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Politik

Ein Gespenst geht um in Brasilien

30. März 2020

Das war sogar Twitter zu viel. Die Plattform ließ zwei Tweets von Jair Bolsonaro entfernen. Auch wenn der Rechtspopulist das Gegenteil behauptet: Das Coronavirus beschleunigt die politische Isolierung des Präsidenten.

BdT Brasilien Rio de Janeiro Soldaten Coronavirus Covid-19
Gespenstisch: Soldaten proben einen Desinfektionseinsatz am Bahnhof von Rio de JaneiroBild: picture-alliance/dpa/L. Correa

Je größer die Anzahl der Coronavirus-Infektionen, desto verzweifelter die Appelle. "Wann endlich beginnt der brasilianische Kongress mit dem Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Jair Bolsonaro?", fragt der brasilianische Journalist und Wissenschaftler André Trigueiro auf Twitter.

Trigueiro nennt drei Gründe für ein mögliches Verfahren: Bolsonaro habe die Würde seines Amtes verletzt, er handele verantwortungslos und er vergehe sich gegen die öffentliche Gesundheit seines Landes.

Auch wenn nicht sicher ist, ob das Coronavirus den Rechtspopulisten aus dem Amt fegt: Sicher ist, dass Bolsonaro der zweite Staatspräsident ist, von dem im Zuge der COVID-19-Pandemie Nachrichten von Twitter entfernt worden sind. Diese Aufmerksamkeit war bisher nur Nicolás Maduro, Staatschef von Venezuela, zu Teil geworden.

Bei Bolsonaro traf der Twitter-Tadel zwei Videos, die er am 29. März gepostet hatte. Die Aufnahmen zeigen den Präsidenten bei einem Rundgang in der Stadt Ceilândia, einem Vorort der Hauptstadt Brasília. Twitter verwies gegenüber dem brasilianischen Newsportal G1 auf seine kürzlich weltweit überarbeiteten Regeln zum Thema öffentliche Gesundheit. Auf dem Instagram-Account des Präsidenten sind die Videos weiterhin abrufbar.

Mit Malaria-Prophylaxe gegen COVID-19?

Bolsonaro schüttelt dort die Hände seiner Anhänger, posiert für Selfies und fordert seine Landsleute auf, zu ihrem normalen Leben zurückzukehren. Er widerspricht damit den von seinem Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta empfohlenen Ausgangsbeschränkungen und suggeriert, dass COVID-19-Infektionen mit dem Wirkstoff Hidroxicloroquina, einem chemisch mit Chinin verwandten Arzneistoff zur Therapie und Prophylaxe von Malaria, geheilt werden könnten.

Das Malaria-Medikament war bereits von US-Präsident Donald Trump auf Twitter gefeiert worden. Daraufhin verzeichneten die Apotheken in den USA einen Ansturm auf das Medikament. Bolsonaro kündigte nach Berichten der brasilianischen Nachrichtenagentur "Agencia Brasil" bereits am 21. März an, die Wirkstoffe in einem Labor der Armee zu produzieren.

Gesundheitsminister widerspricht Bolsonaro

Schon seit Wochen tobt in Brasilien ein politischer Streit über den Umgang mit Corona. Während Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta für Ausgangsbeschränkungen plädiert, um die Verbreitung von COVID-19 einzudämmen oder zumindest zu verlangsamen, will Bolsonaro die Isolierung auf ältere Bevölkerungsgruppen und Personen mit Vorerkrankungen beschränken.

Die brasilianische Justiz stellte sich dem Präsidenten bereits mehrfach entgegen. So ordnete Bundesrichterin Laura Bastos Carvalho am 28. März an, dass Bolsonaros Kampagne "Brasilien darf nicht stillstehen" eingestellt werden muss. Die Kampagne widerspreche den Schutzmaßnahmen zur Ausbreitung des Coronavirus, urteilte sie.

Auch Bolsonaros Dekret vom 26. März, das Kirchen, religiöse Tempel und Lotterieannahmestellen vom Kontaktverbot ausgenommen hatte, wurde von der brasilianischen Justiz wieder einkassiert.

Protestbotschaften auf einem Gebäude in São Paulo: "Bolsonaro raus", Verbrecher, Faschist, Feigling, WurmBild: Reuters/A. Perobelli

Nicht nur die Justiz, auch die Gouverneure der 27 brasilianischen Bundesstaaten distanzieren sich zunehmend von der Regierung in Brasília. In einem offenen Brief erklärten 24 Gouverneure, dass sie vor einer möglichen Lockerung der Kontaktsperre wissenschaftlichen Empfehlungen folgen würden.

"Leider verteidigt der Präsident die Isolierung der Risikogruppen, aber der Gesundheits- und der Wirtschaftsminister empfehlen andere Maßnahmen", sagt Eduardo Leite, Gouverneur des Bundesstaates Rio Grande do Sul, im Interview mit der Tageszeitung "El País". "Hinter der Haltung des Präsidenten stehen einseitige Entscheidungen. Damit kommt er im Kongress nicht durch."

"Einige werden sterben. So ist das Leben."

Für Aufsehen sorgte auch ein Interview Bolsonaros mit dem TV-Sender "Bandeirantes" vom 27. März. Dem Moderator erklärte der Präsident, es sei ihm bewusst, dass der Erreger zum Tod von Menschen führe könne. "Einige werden sterben? Ja, das wird so sein, ich bedaure das, aber so ist das Leben", lautete sein Kommentar.

"So einen Mann brauchen wir": Anhänger von Bolsonaro bei einer Demo Mitte März in Rio de JaneiroBild: Reuters/M. Carnaval

Die immer noch zahlreichen Anhänger des Präsidenten scheint dies nicht anzufechten. Sie freuten sich über den Rundgang "ihres" Präsidenten am Wochenende in Ceilândia in der Nähe der Hauptstadt Brasília. "Wir brauchen so einen Mann wie ihn", schwärmt ein Passant. "Wenn nicht gearbeitet wird, geht das Land zugrunde." Ein anderer Passant fleht Bolsonaro an, dafür zu sorgen, dass die Kirchen wieder geöffnet werden.

In Brasilien sind die Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 nach Angaben des Gesundheitsministeriums mittlerweile auf über 4.000 Fälle gestiegen. Die Anzahl der Todesopfer lag am Sonntag bei 136 Menschen.

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