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Politik

Kritik an Zahlen zur Regenwaldabholzung

Thomas Milz
11. August 2019

Jüngste Zahlen zeigen einen dramatischen Anstieg der Abholzung im Amazonas-Regenwald. Brasiliens Regierung hinterfragt die Daten des Weltraumforschungsinstituts INPE, dessen Zuverlässigkeit international anerkannt ist.

Brasilien Regenwald Abholzung
Bild: Getty Images/AFP/R. Alves

Präsident Jair Messias Bolsonaro und sein Umweltminister Ricardo Salles haben in den letzten Wochen das Weltraumforschungsinstitut INPE scharf angegriffen. Das brasilianische Institut, das Satellitenbilder zum Zustand des Amazonas-Regenwaldes auswertet, handele unpatriotisch und sei von ausländischen NGOs und der nach Skandalen gierenden Presse gesteuert, um Brasiliens Image zu beschädigen. Auslöser war der von INPE ermittelte Anstieg der Abholzung: plus 88 Prozent im Juni und plus 278 Prozent im Juli, verglichen mit den Vorjahresmonaten. Sein Gefühl sagt ihm, dass die Daten falsch seien, so Bolsonaro.

Nun will die Regierung ein neues Überwachungssystem einkaufen. Zudem will Bolsonaro als erster über die Zahlen informiert werden, die nicht automatisch veröffentlicht werden dürften, so wie bisher. INPEs Direktor Ricardo Galvão musste unterdessen gehen.

Für Marcio Astrini von Greenpeace Brasil gibt es derzeit zwei schlechte Nachrichten gleichzeitig. "Die Abholzung nimmt zu, und die Regierung will die Zahlen verstecken", beklagt er. Seit 30 Jahren messe INPE die Abholzung, ohne dass die bisherigen Präsidenten die Daten anzweifelten. Stattdessen richteten sie ihre Politik an den Zahlen aus.

"Diese Regierung macht alles genau andersrum. Sie provoziert die Abholzung, und als man dann die Zahlen ansteigen sah, wollte man die Wahrheit verstecken und das INPE mundtot machen", so Astrini gegenüber der Deutschen Welle (DW).

"Keine Regierung hört gerne schlechte Nachrichten"

"Ich glaube, dass die Regierung wütend wurde und, wie man das im Englischen sagt, killed the messenger of bad news", stellt der Klimaforscher Dr. Carlos Nobre gegenüber der DW fest, der 32 Jahre lang im INPE arbeitete. "Keine Regierung hört gerne schlechte Nachrichten". Nobre befürchtet gar, dass sich in Brasilien eine Wissenschaftsfeindlichkeit breitmache, wie sie bereits in den USA unter Donald Trump anzutreffen sei. Hier wie dort verbreite die Regierung den Glauben von der Klimalüge.

Eine Sorge, die auch Professor Dr. Meinrat O. Andreae, der ehemalige Direktor des Max Planck Instituts für Chemie in Mainz, teilt. In den USA habe er erfahren, dass Teile der Bevölkerung der Evolutionstheorie und dem Klimawandel skeptisch bis feindlich gegenüber stünden. Auch die aktuelle Situation in Brasilien mache ihm Sorgen, so Andreae gegenüber der DW.

Dem INPE stellt der renommierte Forscher höchste Noten aus. In Südamerika leiste es einmalige Arbeit. "Das Institut hat herausragende Leistungen in der Fernerkundung erbracht, insbesondere was das Monitoring von Vegetationsfeuern und Entwaldung betrifft", zählt Andreae auf. Technische Fehler, wie von Bolsonaro und Salles vorgebracht, kann auch Carlos Nobre nicht erkennen.

Das DETER-System, das die jüngsten Daten ermittelte, ist ein Alarmsystem, das in Echtzeit 120 Millionen Punkte in Amazonien abgleicht und die Beamten des Umweltamtes Ibama informiert. Es erreicht dabei eine Genauigkeit von 88 Prozent. Fehlalarme sind also durchaus möglich. "Niemals hat man behauptet", so Nobre, "dass DETER die abgeholzte Fläche genau messen würde. Aber es erkennt eine Tendenz, die meist vom Satellitenbeobachtungssystem PRODES bestätigt wird."

