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Politik

Titow: "Gesellschaft will einen Wirtschaftswandel"

Zhanna Nemzowa mo
17. Januar 2018

Der russische Unternehmer Boris Titow sieht sich nicht in Konkurrenz zu Wladimir Putin. Dennoch kandidiert er bei den Präsidentschaftswahlen im März 2018. Im DW-Interview mit Zhanna Nemzowa sagt er warum.

DW - Nemtsova im Interview mit Boris Titov
Bild: DW

Boris Titow ist Chef der "Partei des Wachstums" und Beauftragter des russischen Präsidenten für Unternehmerrechte. Er positioniert sich als Verteidiger der Interessen kleiner und mittlerer Unternehmen. Sein Wahlprogramm setzt auf den Übergang zu einer nicht rohstoffbasierten Wirtschaft, auf die Unterstützung von Unternehmern und die Entkriminalisierung der Wirtschaftstätigkeit. Er kontrolliert faktisch die russische Sekt-Marke Abrau-Durso. Anfang der 2000er Jahre ging er in die Politik. Bei den Parlamentswahlen 2016 konnte seine "Partei des Wachstums" mit nur 1,29 Prozent die Fünf-Prozent-Hürde nicht überwinden und nicht in die Staatsduma einziehen.

Deutsche Welle: Herr Titow, kann man in Russland von einer demokratischen Präsidentschaftswahl sprechen oder geht es nur darum, Wladimir Putin für eine vierte Amtszeit zu bestätigen?

Boris Titow: Rechtlich gesehen werden alle demokratischen Standards erfüllt: Es gibt Wahlhürden und es werden Unterschriften zur Unterstützung von mehreren Dutzend Präsidentschaftskandidaten gesammelt. Im Prinzip ist das Verfahren demokratisch. Aber jeder versteht natürlich, dass mit solchen Umfragewerten, wie sie Putin heute hat, das Wahlergebnis praktisch feststeht. Nach neuesten Umfragen des WZIOM, dem Allrussischen Meinungsforschungszentrum, liegen sie bei über 80 Prozent. Daher ist diese Präsidentschaftswahl nicht ein Kampf um das Amt selbst, sondern um die künftige Wirtschaftspolitik des Landes. Deswegen treten wir an.

Ist die Entscheidung der russischen Behörden, den Putin-Gegner Alexej Nawalny nicht zur Wahl zuzulassen, politisch motiviert?

Ich weiß es nicht, deshalb kann ich nicht für die Staatsmacht sprechen. Unserer Meinung nach verfügt die Staatsmacht in diesem Fall über eine sehr starke juristische Position. Aber im Hinblick auf die künftige Entwicklung des Landes, auf die demokratische Vertretung aller Schichten unserer Gesellschaft bei den Wahlen, wäre Nawalnys Teilnahme natürlich richtig gewesen.

Alexej Nawalny darf aufgrund einer Bewährungsstrafe wegen angeblicher Unterschlagung nicht antretenBild: picture-alliance/Tass/Sergei Fadeichev

Sie sagen, dass das Ergebnis der Präsidentschaftswahl praktisch fest steht. Sollte man überhaupt zur Wahl gehen? Unterstützen Sie Nawalnys Boykott-Aufruf?

Nawalnys Aufruf, nicht zur Wahl zu gehen, ist ein politischer Schritt, der in seinem politischen Interesse steht. Diejenigen, die nicht zur Wahl gehen werden, wird man als angebliche Stimmen für Nawalny betrachten. Aber das ist nicht richtig.

Jeder weiß, dass die meisten Menschen im Land Putin unterstützen. Dennoch treten wir bei der Wahl an, weil es die Unternehmer gibt, die ein riesiger, sehr intelligenter, seriöser und aktiver Teil der Gesellschaft sind. Ihre Interessen werden heute bei Entscheidungen praktisch nicht vertreten. Die Teilnahme an der Wahl ist für uns eine Gelegenheit, Einfluss auf die Staatsmacht zu nehmen und zu zeigen, dass ein großer Teil der Gesellschaft einen Wandel der Wirtschaft des Landes will.

