn an sich nehmen wollen. "Dann geriet die Lage außer Kontrolle." Die Sicherheitskräfte belagerten daraufhin die Parteizentrale. In einer Erklärung auf der Website der Präsidentschaft heißt es dazu, Dillo und seine Parteikollegen, die als "Angreifer" bezeichnet werden, hätten "schwere Waffen" eingesetzt und die Sicherheitskräfte, die sie festnehmen wollten, gezwungen, sich zu verteidigen. Am Ende war Dillo tot und die Parteizentrale weitgehend zerstört.

"Ein politischer Mord"

Es ist eine Eskalation in einem kritischen Moment: In genau zwei Monaten ist die Bevölkerung des Tschad aufgerufen, einen neuen Präsidenten zu wählen und die dreijährige Übergangsphase nach dem Tod des Langzeitherrschers Idriss Déby offiziell zu beenden. Yaya Dillo hatte sich noch nicht abschließend geäußert - seine Kandidatur galt aber als gesetzt. Er wäre gegen Übergangspräsident Mahamat Déby angetreten, den Sohn des verstorbenen Präsidenten, der vergangenen Sonntag offiziell von einer breiten Koalition aus über 200 Parteien ins Rennen geschickt wurde.

"Es handelt sich ganz klar um einen politischen Mord", sagt der tschadische Anwalt Baïdessou Soukolgue, Geschäftsführer des Electoral Institute for Sustainable Democracy in Africa (EISA), im DW-Gespräch. Die Tat ereignete sich genau drei Jahre, nachdem Dillos Haus angegriffen und seine Mutter getötet worden war. Beobachter sehen es als erwiesen an, dass Mahamat Déby, damals Sicherheitschef seines Vaters, dahintersteckte. "In den letzten Jahren hat er sich sehr offen und politisch bewusst geäußert. Sein Clan - der herrschende Clan - hat das nie gutgeheißen", so Soukolgue.

Die deutsche Politologin Helga Dickow ist gerade erst von einer Reise in den Tschad zurückgekehrt, wo sie Yaya Dillo noch wenige Tage vor seinem Tod getroffen hatte. Dickow, die am Arnold Bergstraesser Institut in Freiburg arbeitet, berichtet, dass Dillo sich erst vor Kurzem mit dem jüngeren Bruder des verstorbenen Präsidenten, Salaye Deby, verbündet hat. Das könnte für Mahamat Deby zu viel gewesen sein, vermutet sie.

"Yaya Dillo hatte eine Untersuchung zum Tod von Idriss Déby gefordert, und Salaye Déby hat immer gesagt, er wisse, was passiert ist", so Dickow. Im Jahr 2021 kämpfte die tschadische Armee im Norden des Landes gegen Rebellen, Präsident Déby kam bei einem Besuch an der Front ums Leben. "Es gibt Leute im Tschad, die sagen, dass sowohl Mahamat Déby als auch sein persönlicher Assistent eine Rolle beim Tod von Idriss Déby gespielt haben."

Politischer Übergang ohne Erneuerung

Mahamat Déby, der eine militärische Ausbildung in Tschad und Frankreich durchlaufen hatte, steht seit dem Tod seines Vaters als Anführer einer Militärjunta an der Spitze des Landes. Déby versprach schon früh, die Macht an eine zivile Regierung zu übergeben, verlängerte jedoch seine selbstgesetzte Frist von 18 Monaten um zwei Jahre bis 2024.

Mahamat Déby bringt sich für eine Präsidentschaft nach dem Übergang in StellungBild: Denis Sassou Gueipeur/AFP/Getty Images

"Die Übergangsphase ist natürlich nicht perfekt verlaufen, aber die Behörden schienen die Situation unter Kontrolle zu haben", sagt EISA-Experte Soukolgue. "Aber jetzt kommt dieses Attentat im letzten Moment und wird zweifellos Auswirkungen auf das Vertrauen der Bevölkerung in den Übergangsprozess und die Wahlen haben."

Von Anfang an war der Prozess belastet. Oppositionsgruppen protestierten gegen einen nationalen Dialog, den sie als nicht umfassend genug verurteilten. Im Oktober 2022 rief eine gemeinsame zivilgesellschaftliche und politische Opposition zu einem Protestmarsch auf, der von Einsatzkräften brutal niedergeschlagen wurde und bis heute nicht aufgearbeitet ist. Hunderte von Demonstranten wurden getötet, Augenzeugen berichteten der DW von Schulen, die zu Folterkammern umfunktioniert wurden.

Eine stark geschwächte Opposition

Der Hauptorganisator der Proteste, Succès Masra, floh im Anschluss an die Veranstaltung aus dem Land. Ein Jahr später kehrte er zurück - nachdem ein eigens ausgehandeltes Abkommen unter Vermittlung des kongolesischen Präsidenten Félix Tshisekedi für seine Sicherheit garantieren sollte.

Masra beabsichtigt zwar immer noch, für das Präsidentenamt zu kandidieren, doch seine Unabhängigkeit steht infrage - spätestens seit Junta-Chef Mahamat Deby ihn im Januar zum Premierminister der Übergangsregierung ernannte. Viele seiner ehemaligen Anhänger haben ihre Enttäuschung über ihn zum Ausdruck gebracht.

Tatsächlich habe Masra auch in der Regierung keinen großen Einfluss, sagt Analystin Dickow: Das zeige allein schon die Tatsache, dass viele wichtige Entscheidungen in seiner Abwesenheit verkündet würden. Masra hingegen kündigte in diesen Tagen bei einem Besuch in Frankreich an, die Umstände des Todes von Yaya Dillo untersuchen zu wollen. Dickow zweifelt, dass es ihm möglich sein wird, dieses Versprechen in die Tat umzusetzen.

Machtkampf zwischen verschiedenen Clans 

Und der Machtkampf ist noch lange nicht vorbei, warnt die Analystin: "N'Djamena ist im Ausnahmezustand. Das Internet ist immer wieder abgeschaltet, es finden Hausdurchsuchungen statt, es gibt nachts keinen Strom. Das sind immer Anzeichen dafür, dass schlimme Dinge passieren."

Das Referendum im Dezember habe der Bevölkerung keine wirkliche Wahl gelassen, sagen ExpertenBild: Denis Sassou Gueipeur/AFP/Getty Images

Dickow vermutet, dass dies auf einen Machtkampf zwischen verschiedenen Clans innerhalb der Elite hindeutet, der noch nicht zu Ende ist. Wenn Mahamat Déby diese Auseinandersetzungen überlebt, besteht für Dickow kein Zweifel, dass er die Wahlen gewinnen wird. "Meines Erachtens bewegen wir uns auf eine Diktatur zu, die noch brutaler ist als die seines Vaters", so Dickow. Die Weichen dafür habe Déby in den Jahren der Übergangszeit gestellt - pikanterweise auch mit Mitteln aus Deutschland und Europa, die damit den Aufbau demokratischer Strukturen fördern wollten.

Max Loalngar, Vorsitzender der tschadischen Liga für Menschenrechte, zeichnet ein nicht weniger düsteres Bild: "Da Tag für Tag unschuldige Menschen sterben, müssen wir damit rechnen, dass dieses Land im besten Fall in Flammen aufgeht, im schlimmsten Fall ganz untergeht."

Mitarbeit: Blaise Dariustone (N'Djamena), Sandrine Blanchard