1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

Johnsons lauwarmer Empfang für Merkel

Barbara Wesel
2. Juli 2021

Freundliche Worte, aber keine Herzlichkeit: Man brauche Zeit und wolle ein neues Kapitel in den Beziehungen zwischen beiden Ländern eröffnen, sagte Kanzlerin Angela Merkel bei ihrem Abschiedsbesuch in Großbritannien.

London | Angela Merkel bei Boris Johnson
Wollen einen Neustart in den Beziehungen beider Länder: Angela Merkel und Boris JohnsonBild: Stefan Rousseau/PA/picture alliance

"Ich habe mit einer Reihe von britischen Premierministern zusammengearbeitet, sie haben alle unterschiedliche Persönlichkeiten", sagte Angela Merkel auf die kühne Frage eines Journalisten, wie sie denn ihre Zusammenarbeit mit Boris Johnson bewerte. Die Kooperation habe sich sehr gut entwickelt, aber dazu gehöre auch, dass man sich gegenseitig keine Noten erteile. Er ist übrigens ihr fünfter britischer Regierungschef innerhalb der letzten 16 Jahre. Als Merkel ins Amt kam, hatte sie es noch mit Tony Blair zu tun.

Der Krieg um die Wurst

Zwei gegensätzlichere Persönlichkeiten als den flamboyanten Briten und die sachliche Deutsche lassen sich kaum finden. Aber die scheidende Bundeskanzlerin ist bekannt dafür, dass sie zwar insgeheim die Augenbrauen hochziehen mag über die Exaltationen von Boris Johnson, offiziell aber immer diplomatisch und nüchtern bleibt.

Als im vergangenen Dezember die Verhandlungen über ein Brexit-Abkommen auf Eis gelaufen waren, hatte sich Angela Merkel geweigert, in bilateralen Treffen mit Boris Johnson den Knoten zu durchschlagen. Für sie hatten im Laufe des bitteren Streits über den Vertrag die Einigkeit und Interessen der EU immer Vorrang vor den beiderseitigen Beziehungen. Schon David Cameron hatte 2015 vergeblich seine Hoffnung darauf gesetzt, Merkel werde den Briten Sonderrechte in der EU zugestehen, um den Brexit zu vermeiden. Ähnlich kompromisslos blieb sie auch gegenüber Johnson.

Und nüchtern geht sie auch mit den Post-Brexit Beziehungen um. Sie befürworte eine pragmatische Lösung der Grenzprobleme in Nordirland, sagte die Kanzlerin, und sei zuversichtlich, dass man sie demnächst finden könne. Die EU hat gerade die Übergangsregelung für Grenzkontrollen noch einmal um drei Monate verlängert, um Raum zu geben für weitere Verhandlungen über Kontrollen im Warenverkehr.

Allerdings hält Merkel am Nordirland-Protokoll fest und spricht von einer Lösung der Probleme auf dieser "Basis". Man müsse die Integrität des EU-Binnenmarktes wahren und eine akzeptable Regelung für die Bewohner finden. Boris Johnson hatte in der Vergangenheit immer wieder damit gedroht, diesen Teil des Brexit-Abkommens einfach nicht umzusetzen.

Beim Streit um das Nordirland-Protokoll geht es auch um die Wurst - nämlich darum, ob beim Transport von Wurstwaren von britischer Seite EU-Hygienevorschriften eingehalten werdenBild: picture-alliance/dpa/F. Heyder

Beim Treffen mit der Kanzlerin allerdings behauptete er, "die Wurst liegt hinter uns". Eine Anspielung auf den "Würstchen-Streit", den Streit um den Transport von  gekühlten Fleischwaren vom britischen Festland nach Nordirland. Allerdings ist es nicht Angela Merkel, sondern die EU-Kommission in Brüssel, die bis zum Herbst den Streit um die Einhaltung unterschiedlicher Hygienevorschriften klären muss, der sogar den jüngsten G7-Gipfel in Cornwall überschattet hatte. Boris Johnson hatte sich dort weniger als Weltenlenker denn als Retter der britischen Bratwurst profiliert.

