Nicht umsonst ist sie eine der meistdiskutierten Künstlerinnen unserer Tage: Nun rollt auch die Bundeskunsthalle der serbischen Performerin den roten Teppich aus. Mit einer umwerfend intensiven Werkschau: "The Cleaner".
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Marina Abramović: Eine lebenslange Performance
Sie ist als Performancekünstlerin weltbekannt. Die Serbin hat seit den 1970er-Jahren mehrere Dekaden der Performance-Kunst geprägt. Und sie in die großen Kunstmuseen gebracht.
Bild: Marco Anelli /Marina Abramovic Archives
Die Künstlerin als Schmerzensfrau
Sie legte sich nackt auf Eisblöcke, ritzte sich die Haut auf und schrie, bis ihre Stimme versagte: Wohl kaum ein Künstler setzt den Körper so radikal als Ausdrucksmittel ein wie Marina Abramović. Ein Blick auf ihr Leben und Werk.
Bild: picture-alliance/dpa
1973: Grenzüberschreitung
Ihr Erweckungserlebnis war eine Performance mit zehn Messern und zwei Tonbandgeräten, eine Art slawisches Trinkspiel. "Ich hatte gespürt, dass mein Körper grenzenlos war, dass Schmerz keine Rolle spielte, dass nichts eine Rolle spielte - und es war berauschend", schreibt Marina Abramović in ihrer Autobiografie. "In dem Augenblick wusste ich, dass ich mein Medium gefunden hatte."
Marina Abramović wuchs in Belgrad als Kind zweier Partisanen auf, privilegiert zwar mit früher Kunsterziehung, doch einsam und von der Mutter regelmäßig geschlagen. Die Unterdrückung im kommunistischen Jugoslawien unter Tito macht sie immer wieder zum Thema ihrer Arbeiten, die oft sehr riskant sind: Bei dieser Performance in Belgrad mussten Besucher sie vor den Flammen retten.
Bild: Nebojsa Cankovic/Marina Abramovic Archives
1975: Radikale Selbstinszenierung
Verletzungen durch Selbst- und Fremdeinwirken, Nacktheit oder Bewusstlosigkeit sind in ihrem frühen Werk eher die Regel als die Ausnahme. Mit ihren radikalen Performances begehrte die 1946 geborene Künstlerin gegen die dekorative Ästhetik auf, die ihre Jugend prägte: "Ich war zu der Überzeugung gelangt, dass Kunst verstörend sein muss, dass Kunst Fragen stellen und zukunftsweisend sein muss."
Die Begegnung mit dem deutschen Künstler Ulay (Frank Uwe Laysiepen) läutete eine neue Periode in Marinas Werk ein. Nicht nur, dass die beiden sich Hals über Kopf ineinander verliebten, sie arbeiteten fortan im Team. Den Auftakt machte eine Performance bei der Biennale in Venedig: Beide Künstler begegneten sich 58 Minuten lang immer wieder mit ihren nackten Körpern - Fleisch gegen Fleisch.
Bild: Ulay/Marina Abramović/Moderna Museet
1978: Kreative Verschmelzung
Zwölf Jahre lang lebten und arbeiteten die beiden Künstler zusammen. Zeitweise wohnten sie in einem kleinen Autobus, völlig vogelfrei, und reisten zu den Orten, an die sie für ihre gemeinsamen Performances eingeladen wurden. In "AAA-AAA" schreien sie sich 15 Minuten lang an.
Es war nur folgerichtig, dass auch ihre Trennung 1988 mit einer Performance besiegelt wurde. Die Wanderung aufeinander zu, entlang der Chinesische Mauer, war eigentlich als romantisches Manifest gedacht. Beim Zusammentreffen wollten die beiden heiraten. Doch war die Liebe in den Jahren zuvor auf der Strecke geblieben: Sie trennten sich - privat wie künstlerisch.
