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Politik

"Fidel trug ein Kreuz auf der Brust"

29. November 2016

Fidel Castro war Anhänger der Befreiungstheologie. Diese Verbindung trug zur Annäherung an die katholische Kirche und zur Öffnung Kubas bei. Ein Gespräch mit seinem brasilianischen Freund und Theologen Leonardo Boff.

Kuba | Trauer um Fidel Castro
Ende einer Ära: Nach der landesweiten Trauerprozession wird Fidel Castro am 4. Dezember in Santiago beigesetzt Bild: Getty Images/AFP/Y. Lage

Deutsche Welle: Sie sind ein theologischer Revolutionär, Fidel Castro war ein politischer. Haben Sie Fidel Castro persönlich gekannt?

Leonardo Boff: Ja, uns verband eine enge Freundschaft. Als der Vatikan mich 1985 mit einem Rede- und Lehrverbot belegt hatte, lud er mich für zwei Wochen nach Kuba ein. Er hat sich sehr für Befreiungstheologie interessiert und mehrere Bücher von mir, Gustavo Gutiérrez und dem brasilianischen Befreiungstheologen Frei Betto gelesen. Fidel Castro hat mir damals versichert, dass er sich nicht für Marxismus, sondern für Befreiungstheologie entschieden hätte, wenn es diese zur Zeit der Revolution schon gegeben hätte. In den ersten Monaten der Revolution trug er immer ein Kreuz auf der Brust. Weil die USA aber damit drohten, auf der Insel einzumarschieren, hat er sich der damaligen Sowjetunion in die Arme geworfen. Die USA wollten der Welt zeigen, dass Sozialismus nicht funktionieren kann. Sie isolierten Kuba durch ein brutales Embargo.

Nach der Revolution flohen Tausende von Christen aus Kuba, die Kirche galt als konterrevolutionärer Staatsfeind. Erst 1992 änderte Fidel Castro die Verfassung und erklärte Kuba zu einem laizistischen Staat. Haben Ihre Treffen mit Fidel zu dieser Öffnung beigetragen?

Frei Betto und ich haben uns fünf Jahre lang für die Aussöhnung der kubanischen Bischofskonferenz mit der Regierung eingesetzt. Wir haben mit beiden Parteien verhandelt. Frei Betto hat stets gegenüber Fidel argumentiert: "Ein Staat darf nicht konfessionell sein, aber Kuba ist genau das, es ist ein Staat mit marxistischer Konfession." Dieser Satz hat Fidel sehr beeindruckt, ja, er war erschrocken. Der Wandel zu einem laizistischen Staat 1992 öffnete dann die Türen für die Rückkehr von Priestern und Nonnen nach Kuba. 1998 lud Fidel Papst Johannes Paul II. ein, danach Benedikt und dann Franziskus.

Freund und Gesprächspartner: Befreiungstheologe Leonardo Boff besuchte Castro oft in HavannaBild: imago/Fotoarena

"Revolution gegen Hunger reicht nicht"

Wie sehen Sie die politische Zukunft Kubas? Wird Kuba nach dem Tod von Fidel Castro eine ganz normale Karibikinsel ohne große politische Bedeutung?

Das glaube ich nicht. Der Sozialismus gehört mittlerweile zur Kultur des kubanischen Volkes. Sie sind stolz auf die lange Zeit des Widerstands gegen einen politischen Giganten. Trotz aller Anerkennung für die Revolution haben wir Fidel Castro aber immer wieder gesagt: "Eine Revolution gegen Hunger reicht nicht, es braucht eine Revolution der Freiheit."

Viele Kubaner sehnen sich nach dieser Freiheit. Sie sehen keine Zukunft in ihrem Land und wandern aus. Sind die Tage des Sozialismus gezählt?

Ich glaube, dass sich das Regime nach und nach weiter öffnen wird. Es könnte sich ein freiheitlicher Sozialismus entwickeln, der seine ökonomischen und sozialen Prinzipien bewahrt. Dazu gehört unter anderem, dass nicht Privateigentum wichtig ist, sondern Gemeinschaftseigentum. Das ist die Alternative, die der Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus bietet.