Beziehungen wachsen Schritt für Schritt 

"Ein paar Dinge haben sich bis zur Unkenntlichkeit verändert", sagte Boris Johnson in seinen einführenden Worten seit Merkels erstem Großbritannien-Besuch. Er sprach dann aber nicht über den Brexit, sondern über Fußball. Es sei Tradition, dass die Briten immer verlieren, und er sei dankbar, dass Merkel davon abgewichen sei. Johnson konnte sich den Spott angesichts der Niederlage der deutschen Mannschaft nicht verkneifen. "Es war kein freiwilliges Angebot von meiner Seite, um das richtige Klima für meinen Besuch herzustellen", gab die Kanzlerin zurück, man sei doch etwas traurig. Ein diskreter Hinweis darauf, dass Schadenfreude doch ziemlich schlechtes Benehmen ist.

Boris Johnson und Angela Merkel auf dem G7-Gipfel in Cornwall - Beim Thema Brexit fahren beide weiter die Ellenbogen aus.Bild: Stefan Rousseau/picture alliance/dpa

Ansonsten aber will sie praktische Formate für regelmäßige Kontakte zwischen beiden Regierungen in der Zukunft einrichten, etwa jährliche Treffen der beiden Kabinette. Später könne könne man die Beziehungen auch über ein Freundschafts- oder Kooperationsabkommen vertiefen. Aber Angela Merkel will die Post-Brexit Beziehungen "Schritt für Schritt" entwickeln und sieht Boris Johnsons Drängen nach schnellen bilateralen Umarmungen mit Skepsis. 

Er will den Zusammenhalt der Europäer durch Zusammenarbeit mit den einzelnen Hauptstädten unterlaufen und dadurch das Gewicht seines Landes international wieder stärken. Ob die nächste Bundesregierung dieser Strategie so konsequent entgegentritt wie Angela Merkel muss sich zeigen. Wobei sie das britisch-deutsche Verhältnis gerade wegen der Wirtschaftsbeziehungen stärken will – allerdings nicht um jeden politischen Preis. "Wir sehen uns immer als Teil der EU", erinnerte sie einmal mehr.

Reisefreiheit für geimpfte Briten?

Merkels Versuch, angesichts der in Großbritannien verbreiteten Delta-Virusvariante andere EU-Länder für den Erhalt der Quarantäne-Vorschriften für reiselustige Briten zu gewinnen, war beim EU-Gipfel in der vergangenen Woche gescheitert. Boris Johnson forderte sie auf, für seine geimpften Landsleute die Grenzen zu öffnen. Jetzt räumt die Kanzlerin ein, dieser Zeitpunkt könne bald kommen, weil sich Delta auch in Deutschland immer mehr ausbreite. Allerdings würden auch in Großbritannien noch Reisebeschränkungen gelten – es geht also um Grenzöffnungen auf beiden Seiten. 

Besorgnis über Delta-Variante

02:11

This browser does not support the video element.

Große Sorgen macht sich die Bundeskanzlerin dagegen wegen der Zuschauermassen im Wembley-Stadion bei den nächsten Spielen der UEFA-Europameisterschaft: Sie sei skeptisch, ob das "nicht ein bisschen viel" sei. In Deutschland habe man entschieden, weniger Menschen ins Stadium zu lassen. Eine Steilvorlage für Johnson, die britischen Impferfolge herauszustreichen: Man habe rund 80 Prozent der Bürger schon mindestens einmal geimpft und so eine "Wand der Immunität" errichtet. 

Am Ende noch Tee bei der Queen

Ihre Abschiedsvisite war Angela Merkels 22. Besuch in Großbritannien. Und obwohl sie immer als angophil galt - in den letzten Jahren haben die Regierungen in London ihr zweifellos mehr Sorge als Vergnügen bereitet. Die Kanzlerin hielt den Brexit immer für einen Fehler und die Umstände des Austritts haben in Deutschland und bei den anderen Europäern viel politisches Porzellan zerschlagen. "Jetzt eröffnen wir ein neues Kapitel", sagte sie lapidar zur Zukunft, doch dafür brauche es Zeit.

Trafen schon vor einigen Wochen beim G7-Gipfel in Cornwall zusammen: Angela Merkel und Queen Elisabeth II.Bild: Jack Hill/REUTERS

Der Höhepunkt dieses zwar freundlichen, aber nicht wirklich herzlichen letzten Besuches allerdings kam dann am späten Nachmittag. Angela Merkel hatte sich schon beim G7-Treffen in Cornwall als Bewunderin der Queen geoutet. Und so gewährte Elisabeth II. der Bundeskanzlerin zum Schluss noch einmal eine Privataudienz auf Schloss Windsor. Eine versöhnliche Geste des Königshauses, das sich seit dem Brexit besonders bemüht, die Beziehungen zu den entfremdeten  Nachbarn wieder in freundschaftliche Bahnen zu lenken.