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Blutkrebs: Karl hat zweimal Leukämie überwunden

Gudrun Heise
28. Mai 2019

Einmal die Diagnose "Leukämie" zu bekommen, ist schon schlimm genug. Karl Kapahnke bekam sie als Kind und als Jugendlicher. Aber Selbstmitleid und Verzweiflung sind nicht sein Ding.

Leukämie - Karl Kapahnke
Bild: DKMS

"Stäbchen rein, Spender sein" - so lautet der Aufruf der Deutschen Knochenmarkspenderdatei DKMS. Die Stiftung sammelt Speichelproben von so vielen Menschen wie möglich. Sie kommen als potentielle Stammzellenspender für Leukämiepatienten in Frage. Und die DKMS braucht sehr viele mögliche Spender. Es ist nämlich eine Seltenheit, wenn ein Patient überhaupt den passenden Spender findet.

Karl Kapahnke hatte Glück. Ihm hat die Stammzellenspende das Leben gerettet. Aber sie stand erst am Ende eines langen Weges. 

Rückblick: Karl ist gerade mal sechs Jahre alt, als die Ärzte bei ihm Akute Lymphatische Leukämie (ALL) entdecken. Wie so oft sind auch bei ihm die Symptome zunächst nicht eindeutig. Karl schwitzt oft stark, ist schlapp und ständig müde. Sein Kinderarzt geht davon aus, dass der Junge einfach keine Lust hat, in die Schule zu gehen, dass seine Müdigkeit psychosomatisch ist.

Aber seine Mutter weiß es besser. Sie weiß, dass Karl gerne in der Schule ist. Sie bringt ihn zum Hausarzt der Familie. Der erkennt sofort, dass mit Karl etwas nicht stimmt. Dann geht alles schnell: Krankenhaus, Blutabnahme, Entnahme von Knochenmark aus dem Beckenknochen. Die Ergebnisse sind eindeutig: Leukämie, also Blutkrebs.

Karl kommt in die Helios-Klinik in Berlin Buch. An damals erinnert sich der heute 19-jährige nur noch bruchstückhaft, wie er sagt. Daran etwa, dass er sich einer Chemotherapie unterziehen muss. Die bringt schlimme Nebenwirkungen mit sich. Ihm ist ständig übel, das Innere seines Mundes ist wund und entzündet, das Essen schmeckt nicht und wenn überhaupt, dann nach Pappe, die Haare fallen aus.

Mehr dazu: Evas Kampf gegen Blutkrebs

Immer wieder braucht er Ruhepausen, damit sein Körper sich erholen kann. Die verbringt er bei den Eltern und seiner Schwester. Das Krankenhaus wird für Karl zu seinem zweiten Zuhause. Aber so wie es in einigen Serien im Fernsehen dargestellt werde – ununterbrochen im Krankenhaus zu sein – das entspreche nicht der Realität.

Nur mit Mundschutz

Die Chemotherapie zerstört das Immunsystem des Körpers. Der Körper ist nicht in der Lage, sich zu wehren. Schon das kleinste Erkältungsvirus kann eine schwere Lungenentzündung auslösen.

"Freunde und Familienangehörige können nur mit Mundschutz zu einem kommen. Man muss auch auf die Ernährung achten und darauf, dass das Essen nicht mit irgendwelchen Bakterien infiziert ist", sagt Karl.

Krankenhausaufenthalte wechseln sich mit Erholungsphasen zuhause ab. Es könne natürlich auch sein, dass man unvorhergesehen ins Krankenhaus müsse, etwa wenn es zu außergewöhnlich schlimmen Nebenwirkungen komme oder gar zu Infekten. Sport ist ganz tabu. Dabei hätte Karl sich verletzen können.

Essen muss vorgekocht werden, an frisches Obst ist gar nicht zu denken. Mit den Freunden etwas unternehmen? Auch das ist nicht erlaubt. Dabei ist Karl ein sehr aktiver Mensch, unternimmt gerne etwas. Aber, das geht nicht.

"Schlimm waren die Sonntage im Krankenhaus. Dann sind nur ganz wenige Leute auf der Station. Draußen ist vielleicht schönes Wetter. Dann bekommt man vielleicht Mitteilungen übers Handy, was die Freunde gerade so unternehmen und selbst muss man im Krankenzimmer sitzen. Das ist dann schon frustrierend." 

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Die vorerst letzte Chemo

Die Chemo läuft von einem Tropf in die Vene, immer und immer wieder. Nach etwa einem Jahr steht dann endlich die letzte Infusion an. "Das ist der sogenannte Luftballon", beschreibt Karl die Situation.

"Am Tropf hängen viele bunte Luftballons und Geschenke. Das ist sehr schön, denn man freut sich einfach, dass es die letzte Chemo ist. Oft liegen ja schon viele Therapien hinter einem. Man weiß, dass man über den Berg ist. Es ist Tradition, dass man alle Luftballons mit einer Nadel platzen lässt. Es heißt: Dann kommt der Krebs nicht zurück." Und die Tests zeigen: Der Junge ist krebsfrei.

Das kann doch gar nicht sein

Einen Rückfall hat Karl tatsächlich nicht. Aber als er 16 ist, stellen die Ärzte erneut die gefürchtete Diagnose: "Leukämie". Es sei eine geringfügig andere Art dieser Krebserkrankung gewesen, eine etwas leichtere, aber eben wieder eine Akute Lymphatische Leukämie, so wie beim ersten Mal, sagt Karl.

"Es ist nicht so, dass da eine Krebszelle zehn Jahre gewartet und sich dann wieder vermehrt hat. Es waren neue Krebszellen." Zunächst einmal habe er es gar nicht wahrhaben wollen, dass er wieder an Leukämie erkrankt ist.

