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Gesellschaft

Bolsonaros Veto gegen Tampons

16. Oktober 2021

Brasilien diskutiert über das Tabuthema Menstruation. Kommt die kostenlose Verteilung von Tampons und Binden an öffentlichen Schulen? Präsident Bolsonaro hat gegen ein entsprechendes Gesetz sein Veto eingelegt.

Symbolbild Tampon
Gibt es ein Recht auf die Versorgung mit Menstruationsartikeln wie Tampons und Binden? Bild: Sebastian Kahnert/dpa/picture alliance

Brasiliens Frauen machen mobil gegen Präsident Bolsonaro. Und diesmal könnten sie sich am Ende mit einem Thema durchsetzen, das dem Präsidenten alles andere als angenehm ist: Menstruation.

Seit dem 6. Oktober streitet das Land darüber, ob für Mädchen an öffentlichen Schulen Menstruationsartikel kostenlos zur Verfügung gestellt werden sollen. An diesem Tag legte Präsident Bolsonaro ein Veto gegen den Gesetzentwurf zur Bekämpfung der sogenannten Menstruationsarmut ein.

Doch Anfang November könnte das Veto vom brasilianischen Kongress wieder einkassiert werden. Der Entwurf war im August vom brasilianischen Parlament und im September vom Senat mit großer Mehrheit beschlossen worden.

"Es geht nicht darum, ob, sondern wann der Kongress das Veto aufhebt", schreibt die brasilianische Abgeordnete Tabata Amaral auf Twitter, eine der Mitautorinnen des Gesetzesentwurfs.

"Wir werden es nicht zulassen, dass die Unmenschlichkeit und der Machismus von Bolsonaro die Realität von sechs Millionen Brasilianerinnen bestimmt, die unter dem Mangel an Hygieneartikeln leiden und herabgewürdigt werden."

Tabu Monatsblutung

In Brasilien ist das Thema Menstruation tabuisiert. Nach einem Bericht des UN-Kinderhilfswerkes UNICEF gehen rund vier Millionen Mädchen im Land nicht in die Schule, wenn sie ihre Tage bekommen. Ein Viertel von ihnen hat kein Geld für Tampons oder Binden.

Schülerinnen der Francisca Josué-Schule in Ceará: Viele Mädchen bleiben dem Unterricht fern, wenn sie ihre Tage bekommenBild: DW/N. Pontes

Die Menstruationsarmut betrifft nicht nur Schulmädchen, sondern auch Frauen in Gefängnissen, Obdachlose und andere Familien, die in extremer Armut leben. Laut Gesetzesentwurf liegen die Kosten für die Versorgung mit Menstruationsartikeln dieser Bevölkerungsgruppen bei umgerechnet rund 13 Millionen Euro jährlich.

Brasiliens Frauen- und Familienministerin Damares Alves verteidigte Bolsonaros Veto und erklärte in einem Interview mit dem TV-Sender Globo, dass die Regierung Prioritäten setzen müsse und kein Geld für die Beschaffung von Menstruationsartikeln habe.

"Wir müssen uns entscheiden: Impfung oder Tampon. Die Probleme von armen Frauen haben in Brasilien bisher noch keine Regierung interessiert, und jetzt wird Bolsonaro als Unmensch angeprangert, nur weil er in diesem Jahr keine Hygieneartikel verteilen will", so Alves.

Entscheidung im Kongress

Der Präsident des brasilianischen Senats, Rodrigo Pacheco, lässt das Kostenargument nicht gelten. "In Brasilien wird so viel Geld für unzählige Sachen ausgegeben, da kann es nicht sein, dass junge Frauen aus armen Verhältnissen mit elementaren Bedürfnissen leer ausgehen", heißt es in einem Statement auf der Homepage des konservativen Politikers.

"Entweder Impfung oder Tampon": Brasiliens Frauen- und Familienministerin Damares AlvesBild: SALVATORE DI NOLFI/KEYSTONE/picture alliance

Im Streit mit Brasiliens Präsident Bolsonaro kommt dem Präsidenten des Senats eine entscheidende Rolle zu. Laut brasilianischer Verfassung ist er bevollmächtigt, 30 Tage nach dem Veto des Präsidenten eine gemeinsame Sitzung von Senat und Parlament einzuberufen. Für die Ablehnung des präsidialen Vetos ist in beiden Kammern des brasilianischen Kongresses eine absolute Mehrheit notwendig.

"Die Chance, dass der Kongress das Veto einkassiert, ist groß", heißt es in Pachecos offiziellem Statement. "Natürlich können wir nicht über die Probleme bei der Finanzierung hinwegsehen, aber wir müssen Wege finden, wie wir junge Mädchen aus armen Verhältnissen mit Menstruationsartikeln versorgen".

Vorreiter São Paulo

Viele Städte, Gemeinden und auch Bundesländer in Brasilien haben diese Wege schon gefunden. Der Gesetzesentwurf, der eine Versorgung auf nationaler Ebene sicherstellen soll, hat sich an diesen Beispielen orientiert.

In der Millionenmetropole São Paulo wurde am 12. Juli dieses Jahres ein entsprechendes Gesetz im Stadtparlament verabschiedet. Auch in Rio de Janeiro hat die Stadtverwaltung die Versorgung mit Menstruationsartikeln an öffentlichen Schulen beschlossen. Und in mehreren Bundesländern des größten südamerikanischen Landes sind ähnliche Projekte auf dem Weg.

Weltweit ist die Zahl der Länder, die eine Versorgung mit Menstruationsartikeln für Schulmädchen oder in anderen sozialen Bereichen garantieren, noch überschaubar (siehe Grafik). Doch die Anzahl der Initiativen wächst.

Steuern streichen

Viele Länder versuchen außerdem, mit der Verringerung oder Abschaffung der Mehrwertsteuer, Menstruationsartikel billiger zu machen. So wurde in Deutschland seit 2020 die Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent gesenkt.

Frankreich, Polen und Großbritannien verringerten die Mehrwertsteuer auf fünf Prozent. Und einige Länder, darunter Irland, Indien, Malaysia und Nigeria, strichen die Steuer laut "Statista" sogar ganz.

Bis zum Showdown im brasilianischen Kongress Anfang November läuft die Debatte über das Tabuthema Menstruation in Brasilien weiter. Präsident Bolsonaro muss sich mittlerweile mit den Anhängern einer prominenten Gegenspielerin auseinandersetzen: die Sängerin Juliette, der bei Twitter 3,9 Millionen User folgen. 

"Wenn Frauen während ihrer Periode keinen Zugang zu Menstruationsartikeln haben, haben sie auch keinen Zugang zu gesundheitlicher Versorgung und Bildung", schreibt sie auf ihrem Twitter-Account. "Das Veto des Präsidenten muss aufgehoben werden. Menstruationsarmut muss in Brasilien ernst genommen werden".

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