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Boris Becker als Buchautor: "Wimbledon trägt Mitschuld"

12. September 2025

Der ehemalige Tennis-Weltstar stellt in Berlin sein Buch "Inside" über seine Zeit im Gefängnis vor. Er gibt Einblicke in den harten Knastalltag und sein Seelenleben. Dabei stilisiert er sich als Kämpfer und Opfer.

Boris Becker und Ehefrau Lilian de Carvalho Monteiro bei Buchpremiere in Berlin
Nach überstandener Lebenskrise wieder ein Held: Boris Becker (r.) mit Ehefrau LilianBild: Eventpress Fuhr/Eventpress/picture alliance

Der Ort ist passend gewählt: "Delphi Filmpalast" - das klingt nach großem Kino. In Berlin, nicht weit des legendären Kurfürstendamms präsentiert Boris Becker, eine von Deutschlands größten Sportikonen, seinen Gefängnis- und Bekenntnisroman "Inside". Auf Plakaten sieht man Boris in einer Art James-Bond-Pose: "Seine Zeit hinter Gittern - sein größter Kampf".

Becker erscheint in hellem Leinenanzug und schwarzem Hemd, begleitet von seiner schwangeren Ehefrau Lilian, Sohn Noah und Schwester Sabine mit deren Töchtern. Das Kino ist randvoll, sofort ist Becker umringt von Fans und Fotografen und es dauert bis er es auf die Bühne geschafft hat.

Dort gibt er später im Gespräch mal den unantastbaren Sporthelden ("Ich bin grenzenlos"), mal den armen Sünder in der engen Gefängniszelle zwischen lauter Schwerverbrechern ("Wir sind alle gleich"). Heraus kommt aber immer wieder: Becker sieht sich selbst nicht als vorsätzlichen Täter, sondern vor allem als Opfer - der harten britischen Justiz, einer Verschwörung, die er nicht genauer erklärt, der Umstände und seines sportlichen Erfolgs.

Das Publikum, überwiegend absolute Becker-Fans, stört das nicht. "Ein cooler Typ. Und eine sehr sympathische Frau", sagt eine Zuschauerin gegenüber der DW nach der Veranstaltung. "Ich fand ihn sehr aufgeräumt und interessant." Eine andere meinte, Becker sei ihr "gewaschen" vorgekommen. "Ich glaube, der hat sehr viel gelernt, auf eine harte Art und Weise."

Angsteinflößende, fremde Gefängniswelt

Der Buchtitel, "Inside", gilt in doppelter Hinsicht: Der ehemalige Tennisprofi gibt Einsicht in den harten Alltag eines britischen Gefängnisses, gleichzeitig legt er sein Seelenleben in dieser schwierigen Phase seines Lebens offen. 

Was macht es mit ihm, eingesperrt und auf sich alleingestellt zu sein? Welchen Mitinsassen kann er vertrauen? Vor welchen nimmt er sich lieber in Acht und welche stellen sogar eine Gefahr für Leib und Leben dar? Was lässt ihn verzweifeln, was hoffen?

Becker lässt den Leser genauso in die befremdliche Gefängniswelt hineinfinden, wie er selbst es tun musste: vorsichtig, ja ängstlich, ohne Erfahrung und die Möglichkeit, sich irgendwo abzusichern und zu wissen, ob das, was man tut, richtig ist oder falsch.

Ursprung zu allem liegt im frühen Wimbledon-Sieg

Immer wieder nimmt Becker Bezug auf das Tennis. Das entfernte Geschrei von Häftlingen ist ein "endloser Ballwechsel zwischen Gegnern, die einander nicht sehen können, sich aber trotzdem gegenseitig vernichten wollen". Der Tennisplatz sei überall gleich und biete "Gewissheit in Form von geraden Linien und weiß aufgemalten rechten Winkeln", im Gefängnis gebe es solche Gewissheiten dagegen nicht.

Becker führt alles, was in seinem Leben zunächst gelungen und später schiefgegangen ist, auf den 7. Juli 1985 zurück. An diesem Tag gewann er als 17-Jähriger das Grand-Slam-Turnier in Wimbledon und sein Leben änderte sich schlagartig für immer. Letztlich habe der frühe Erfolg ihn auch ins Gefängnis gebracht. "Mein Wimbledon-Sieg 1985 trägt Mitschuld daran", sagt er bei der Buchpremiere.

Plötzlich deutscher Sportheld: Mit 17 Jahren gewinnt Boris Becker das Turnier in WimbledonBild: Steve Powell/Getty Images

Aus Boris Becker wurde eine öffentliche Person, an die von allen Seiten Ansprüche gestellt wurden. "Wenn man mit siebzehn Jahren auf einmal so berühmt ist, fühlt es sich an, als würde man plötzlich jemand anderem gehören. Die deutsche Presse sagte mir, wie ich leben sollte und was ich zu tun hatte", schreibt er im Buch.