"Ich bin ins Krankenhaus, weil es diese Vermutung gab. Aber meines Erachtens war das lächerlich. Leukämie? Ein zweites Mal? Zuerst habe ich gedacht, den Ärzten sei ein Fehler unterlaufen. Nur weg aus dem Krankenhaus, und dann ist alles wieder gut", erinnert sich Karl an seine ersten Gedanken nach der schlimmen Nachricht. Aber es ist eben nicht alles gut.

Karl muss wieder Chemotherapie über sich ergehen lassen. Wieder ist sein Körper den enormen Belastungen ausgesetzt: Übelkeit, nichts essen können und auch nicht wollen, weil im Mund alles weh tut.

Sein Körper verträgt die Behandlung schlechter als beim ersten Mal, nicht alle Medikamente schlagen an. Die Pausen zwischen den Chemoblöcken werden größer, Karls Körper braucht immer länger bis er sich wieder erholt hat. Irgendwann funktioniert nichts mehr.

Seine einzige Chance: eine Stammzellentransplantation – eine schwierige und nicht ungefährliche Option. Und erst einmal muss ein geeigneter Spender gefunden werden. Das kann dauern, aber Karl hat Glück. 

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Künstliches KnochenmarkBild: C. Lee-Thedieck/KIT

Treffen mit dem Spender

Den Tag der Stammzellentransplantation beschreibt er als unspektakulär. Danach ist Karl erstmal in einem isolierten Zimmer untergebracht. Schließlich ist sein Knochenmark komplett zerstört. Fünf Wochen lang lebt er vollkommen abgeschirmt von jeglichen Erregern, aber auch von Familie und Freunden.

Über seinen Spender wusste Karl anfangs nur, dass er männlich ist, und er kennt das Alter – mehr nicht. Mitte 50 ist der Spender. Prinzipiell ist jeder gesunde Mensch zwischen 18 und 60 Jahren geeignet. Jeder kann sich bis zu einem Alter von 55 registrieren lassen. Danach ist das nicht mehr möglich.

In Deutschland können Patienten zwei Jahre nach der Transplantation Kontakt mit dem Spender aufnehmen, vorausgesetzt, der ist damit einverstanden. Zunächst haben sich die beiden geschrieben, E-Mails ausgetauscht. Und dann hat Karl seinen Spender persönlich getroffen. "Das war unbeschreiblich, das war unglaublich. Ich wusste: Dieser Mensch ist verantwortlich dafür, dass ich noch lebe. Seine Zellen produzieren mein Blut." Den ganzen Tag hätten sie miteinander verbracht, geredet, Gedanken ausgetauscht, und sie halten weiterhin Kontakt. Er habe einen neuen Freund, sagt Karl. 

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Einer Stammzellenspende verdankt Karl sein LebenBild: privat

 

Unglaublich tolle Menschen

Karl als lebensfrohen Menschen zu beschreiben, wäre untertrieben. Auch nachdem zum zweiten Mal bei ihm Leukämie festgestellt wird, bleibt er ein unverbesserlicher Optimist. "Mir hat es immer geholfen, positiv mit der Krankheit umzugehen", sagt er. "Das habe ich noch nicht einmal bewusst gemacht, eher automatisch." 

Außergewöhnliche Menschen habe er kennengelernt, andere Patienten, seine Ärzte oder auch seine Psychologin. Mit ihr hat er noch immer Kontakt.

Auch von seiner Freundschaft mit einem kleinen Mädchen erzählt er. Sie ist zehn Jahre jünger als er selbst und auch an Leukämie erkrankt. "Das war ziemlich krass. Wir sind zusammen auf der Station mit dem Dreirad gefahren oder wir haben einfach irgendetwas zusammen gespielt."

Solche Begegnungen hatte er oft. Sie alle hätten ihm viel gegeben, sagt er und sie hätten ihm geholfen, einigermaßen klar zu kommen. Natürlich gebe es immer mal wieder Tiefpunkte. Aber im Großen und Ganzen sei er ein sehr positiver Mensch und diese Einstellung habe er die ganze Zeit gehabt. 

Eine Lektion in Sachen Menschen

Viel habe er gelernt über Menschen im Allgemeinen und über Freunde im Besonderen. "Man merkt ja, wer sich für einen interessiert. Einige haben regelmäßig den weiten Weg ins Krankenhaus auf sich genommen und ganze Nachmittage mit mir verbracht." Das hat Freundschaften gestärkt, und neue sind entstanden.

Er habe jetzt viel dickere Locken als vor der Chemotherapie, sagt KarlBild: privat

Keinen von ihnen hat es gestört, dass Karl wegen der Chemotherapie seine Haare verlor - ihn selbst aber schon. "Beim ersten Mal war das ganz schlimm für mich. Aber es ging nicht mehr. Wenn ich morgens aufgewacht bin, war das ganze Kissen voll. Es waren einfach überall Haare."

Dann sind sie komplett abgekommen, eine Erfahrung, die der damals sechsjährige erst einmal verkraften muss. Beim zweiten Mal sei es dann nicht mehr ganz so schlimm gewesen.

Als er sich die Haare abrasiert, macht sein bester Freund kurzentschlossen das gleiche: Auch bei ihm heißt es: Weg mit den Haaren - aus Solidarität und aus Freundschaft.

Angst, dass die Krankheit nochmals ausbrechen könnte, hat Karl nicht. "Ich habe mit der Stammzellentransplantation ein komplett neues Blutbild. Die Chance, dass es nicht noch einmal passiert, ist eigentlich sehr groß", resümiert er. Und wenn, dann könne er es auch nicht beeinflussen. "Ich lebe jeden Tag meines Lebens so intensiv wie möglich."

 

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