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Bombenentschärfung: Blindgänger nicht nur in Köln gefährlich

Andreas Noll
4. Juni 2025

In Köln wurden drei Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft. Die Stadt erlebte die größte Evakuierung ihrer Nachkriegsgeschichte. Doch das zugrunde liegende Problem reicht weit über Köln und Deutschland hinaus.

Fahrzeuge des Ordnungsamts stehen auf der rechtsrheinischen Seite vor der Deutzer Brücke. Im Hintergrund ist die Kirche Groß St. Martin neben dem Dom zu sehen, weiter hinten erhebt sich der Fernsehturm
Einsatzkräfte bewachen die Bombenfundstelle an der Deutzer Brücke in Köln Bild: Thomas Banneyer/dpa/picture alliance

15 Paare hatten sich auf diesen besonderen Moment gefreut: Sie wollten sich am 4. Juni im historischen Rathaus von Köln das Ja-Wort geben. Doch die Feier im Herzen der Millionenmetropole musste verlegt werden, denn das Gebäude lag mitten in der Evakuierungszone. Die einzige Lösung: eine Alternativ-Location in einem Bezirksrathaus.

Verantwortlich für die Kölner XXL-Evakuierung waren drei schwere Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg, die bei vorbereitenden Sondierungen für Straßenbauarbeiten an der Deutzer Brücke entdeckt wurden: eine Zehn-Zentner-Bombe und zwei Zwanzig-Zentner-Bomben amerikanischer Herkunft. Die Bomben mit Aufschlagzünder durften aus Sicherheitsgründen nicht bewegt werden. Die letztendlich geglückte Entschärfung vor Ort war die einzige Option und erforderte die großflächige Räumung ganzer Stadtviertel.

Der Tag, an dem Köln stillsteht

Rund 20.500 Menschen mussten am Mittwoch dafür ihre Häuser verlassen. Krankenhäuser und Altenheime wurden evakuiert und die Patienten und Bewohner in andere Einrichtungen gebracht. Auch 58 Hotels mussten schließen und ihre Gäste auf andere Unterkünfte verteilen. Bombenentschärfungen in Großstädten sind logistische Mammutaufgaben, mit denen Deutschland jedoch vertraut ist.

Warten auf die Entschärfung: Anwohner in der Notunterkunft der Messe-DeutzBild: Björn Kietzmann/DW

Allein in Nordrhein-Westfalen wurden im vergangenen Jahr mehr als 1600 Bomben entschärft. Ein Grund für den deutlichen Anstieg ist die zunehmende Bautätigkeit: neue Glasfaserleitungen, Brückensanierungen und der Umbau des Straßennetzes. Wo gegraben wird, kommen oft Kriegsaltlasten zum Vorschein.

Tägliche Routine mit Sprengkraft

Besonders häufig betroffen sind Ballungsräume wie das Ruhrgebiet, Hamburg oder Berlin, die allesamt ehemalige Hauptziele alliierter Bomberflotten waren, bei denen auch zivile Infrastrukturen ins Visier genommen wurden. Neben Nordrhein-Westfalen ist auch Brandenburg stark belastet. Dort sammelten Kampfmittelräumer im Jahr 2024 unter anderem 90 Minen, 48.000 Granaten, 500 Brandbomben und 450 mehr als fünf Kilogramm schwere Sprengbomben sowie rund 330.000 Patronen.

Auch in vielen Nachbarstaaten ist das Problem allgegenwärtig. In Frankreich und Belgien wird regelmäßig Munition aus den Weltkriegen gefunden, vor allem aus dem Ersten Weltkrieg, in Regionen wie Verdun oder der Somme. In Italien hatte die Dürre in der Po-Ebene vor drei Jahren alte Sprengkörper an die Oberfläche gebracht. In Großbritannien musste 2021 eine deutsche Fliegerbombe (1000 Kilo) in Exeter kontrolliert gesprengt werden, wodurch mehr als 250 Gebäude beschädigt wurden.

Ein globales Problem

Besonders kritisch ist die Lage in Polen und Tschechien. Auch dort lagern tonnenweise nicht explodierte Kampfmittel aus den Weltkriegen im Boden. In Swinemünde wurde im Jahr 2020 eine fünf Tonnen schwere britische "Tallboy"-Bombe entschärft. In Tschechien kam es zuletzt auch zu tödlichen Unfällen. Auf dem Balkan sind es vor allem die Überreste der Kriege der 1990er Jahre, die bis heute Menschenleben gefährden. Ein Ende der Räumungen ist auch dort nicht absehbar.