Die Trennung bedeutete für Marina Abramović Kunst keinen Rückschritt, im Gegenteil: 1997 wurde sie zur Biennale nach Venedig eingeladen, in die internationale Sektion des italienischen Pavillons. Mit ihrer Arbeit zu den Balkan-Kriegen, in der sie sieben Stunden am Tag Rinderknochen putzte, gewann die Serbin den Goldenen Löwen.
Die Knochen erinnerten auch an ihre frühere Video-Performance-Reihe "Cleaning the Mirror". Performances leben in dem Moment, doch sind Videos eine Möglichkeit, die flüchtige Kunst für die Nachwelt zu konservieren. Seit den 1990er Jahren bildet Marina Abramović auch Nachwuchskünstler aus.
Zur Jahrtausendwende zog Marina Abramović nach New York um und arbeitete viel: Theaterstücke, Performances, Begegnungen mit anderen Künstlern. Langsam wurde auch das amerikanische Publikum auf ihre Kunst aufmerksam. In "House with an Ocean View" lebte die Künstlerin zwölf Tage in drei komplett einsehbaren Räumen. Die Idee: das Energiefeld zwischen sich und den Besuchern verändern.
Bild: Attilio Maranzano/Marina Abramovic Archives
2010: Aug in Aug mit der Künstlerin
Das Museum of Modern Art in New York widmete Marina Abramović 2010 eine umfassende Retrospektive, in der die Künstlerin erstmals Re-Performances ihrer bekanntesten Arbeiten zeigte. Sie selbst war drei Monate präsent. Besucher konnten ihr ins Auge schauen - ein Riesenerfolg. Der Medienrummel erweiterte ihr Publikum weit über das Bildungsbürgertum hinaus.
Bild: Marco Anelli /Marina Abramovic Archives
2002: "The House with the Ocean View"
2002 zog Marina Abramović in die Sean Kelly Gallery (New York) in drei schwebende, miteinander verbundene Räume ein. Für die Dauer von 12 Tagen konnte man ihr bei ihrer täglichen Routine zusehen, die sie schweigend und fastend vollzog, vom Schlafen und Duschen bis zur Benutzung der Toilette. Leitern mit Sprossen aus Tranchiermessern mit nach oben weisenden Klingen trennten sie vom Publikum.
Bild: Attilio Maranzano/Marina Abramovic Archives
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Gleich am Anfang blinkt und flackert es. Projektoren werfen Videos an die Wand, die eine vielgesichtige Porträtgalerie formen. Alle zeigen das Antlitz der Künstlerin - ein Rückgriff auf Abramovićs mittlerweile berühmte Langzeitperformance "The Artist is Present" von 2010, als die Künstlerin sich im New Yorker MoMA auf einen Stuhl setzte und nichts anderes tat, als denen in die Augen zu schauen, die ihr gegenüber Platz nahmen. 90 Tage lang! Ein anderes Video zeigt Marina Abramović, wie sie vor der Kamera eine große Gemüsezwiebel verspeist, ohne eine Miene zu verziehen. An der Museumswand hängen Fotos ihrer Performance "Rhythm 10" von 1973, als sie mit einem scharfen Messer zwischen die gespreizten Finger ihrer Hand hackte. "Tack! Tack! Tack!", tönt es aus dem Lautsprecher in der Museumsdecke. Beim Zuschauen wird einem angst und bange.
Entschieden radikal, aber doch sehr sinnlich wirkt vieles, was die 72-Jährige im Laufe ihres Künstlerlebens inszeniert hat. Auch die Person Abramović, geboren 1946 in Belgrad, die an den Kunstakademien in Belgrad und Zagreb studierte und heute in New York lebt, strahlt das aus: wie sie mit weicher, warmer Stimme spricht. Wie sie blöden Fragen mit Desinteresse pariert. Wie sie während der Pressekonferenz zur Bonner Ausstellung den Blick auf ihre sittsam gefalteten Hände senkt, fast schon meditativ. Ihr eilt der Ruf voraus, mit ihrer Kunst immer wieder die eigenen physischen und psychischen Grenzen auszuloten. "Ihr Werk ist so bedeutend", sagt Museumschef Rein Wolfs, "dass eine große Retrospektive längst fällig war." Dank der Museen in Stockholm und Kopenhagen kann er sie jetzt auch am Rhein eröffnen. Mitkuratiert hat hier Susanne Kleine.