Auch den Grund für seine späteren Finanzprobleme sieht er in seinem frühen Ruhm begründet: "Hätte ich nicht mit 17 Jahren Wimbledon gewonnen, wäre all das nicht passiert. Dann hätte es bei mir weder dieses Vertrauen in ältere Männer gegeben, die meine Geschäfte erledigen, noch die Gewohnheit, meine Finanzen von anderen regeln zu lassen."

Zellenträume

Mit Tennis als den roten Faden seines Lebens beschreibt Becker in "Inside", wie er die Monate im Gefängnis verbracht hat, wie er dort - umgeben von verurteilten Drogendealern und Mördern - Allianzen auf Zeit geschmiedet und sogar Freunde gefunden hat - und wie er hinter Gittern mit der Philosophie des Stoizismus in Kontakt kam.

Zudem teilt er unter der Überschrift "Zellenträume" immer wieder seine Gedanken, die ihm in den einsamen Stunden seiner Haft durch den Kopf gingen. Es geht dabei zunächst um seine Rivalität mit Andre Agassi, der ihm Anfang der 1990er Jahre plötzlich den Status als Publikumsliebling in Wimbledon streitig machte.

"Ich brauche das Publikum. Ich brauche seine Unterstützung. Aber wenn ich gegen Andre spiele, bekommt er mehr von ihrer Liebe ab als ich."

Im alten, viktorianischen Gefängnis von Wandsworth muss Becker die ersten Wochen seiner Haft verbringenBild: Anthony Devlin/PA/picture alliance

Später erinnert sich Becker daran, wie er seine Partnerin Lilian kennenlernte und die beiden ein Paar wurden. Auch die langjährige Geschäftsbeziehung zu Hans-Dieter Cleven wird beschrieben, der irgendwann Darlehen in Höhe von 36,5 Millionen Euro von Becker zurückforderte und 2017 vor einem Gericht in London ein Insolvenzverfahren gegen den Ex-Tennisprofi anstrengte. Das Verfahren führte in der Folge letztlich auch zur Haftstrafe Beckers.

Ob sich Boris Becker all diese Gedanken genau so gemacht hat, während er trübsinnig auf seine Zellenwand starrte? Im Buch nutzt er sie jedenfalls zur Darstellung seiner Sicht der Dinge.

Britischer Sportjournalist als erfahrener Ghostwriter

Einige Anekdoten Beckers aus dem Gefängnis sind neu, andere hat er bereits im Dezember 2022, kurz nach seiner vorzeitigen Entlassung im deutschen Fernsehen erzählt. Damals versagte Becker zwischendurch immer wieder die Stimme.

Im Buch klingt vieles abgeklärter und distanzierter. Das liegt sicher am zeitlichen Abstand von mittlerweile drei Jahren, möglicherweise aber auch daran, dass mit dem britischen Sportjournalisten Tom Fordyce ein Ghostwriter bei der Entstehung des Buches mitgewirkt hat, der schon früher Co-Autor erfolgreicher Sportlerbiografien war.

Persönliche Verantwortung, aber keine moralische Schuld

Ein wirkliches Eingeständnis einer moralischen Schuld für ein vorsätzliches Fehlverhalten gibt es von Becker im Buch und auch auf der Bühne in Berlin allerdings nicht. Er habe es eben für zwei Wochen versäumt, seinem Insolvenzverwalter Vermögenswerte anzugeben und habe Geld aus der Insolvenzmasse für Unterhalt, Miete und die Kosten einer Knieoperation verwendet. "Das kann in meiner Position jedem passieren", so Becker. 

"Ich stehe unter anderem deshalb vor Gericht, weil ich meine Rechnungen bezahlt habe", schreibt BeckerBild: Frank Augstein/AP/picture alliance

Beckers Sohn Noah bringt die naive Hybris seines Vaters sympathisch auf den Punkt, als er im Delphi Filmpalast ebenfalls kurz das Wort ergreift. "Er ist halt ein Champion. Für Champions gibt es keine Niederlagen. Man konnte mit ihm nicht vernünftig darüber sprechen."

Dauerhafte Wende zum Guten?

Wer den 17-jährigen Boris Becker an jenem 7. Juli 1985 in Wimbledon hat siegen sehen, wer seine Tenniskarriere und sein späteres Leben verfolgt hat, der findet in Beckers Buch viele Anknüpfungspunkte, an denen eigene Erinnerungen an dessen Tenniskarriere und späteres Leben zurückkommen. Fast kann man beim Lesen hören, wie Becker mit seiner unverwechselbaren Stimme davon erzählt.

Für den ehemaligen Tennishelden ist das Buch auch ein Abschluss einer dramatischen Lebensphase. Er ist mit Lilian de Carvalho Monteiro mittlerweile verheiratet. Das Paar lebt in Mailand und bekommt im Dezember ein Kind. Nach Abschluss seines Insolvenzverfahrens im April 2024 gilt Becker als schuldenfrei. Ob er die Wende - vor allem, was die Regelung seiner Finanzen angeht - auch dauerhaft schafft, muss die Zukunft zeigen.

Mitarbeit: Felix Schwadorf (Berlin)

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