Ende einer Ära: Nach der landesweiten Trauerprozession wird Fidel Castro am 4. Dezember in Santiago beigesetzt Bild: Getty Images/AFP/Y. Lage

Apropos Kapitalismus: Was war Ihr erster Gedanke, als Sie von der Wahl Donald Trumps zum künftigen Präsidenten der USA erfuhren? 

Trump ist für mich die schlechteste Erscheinung, die die amerikanische Kultur hervorbringen kann. Wir wissen nicht, worin sein politisches Projekt für die USA besteht. Es ist weiterhin ein Geheimnis, wie er die größte Macht der Welt regieren will. Das erscheint mir gefährlich. Die Menschheit blickt verängstigt nach Washington.

"Religion ist eine Ware"

In den USA sollen bei den Präsidentschaftswahlen Evangelikale großen Einfluss ausgeübt haben. Wächst der Einfluss von Religion auf Politik? 

Die Religionen und insbesondere die Pfingstkirchen folgen der Logik der Marktwirtschaft. Sie verdienen viel Geld mit ihren Fernsehprogrammen und unterstützen diejenigen, die ihre Interessen verteidigen. Sie mobilisieren und manipulieren ihre Anhänger. Innerhalb ihrer kapitalistischen Logik ist auch Religion eine Ware.

Sie sind für ihr Lebenswerk in Berlin mit der Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Medaille ausgezeichnet worden. Haben Sie den Eindruck, dass die von Ihnen vertretenen ethischen Fundamente einer modernen Gesellschaft durch die weltweiten politischen Entwicklungen konterkariert werden?

Die freie Marktwirtschaft hat sich zu einer gesellschaftlichen Marktwirtschaft entwickelt: Alles ist zur Ware geworden, vom Sex bis zur heiligen Dreifaltigkeit. Die Globalisierung hatte alle Kulturen nivelliert. Wir durchleben eine Hochphase des Kapitalismus.

Katholisch-kommunistische Annäherung: 1998 besuchte Papst Johannes Paul als erstes Kirchenoberhaupt Kuba. Mit Castro verband ihn die Kritik am KapitalismusBild: picture-alliance/dpa

"Religionen zetteln Kriege an"

Auch der Papst kritisiert den Kapitalismus. Eine Position, die er mit anderen Religionsführern teilt. Könnte der von ihm angestoßene Dialog zwischen den großen Religionen den Auswüchsen der Globalisierung entgegenwirken?

Auf den interreligiösen Dialog setze ich keinerlei Hoffnung. Die große Frage ist nicht Religion, sondern Spiritualität. Religionen zetteln Kriege an, sie sind historische Gebilde, jede Kultur schafft sich ihre eigene Religion. Spiritualität hingegen speist sich aus grundlegenden menschlichen Eigenschaften: Solidarität, Intelligenz, Sexualität, Willenskraft, Mitgefühl, Achtung der Schöpfung. Spiritualität verbindet statt zu trennen, sie ist kein Monopol der Religionen. Diese Spiritualität sollte gefördert werden.

Ist diese Einsicht für einen Katholiken nicht niederschmetternd?

Nein, ganz und gar nicht. Die Kirche soll der Menschheit dienen, nicht sich selbst. Sie muss sich von ihrem Alleinvertretungsanspruch verabschieden und sich mit anderen Kirchen zum Schutz der Schöpfung und des Lebens verbünden. Religionen müssen ihre Perspektive ändern. Es geht nicht um die Frage, welche Zukunft das Christentum oder andere Religionen haben, sondern welche Zukunft unsere Erde hat, und wie die Religionen dazu beitragen, die Zukunft unseres Planeten zu schützen.  

Der brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff (77 Jahre) ist am 28.11.2016 mit der Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Medaille ausgezeichnet worden. Boff studierte in Europa katholische Theologie und promovierte 1970 bei Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt (2005 – 2013). Weil Boff das katholische Kirchenbild und die Hierarchie in Frage stellte, wurde er 1985 mit einem Rede-und Lehrverbot belegt. 1992 trat er aus dem Franziskanerorden aus. 2001 erhielt der Bestsellerautor den Alternativen Nobelpreis.

Das Gespräch führte Astrid Prange.

 

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