Re-Performances im Mittelpunkt
Die Retrospektive zeigt bis zum 12. August Werke aus 50 Schaffensjahren. Die Schau spiegelt die wichtigsten Facetten ihres Œuvres - von den frühen Malereien der Belgrader Kunststudentin über die Früchte ihrer zwölf Jahre währenden Partnerschaft und künstlerischen Zusammenarbeit mit dem deutschen Künstler Ulay alias Frank Uwe Laysiepen, mit dem sie Aufsehen erregende Performances machte, bis hinein in die Gegenwart.
Filme, Fotografien, Malerei, Zeichnungen, Skulpturen und Installationen zeigen die mediale Bandbreite der Künstlerin. Was besonders beeindruckt, sind die aufwendig dokumentierten Perfomances früherer Tage. Ihre wichtigsten sind noch einmal im Laufe der Ausstellung zu sehen. Diese "Re-Performances" sind die Höhepunkte der Schau.
Eine solche ist "Imponderabilia", eine Arbeit von 1977. Bei der Performance in der Galleria Comunale d'Arte Moderna in Bologna stellten sich Abramovic und ihr Partner Ulay völlig unbekleidet in den Museumseingang. Wer hinein wollte, musste sich hindurch quetschen, Körperkontakt garantiert. Schon da, erst recht aber bei der späteren Performance "The house with the Ocean View" von 2002, wo sie sich zwölf Tage lang rund um die Uhr bei ihren täglichen Verrichtungen bestaunen ließ, machte die Künstlerin ihr Publikum zum Teil ihres Werks.
Besucher schnitten ihre Bluse auf
Häufig kreist Abramovićs Kunst um Begriffe wie Erinnerung, Schmerz, Verlust, Ausdauer und Vertrauen. Schon früh macht sie das eigene Erleben zur Grundlage ihres Schaffens. Sie beginnt die Grenze zwischen Werk und Betrachter aufzubrechen, indem sie ihr Publikum zum bestimmenden Faktor macht, und zwar auf provokante und schonungslose Weise: 1974 führt sie in einer Galerie in Neapel "Rhythm 0" auf. Sie stellt vor sich einen Tisch mit 72 Objekten auf, die die Besucher an ihr ausprobieren dürfen, darunter Rasierklingen, Nägel, Messer und ein Revolver. Manche schneiden der regungslosen Künstlerin die Kleider auf und entblößen ihren Oberkörper. Die Bonner Ausstellung zeigt nun Filmausschnitte aus der Performance, die den Betrachter schaudern lassen.
Noch bei der dritten Station ihrer Retrospektive glaubt die Künstlerin ihr Werk mit "neuen Augen zu sehen", wie sie den Bonner Museumsleuten versicherte. Ihr immer wiederkehrendes Thema ist das Läutern und Säubern, was nicht nur physisch gemeint ist: Begriffe wie Katharsis und Verwandlung rücken zunehmend in den Mittelpunkt ihres Werks und machen es transzendent und vielschichtig.
Marina Abramović eine Multimedia-Künstlerin zu nennen, wäre wohl untertrieben. Am ehesten nähert man sich ihrem Werk von seiner Wirkung: Mal verstört, mal erheitert es. Immer aber ist es klug und berührend. Und noch etwas haftet den so verschiedenartigen Werken an. Sie alle sind sehr persönlich. Das gilt bereits für die namensgebende Arbeit "The Cleaner" von 1956 - eine historische Waschmaschine, deren Auswring-Walzen Abramović mit Blattgold überzogen hat, nachdem sie sich als Kind böse daran verletzt hatte. Genauso gut aber könnte die Retrospektive "The Artist is Present" heißen.