Das PRODES-System ermittelt die jährliche Abholzung mit einer Genauigkeit von gar 95 Prozent. Dieser in monatelanger Arbeit ermittelte PRODES-Wert liegt in der Regel sogar 20 bis 30 Prozent über dem in Echtzeit errechneten DETER-Wert. DETER hatte für die letzten 12 Monate eine Steigerung von 40 Prozent ermittelt. Der für November erwartete PRODES-Wert dürfte also noch höher ausfallen, prognostiziert Nobre.

Höhere Auflösung, weniger Genauigkeit

Die Einführung eines komplett neuen Systems mit einer deutlich höheren Auflösung, wie von Salles angekündigt, sei keine Lösung, so Nobre. "Wenn man mit einer höheren Auflösung arbeitet, sieht man plötzlich allerhand Dinge. Da sieht man, ob jemand in seinem Garten die Hecke schneidet. Deshalb muss man den Algorithmus anpassen, um täglich 15 Milliarden Messpunkte zu bearbeiten. Das ist nicht so einfach."

Umweltminister Salles wolle mit dem neuen Messsystem lediglich Verwirrung stiften, glaubt Claudio Angelo, Kommunikationskoordinator bei der nichtstaatlichen Initiative Oberservatório do Clima (Initiative für Klimabeobachtung). "Er will ein neues System anschaffen, um die Unsicherheit über die tatsächlichen Zahlen zu erhöhen." Marcio Astrini von Greenpeace stimmt dem zu. "Die Regierung will die Zahlen manipulieren."

Zerstörung des Regenwaldes in Para, Brasilien 2019Bild: Misereor/Florian Kopp

Erfolg haben werde die Regierung damit jedoch nicht, glaubt Angelo. "Die ganze Welt weiß ja jetzt, dass sie die Zahlen von INPE zensieren wollen, dass keine Transparenz gewünscht ist." Zudem existierten weltweit andere Monitoring-Systeme, die die geschönten Zahlen der Regierung sofort hinterfragen würden. Brasiliens Regierung sei dann so glaubhaft wie die von Venezuela, so Angelo.

Brasiliens Ruf hat bereits gelitten. Das neoliberale Wirtschaftsmagazin The Economist machte die Rodungen gar zur Titelgeschichte. Trotzdem hätten kriminelle Elemente am Amazonas freie Hand, so Marcio Astrini. "Da sind Landräuber unterwegs, illegale Goldschürfer, illegale Holzhändler, alles Leute, die mit Umweltverbrechen ihre Geschäfte machen. Und diese Leute fühlen sich durch die Regierung beschützt und ermuntert. Deshalb steigen die Abholzungszahlen derart", schlussfolgert er.

Umweltschutz und Handel Hand in Hand

Statt gegen die Umweltverbrechen vorzugehen, greift die Regierung jedoch die Kontrollbehörden an. "Der Diskurs des Präsidenten ist ja, dass die Kontrollbehörden und die NGOs Unrecht haben und dass die Bußgelder zu saftig sind. Die Regierung hat kein Interesse daran, die Abholzung einzudämmen. Ihr Interesse ist es, die Zahlen zum Schweigen zu bringen."

Nun sei es an der Zeit, dass der Rest der Welt den Umweltschutz zur Grundlage für den Handel mit Brasilien mache. Nur so könne Druck auf die Regierung ausgeübt werden, glaubt Astrini. Derweil zieht Claudio Angelo ein bitteres Fazit. "Brasilien war mal ein globaler Vorreiter beim Umweltschutz. Es hatte das Potenzial, die Lösung für das Problem zu sein. Jetzt ist man selbst Teil des Problems, und zwar ein entscheidender Teil."