An der Wahl nimmt auch Xenia Sobtschak teil. Ihre Wähler sind Bürger, denen in unserem Land vieles missfällt. Diese Menschen gibt es. Daher soll Sobtschak antreten und sagen: "Ich bin die Kandidatin gegen alle". Auch Pawel Grudinin soll antreten. Er vertritt die Interessen der Menschen, denen es in der Sowjetunion gut ging. Davon gibt es in unserem Land eine Menge und sie unterstützen auch nicht Putin. Nach der Wahl werden wir sehen, wie sich die Kräfte in unserer Gesellschaft verteilen. Die Staatsmacht wird dann sehen, dass viele für Sobtschak gestimmt haben, auch für Grigori Jawlinski, und vielleicht auch für Titow. Also, man wird die Meinung dieser Menschen berücksichtigen müssen.

Der Wahlslogan der TV-Moderation Xenia Sobtschak lautet "Gegen alle"Bild: picture-alliance/dpa/TASS/V. Matytsin

Laut Umfragen werden die von Ihnen genannten Kandidaten nur wenige Stimmen bekommen. Betrachten Sie sich eigentlich als Konkurrenten zu Putin?

Ich sehe mich als Konkurrenten bei der Umsetzung der Wirtschaftspolitik. Putin hat einige Dinge richtig gemacht, manches nicht fertig bekommen und auch falsch gemacht. Doch Putin hat in all der Zeit, in der er an der Macht ist, eine, wohl die wichtigste Sache gemacht, für die ihm die Menschen dankbar sind, was durch die große Unterstützung für ihn auch zum Ausdruck kommt: Er hat das Land in einen stabilen Zustand zurückversetzt. Eine andere Sache ist, dass diese Stabilität - Hauptsache, dass es heute gut geht - keine Zukunft hat. Wir sagen, dass Stabilität für den Fortschritt notwendig ist, um voranzukommen.

Einerseits sind Sie Präsidentschaftskandidat und andererseits arbeiten Sie für Putin. Wie ist das möglich?

Weil ich kein Beamter, sondern Angestellter bin. Die Engländer sagen: "Report to the president." Ich muss jedes Jahr dem Präsidenten einen Bericht vorlegen. Meine Haltung ist die eines Menschenrechtlers. Zum Beispiel arbeitet Michail Fedotow, Vorsitzender des Menschenrechtsrates beim russischen Präsidenten, im Präsidialamt. Er leitet den Rat und ist vom Staat in seinen Urteilen, Schlussfolgerungen und Vorschlägen absolut unabhängig. Wir sind Ombudsmänner. Wir sind Menschenrechtler. Wir sind für den Staat von Vorteil, weil wir die Wahrheit sagen.

Beabsichtigen Sie im Wahlkampf auch auf die Krim zu fahren?

Das habe ich vor. Ich besuche oft die Krim. Unsere Position ist eindeutig: Die Rückkehr der Krim nach Russland war politisch richtig, ob juristisch, darüber kann man streiten. Aber wir Unternehmer wissen, dass sich die Krim sogar im Bestand der Ukraine größtenteils dank russischer Investitionen weiterentwickelt hat. Die Krim ist russischsprachig.

Sind die von Ihnen angestrebten Wirtschaftsreformen ohne politische Reformen möglich?

Es kann keine langfristige und wirkliche politische Reform ohne die Vorbereitung einer wirtschaftlichen Basis geben. Und der Import von Demokratie in eine Gesellschaft, die von ihrem Bildungsniveau und ihrem materiellen Lebensstandard her dazu noch nicht bereit ist, wird nur negative Entwicklungen hervorrufen - Instabilität und möglicherweise revolutionäre Veränderungen.

Das Gespräch führte Zhanna Nemzowa

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