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Politik

Bolsonaro lässt Brasilien beben

Thomas Milz
8. Oktober 2018

Der Etappensieg des rechtsextremen Kandidaten Bolsonaro bei der Wahl kündigt neue Zeiten an. Eine populistische Welle und der Hass auf die Arbeiterpartei PT ebnen radikalen Kräften den Weg zur Macht. Aus Rio Thomas Milz.

Brasilien Präsidentschaftskandidat Jair Bolsonaro
Bild: Reuters/R. Buhrer

Der Senkrechtstarter Jair Messias Bolsonaro von der sozialliberalen Partei PSL schrappte am Sonntag knapp an der absoluten Mehrheit vorbei. Die linke Arbeiterpartei PT und ihre Konkurrentin auf dem rechten Flügel, die PSDB, erlebten derweil eine demütigende Niederlage. Die populistische Bolsonaro-Welle rollt in Brasilien das Feld auf.

"Es war nicht nur eine Welle. Ein konservativer Tsunami ist gestern über das Land hinweg gefegt", urteilt der Journalist Bernardo Mello Franco in "O Globo". "Der Rechtsaußen-Kandidat Jair Bolsonaro hätte fast im ersten Durchgang gewonnen. Und mit sich hat er eine Legion von Aktivisten, Polizisten und Pastoren in den Kongress gespült, in dem die winzige Partei PSL plötzlich eine wichtige Kraft ist."

Obwohl Bolsonaros Partei weder über Zeit für Wahlwerbung im Fernsehen noch über nennenswerte öffentliche Wahlkampfgelder verfügte, hat sie an Gewicht praktisch mit der Arbeiterpartei PT gleichgezogen. "Es war ein Massaker", analysiert der Politikwissenschaftler Marco Aurélio Nogueira das schwache Ergebnis der PT gegenüber der Deutschen Welle (DW). "Viele wurden von dieser konservativen Welle verschluckt, die im Namen der Erneuerung der Politik rollte. Obwohl überhaupt keine Klarheit darüber besteht, was das überhaupt heißen soll - das politische Leben zu erneuern." 

Demütigung für die Arbeiterpartei PT

Auch bei den gleichzeitig stattfindenden Senats- und Gouverneurswahlen musste die PT Niederlagen einstecken. Ex-Präsidentin Dilma Rousseff, die bis zuletzt laut Umfragen ihr Mandat sicher hatte, verpasste den Einzug in den Senat. Und im Bundesstaat Rio de Janeiro zog überraschend der Neuling und Bolsonaro-Gefolgsmann Wilson Witzel mit über 40 Prozent in die Stichwahl ein.

Verpasste den Einzug in de Senat: Brasiliens Ex-Präsidentin Dilma RousseffBild: imago/Xinhua/C. Mattos

Doch in einigen Bundesstaaten konnten sich die PT oder andere Linksbündnisse auch behaupten. Sie stellen insbesondere im Nordosten des Landes einige Gouverneure, darunter Bahia, Ceara und Maranhao.

Bleibt die Frage, ob PT-Kandidat Fernando Haddad trotz fast 20 Millionen Stimmen Rückstand in der Stichwahl noch eine Chance hat. "Chancen hat man in der Politik immer", so der Politologe Nogueira. "Aber wenn man sich die politische Landkarte Brasiliens anschaut, könnte man meinen, dass wir ein Erdbeben erlebt haben. Es hat ein radikaler Wechsel stattgefunden, was die Beherrschung von Räumen durch die Parteien und Politiker angeht. Politisch gesehen ist Brasilien gerade dabei, sich zu häuten."

Das "Problem Lula"

Nogueira bezweifelt, dass Haddad viele Stimmen von den Präsidentschaftskandidaten Ciro Gomes und Marina Silva erben wird, die es nicht in die Stichwahl schafften. "Ein großer Teil der Wähler von Ciro Gomes wird dessen Entscheidung Pro-Haddad nicht folgen. Schließlich haben sie ja Ciro gewählt, um die Polarisierung zwischen Bolsonaro und Haddad aufzubrechen. Da dies ausgeblieben ist, werden sie wohl ihre Stimmen annullieren. Oder sogar für Bolsonaro stimmen", prognostiziert Nogueira. 

Haddad bleibt da nur noch die Hoffnung auf Erfolgserlebnisse in den anstehenden Fernsehdebatten. Wenn Bolsonaro denn überhaupt daran teilnehmen sollte. Aber immerhin geht es zum einen um rund 30 Millionen Wähler, die am Sonntag für keinen der Kandidaten stimmten.

Übervater und Ex-Präsident: Lula berät "seinen"Kandidaten Fernando Haddad. Für viele Wähler ist dies ein ProblemBild: Getty Images/AFP/Y. Chiba

Und es muss Haddad darum gehen, Bolsonaro Wähler abzutrotzen. Dafür muss er jedoch deren Abneigung gegenüber der PT und Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva überwinden. "Wenn Haddad weiter an Lula festhängt, wird er die Stimmen aus dem Zentrum nicht gewinnen können. Sein Problem heißt Lula", so Politologe Nogueira.

Konzessionen an die Mitte

So geht Jair Bolsonaro als klarer Favorit in die Stichwahl. Schließlich habe er es nicht nötig, seinen radikalen Diskurs aus Rücksicht auf neue Wählergruppen herunterzufahren, so der Journalist Bruno Boghossian in der "Folha". "Er kann sich auf kleine Gesten gegenüber den Wählern des Zentrums beschränken, die gerade ausreichend sind, um ihm die Unterstützung zu bringen, die ihm zum Sieg gerade noch fehlt."

Haddad hingegen müsse sich als moderater Kandidat präsentieren, sich mit einem überarbeiteten ökonomischen Programm den Finanzmärkten nähern, so Boghossian. Es ist fraglich, ob die PT dabei überhaupt mitspielten würde.

Es wird wohl Thema sein bei den für heute angesetzten Beratungen mit Ex-Präsident Lula in dessen Haftzelle in Curitiba. Dass Haddad dort sofort nach den Wahl hinreist, hält Politologe Nogueira für das komplett falsche Signal. "Ausgerechnet seinem größten Problem stattet er einen Besuch ab. Das hat mich total überrascht."

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