Entschärfte Streumunition BLU 26, die in Laos gefunden wurdeBild: Sebastian Bozada/dpa/picture alliance

Auf anderen Kontinenten ist die Lage sogar noch schlechter. In Vietnam sterben noch immer Menschen durch US-Streubomben aus dem Vietnamkrieg. In Laos sollen sich laut UN-Angaben derzeit noch mehr als 80 Millionen explosive Kriegsreste im Boden befinden - Überbleibsel eines kaum bekannten Luftkriegs mit über 500.000 US-Angriffen zwischen 1964 und 1973.

Auch in Syrien, im Irak oder in Gaza liegen Minen und Sprengsätze, häufig in Gebieten ohne funktionierende Strukturen zur Kampfmittelbeseitigung.

Entschärfung aus der Distanz

In Deutschland tragen die Länder den Großteil der Kosten, da es sich bei den Bomben meist um "alliierte Munition" handelt. Der Bund muss rechtlich nur für Altlasten des ehemaligen Deutschen Reiches aufkommen. Mehrere Initiativen der Bundesländer, dem Bund mehr Verantwortung zu übertragen, blieben bislang erfolglos. Mit rund 20 Millionen Euro belastete im vergangenen Jahr die Kampfmittelbeseitigung allein das Budget von Nordrhein-Westfalen.

Entschärfer-Team sucht im syrischen Idlib nach nicht explodierten Kampfmitteln (Archiv)Bild: Anas Alkharboutli/dpa/picture alliance

Während die Kosten für die Räumung steigen, hat sich auch die Technik zur Entschärfung weiterentwickelt. Haben die Kampfmittelräumer in den 1990er Jahren noch selbst Hand angelegt - mit Hammer, Meißel und Wasserpumpenzange -, kommt heute vielfach die sogenannte Wasserschneidtechnik zum Einsatz. Der Zünder wird in diesem Fall maschinell mit einem extrem scharfen Wasserstrahl aus dem Bombenkörper herausgeschnitten - die Bedienung der Maschine erfolgt aus sicherer Distanz.

Ein Wettlauf gegen die Zeit

Dass die Kampfmittelräumer irgendwann arbeitslos werden, ist nicht zu befürchten. Fachleute gehen davon aus, dass allein in Deutschland noch Zehntausende Blindgänger im Boden liegen - bis zu 100.000 Tonnen Bomben und Munition.

Die Digitalisierung alter Luftaufnahmen und moderne Sondierungstechniken helfen zwar bei der Gefahrenminimierung, doch bleibt jede Entschärfung ein Wettlauf gegen die Zeit. Mit zunehmendem Alter der Bomben steigen Korrosion und Explosionsgefahr. Zudem wird die Entschärfung immer schwieriger, da es im Inneren der Bombe zwischen Zündergehäuse und Sprengstoff mit der Zeit zu chemischen Veränderungen kommt.

Minenräumung in der Ukraine - Ein ukrainischer Soldat des Bombenräumteams trägt Splittermunition (Juni 2024)Bild: Jose Colon/Anadolu/picture alliance

Sonderfall Ukraine

Besonders dramatisch ist die Situation in der Ukraine. Seit Beginn der russischen Invasion ist das Land flächendeckend mit Minen, Streubomben und anderen explosiven Kriegsresten verseucht. Bis zu ein Viertel des gesamten Staatsgebiets ist davon betroffen.

Über eine halbe Million explosive Objekte wurden bereits entschärft, Millionen weitere bleiben jedoch bestehen. Die humanitären und wirtschaftlichen Folgen sind enorm: Hunderte Zivilisten starben, große Teile der Agrarflächen sind nicht nutzbar und die Ernteausfälle verschärfen die Wirtschaftskrise. Die Entminung nach einem möglichen Ende der Kämpfe dürfte zur Jahrhundertaufgabe werden.

Landminen in Syrien: Das explosive Erbe des Bürgerkriegs

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Die Entschärfung in Köln war mehr als ein lokales Ereignis, das den Tagesablauf von Brautleuten, Patienten und Familien durcheinanderbrachte. Blindgänger im Boden sind stumme Zeugen alter und neuer Kriege - ob in Deutschland, Gaza, Laos oder der Ukraine.