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Politik

BND erhält Lizenz zum Überwachen

Naomi Conrad
21. Oktober 2016

Ob NSU-Affäre oder Snowden-Enthüllungen: Das Vertrauen in die Geheimdienste ist in den vergangenen Jahren erschüttert worden. Zwei neue BND-Gesetze sollen das ändern. Doch die Kritik an ihnen ist groß.

Zentrale des Bundesnachrichtendienstes (BND)
Bild: picture-alliance/dpa/J. Carstensen

Zwischen den Touristen, die vor dem Brandenburger Tor für Fotos posieren und der kleinen Gruppe von Kurden, die Fahnen schwingen, ist es am Donnerstagabend zunächst gar nicht so einfach die anderen Demonstranten zu finden, die sich gerade am Pariser Platz einfinden. Auf dem Boden liegt ein Stapel Plakate: "Privatsphäre ist ein Menschenrecht" mahnen sie, oder "Wir wollen keine deutsche NSA". Ein Mann hält eine Überwachungskamera aus Pappe in die Höhe, auf der mit dicken Buchstaben "BND" steht Bundesnachrichtendienst.

Vor den Plakaten steht Lena Rohrbach, zuständig für "Menschenrechte im Digitalen Zeitalter", so steht es auf ihrer Visitenkarte, von Amnesty International. Zusammen mit anderen Menschenrechtsorganisationen demonstriert sie gegen das BND-Gesetz, das am bereits am Tag darauf im Bundestag verabschiedet wird: Die Reform verletzte Menschenrechte, sagt sie im Gespräch mit der DW. Es sei nichts weiter als ein "Freifahrtsschein, um in die Privatsphäre aller einzugreifen".

Ein wesentlicher Auslöser für die Reform ist die seit 2013 schwelende Affäre um den US-Geheimdienst NSA, in die auch der BND verstrickt ist. Die deutschen Agenten des BND sollen unter anderem für die Amerikaner europäische Verbündete ausspioniert haben - das ergeben die Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden. Der BND war dafür in die Kritik geraten.

Reform spaltet Politik

Nun zieht die Große Koalition mit zwei BND-Gesetzen die Konsequenz: Für die SPD und Union schaffen sie die Grundlage für leistungsfähige Auslandsgeheimdienste und bessere Kontrolle ihrer Arbeit, Kritiker hingegen beklagen eine Legalisierung der Massenüberwachung. 

Derzeit gibt es drei Organe des Bundestages, die die Nachrichtendienste kontrollieren sollen: Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr), die G10-Kommission für die Genehmigung von Abhörmaßnahmen und das Vertrauensgremium für die Bewilligung der Geheimdienst-Etats. Jetzt wird durch das erste der beiden neuen Gesetze bald ein Viertes dazukommen: Ein Gremium aus Richtern und Staatsanwälten des Bundes soll künftig darüber wachen, dass bei Auslandsüberwachungen alles korrekt abläuft. Die Juristen sollen vom Kanzleramt über brisante Aktionen informiert werden und über Spionage gegen Einrichtungen der Europäischen Union oder ihrer Mitgliedstaaten entscheiden.

Außerdem wird das Amt eines "Ständigen Bevollmächtigten" geschaffen. Mit einem Mitarbeiterstab von etwa 20 Personen soll er künftig die Arbeit des Gremiums unterstützen und mit anderen Kontrollinstanzen koordinieren.

Damit werde eine "Reihe von Mängeln" behoben, sagt Clemens Binninger (CDU), der das Parlamentarische Kontrollgremium leitet: Bislang hätten Parlamentarier zwar die Instrumente, um die Nachrichtendienste zu kontrollieren, "aber nicht das Personal und schon gar nicht die Zeit, um sie anzuwenden." Deshalb sei die Reform des BND so wichtig.

Die Opposition aber befürchtet eine Aufweichung der parlamentarischen Kontrolle durch das neue Gremium. Es bestehe die ernste Gefahr, sagt André Hahn von der Partei die Linke, dass besonders sensible Akten und Informationen nur noch dem Bevollmächtigten gezeigt würden - und nicht mehr den Abgeordneten.

Ausspähen der EU erlaubt

Das zweite Gesetz regelt die Auslandsüberwachung, also die Überwachung von Telefon- und Internetverbindungen von Ausländern im Ausland durch den BND. Hinzu kommt, dass der Geheimdienst in Zukunft auch Internetknotenpunkte in Deutschland anzapfen kann, über die der weltweite Datenverkehr abgewickelt wird. Bislang durfte der BND nur einzelne Leitungen abhören und nur einen Teil der Daten abgreifen -  ab heute kann der BND die ganzen Telekommunikationsnetze ohne Begrenzung anzapfen. "Full Take" wird die umstrittene Praxis auch genannt. 

Abgefangene Daten darf der BND dann bis zu sechs Monate speichern und auch an ausländische Dienste wie die NSA weiterleiten. Allerdings nur unter bestimmten Bedingungen: Ziele dieser Zusammenarbeit müssen demnach etwa der Anti-Terror-Kampf, die Unterstützung der Bundeswehr im Auslandseinsatz oder Informationen zur Sicherheitslage von Deutschen im Ausland sein. Ausdrücklich verboten wird künftig allerdings das Ausspähen deutscher Staatsbürger und auch die Wirtschaftsspionage. Ein Filtersystem soll dafür sorgen, dass die entsprechenden Daten erkannt und gelöscht werden.

Bürger und Einrichtungen von EU-Staaten und -Institutionen dürfen nach der Reform allerdings erfasst werden, etwa wenn es um Gefahren für die innere und äußere Sicherheit, die Handlungsfähigkeit Deutschlands oder "Erkenntnisse von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung" geht. Was darunter konkret zu verstehen ist, darüber wird sich dann von Fall zu Fall das Kanzleramt, das für den BND zuständig ist, mit den Spitzen der Geheimdienste verständigen. "Damit sind wir Vorreiter", so fasst Gabriele Fograscher von der SPD die Reform zusammen.

Fehlender Schutz von ausländischen Journalisten

Das sieht die Opposition allerdings anders: Dieses Gesetz, so Martina Renner (Linke), "ist ein Geschenk für den BND, weil er jetzt ans Kabel darf." Die Reform, erklärt Konstantin von Notz im Gespräch mit der DW, legalisiere die Praxis des BND der letzten zehn Jahre, die "offenkundig rechtswidrig war." Er bezweifelt auch, dass das Filtersystem funktioniert: Man könne technisch gar nicht genau sehen, wer Deutscher und wer Ausländer sei, so von Notz.

Menschenrechtsaktivisten wie Lena Rohrbach von Amnesty International bemängeln, dass das Gesetz keinen besonderen Ausnahmeregeln für ausländische Journalisten und andere Berufsgruppen wie etwa Anwälte oder Ärzte beinhaltet: "Ab jetzt sind Journalisten im Ausland nicht mehr geschützt."

Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FPD) hat bereits eine Klage gegen das neue BND-Gesetz angekündigt.

 

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