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Politik

Messias mit Selbstzweifeln

Thomas Milz Rio de Janeiro
10. April 2019

Seit 100 Tagen ist Jair Messias Bolsonaro Brasiliens Präsident. Doch seine Bilanz fällt ernüchternd aus. Für immer mehr Menschen scheint er der falsche Mann für das Amt zu sein - und auch er selbst hadert schon damit.

Brasilien Jair Bolsonaro kommt zur Sitzung des Parlaments in Brasilia
Bild: Reuters/A. Machado

Jair Messias Bolsonaro war alles andere als gut gelaunt. Er wolle keine Zeit damit verschwenden, Umfragen zu kommentieren, rief Brasiliens Präsident am Sonntag den wartenden Journalisten zu. Kurz zuvor waren seine Umfragewerte für die ersten 100 Tage im Amt veröffentlicht worden. Von allen gewählten Präsidenten der letzten 30 Jahre schnitt Bolsonaro am schlechtesten ab: Rund ein Drittel aller Befragten, so das Ergebnis, sind mit seiner Amtsführung unzufrieden.

"Insgesamt ist die Bilanz sicher nicht positiv", findet auch Oliver Stuenkel, Politikwissenschaftler an der Fundação Getulio Vargas in São Paulo. Nach seinem Wahlsieg im Oktober habe Bolsonaro seinen Vertrauens-Bonus nicht genutzt, um wichtige Projekte rasch auf den Weg zu bringen. Stattdessen habe "die Regierung viel Zeit verloren mit Themen, die nebensächlich sind", so Stuenkel gegenüber der DW.

Die Liste dieser Nebensächlichkeiten ist lang. So ordnete Bolsonaro an, den Jahrestag des Militärputsches von 1964 zu feiern, was selbst den Militärs in seinem Kabinett zu weit ging. Bildungsminister Ricardo Vélez war bereits der zweite Minister, der aus Bolsonaros Kabinett entlassen wurde. Er wollte Schüler beim Singen der Nationalhymne filmen, den Putsch aus den Schulbüchern streichen lassen und hatte die Bildungspolitik zum Erliegen gebracht. 

Bolsonaro selbst toppte das jedoch noch mit einem Tweet über den angeblichen moralischen Verfall des Karnevals. Plus angehängtem Video, in dem ein Mann auf einer Bühne in Sao Paulo dem Publikum sein Gesäß entgegenstreckt, während ein anderer ihm auf den Kopf uriniert. 

Nach dem Twittern eines obszönen Karnevalsvideos musste Jair Bolsonaro sich öffentlich erklärenBild: Twitter/Jair M. Bolsonaro

Noch im Wahlkampfmodus

Seinen Wahlerfolg hatte Bolsonaro noch solchen Provokationen zu verdanken, die angesichts der Polarisierung der Gesellschaft auf fruchtbaren Boden fielen. Das beliebteste Opfer waren die Linken, die er publikumswirksam für die grassierende Korruption und die Wirtschaftsmisere verantwortlich machte. Hauptzielscheibe war die linke Arbeiterpartei PT, die Brasilien von 2003 bis 2016 regierte. 

Doch auch nach seinem Wahlsieg provozierte Bolsonaro munter weiter. "Ich habe den Eindruck, dass er noch nicht aus dem Kampagnenmodus herausgekommen ist", urteilt Stuenkel. Ja, es scheine gar, als ob ihm die Präsidentenrolle nicht wirklich gefällt. "Das liegt wohl auch daran, dass er stets eine Anti-Establishment-Person war. Aber jetzt gehört er selbst zum Establishment. Und das ist ein Dilemma für ihn."

Irrwitzige Tweets und unpopuläre Maßnahmen

Man müsse Bolsonaro zugestehen, dass er zuvor nie ein Regierungsamt bekleidet hat, sagt Stünkels Kollege Sérgio Praça. "Regierungen brauchen nun einmal eine gewisse Anlaufzeit." So habe auch Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva sein wichtigstes Armutsbekämpfungsprogramm "Bolsa Família" erst 15 Monate nach seinem Amtsantritt auf den Weg gebracht.

Trotz irrwitziger Tweets und absurder Polemiken – in der Innenpolitik sei bisher nichts Schlimmes passiert, urteilt Praça. Noch sind Schusswaffen nicht für alle Bürger freigegeben, und noch wurden keine Gebiete von Indigenen an Rohstofffirmen übergeben, auch wenn Bolsonaro dies während des Wahlkampfes versprochen hatte. 

Das sehen allerdings nicht alle politischen Beobachter so. Insbesondere die Blockade bei Rentenreform und Bildungspolitik, drastische Streichungen im Etat für Wissenschaft und Forschung, sowie ausufernde Polizeigewalt gegen die Zivilbevölkerung haben zum Einbruch der Umfragewerte Bolsonaros beigetragen.   

Desaster bei der Außenpolitik

In der Außenpolitik fällt das Urteil eindeutig aus. "Da folgt ein Desaster auf das nächste, und der Außenminister ist vollkommen irre. Zumindest scheint er nichts Gutes im Schilde zu führen", so Sérgio Praça. 

Gemeint ist Außenminister Ernesto Araújo, der den Klimawandel als marxistische Lüge abtut, Hitlers Nationalsozialisten als Linke einstuft und am liebsten ein christliches Dreierbündnis aus den USA, Russland und Brasilien gegen den Kommunismus bilden würde. Er gehört zum Lager der Anti-Globalisten im Kabinett. Bisher bestimmen sie Bolsonaros internationale Agenda, etwa bei den jüngsten Antrittsbesuchen bei Donald Trump und Benjamin Netanjahu.

Auch Brasiliens Außenminister Araujo polarisiert in Brasilien mit umstrittenen IdeenBild: picture-alliance/dpa/ZUMAPRESS

Trumpiger als Trump

Bolsonaro versuche regelrecht, Trump zu kopieren, meint Demétrio Magnoli, Experte für internationale Beziehungen, gegenüber der DW. "Er versucht, trumpiger zu sein als Trump selbst." Einen konkreten Nutzen habe Brasilien davon jedoch nicht. Bolsonaro leide an einem ähnlichen Minderwertigkeitskomplex gegenüber den USA wie Brasiliens Linke, vermutet Magnoli. Während die Linke jedoch die "Yankees" für alles Schlechte verantwortlich machten, sei für Bolsonaro im gleichen Maße alles toll, was aus den USA käme.

Weder den mächtigen Militärs noch den Wirtschaftsliberalen um den Chef-Ökonom Paulo Guedes gefällt die radikale Ausrichtung der Außenpolitik. Es bestehe die Gefahr, dass man sich im Kabinett gegenseitig blockiere. "Denn wer vor den Chinesen Angst hat, wird die Wirtschaft nicht liberalisieren. Und die Generäle wollen keine Botschaftsverlegung nach Jerusalem, wie es die religiösen Kreise wollen. Das ist wie ein interner Bürgerkrieg zwischen diesen drei Fraktionen", urteilt Stuenkel.

Am Freitag machte Bolsonaro seinem wachsenden Unmut über die Komplexität seiner Aufgabe Luft. "Jetzt frage ich mich: Mein Gott, was habe ich getan, um das zu verdienen? Nichts als Probleme!" Doch er ging noch weiter. "Ich wurde nicht geboren, um Präsident zu sein. Ich wurde geboren, um Militär zu sein." Ein ehrlicher Moment, so Stuenkel. "Er hatte wohl keine klare Vorstellung davon, was es bedeutet, die fünftgrößte Demokratie der Welt zu regieren."

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