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Boskoop oder Berlepsch?

29. November 2009

Der Klimawandel wirkt sich schon jetzt stark auf den Obstanbau in Deutschland aus. Doch einige Sorten erweisen sich als deutlich robuster als andere.

Bei der Ernte gesammelte Äpfel (Foto: dpa)
Von den zehntausenden existierenden Apfelsorten schaffen es nur wenige in den SupermarktBild: picture-alliance / dpa
Spätreifende ÄpfelBild: Irene Quaile

Ein trüber Spätherbsttag im rheinischen Wachtberg. Unter dem bedeckten Himmel leuchten die Farben des Laubs und der spät reifenden Apfelsorten, die noch an einigen Bäumen hängen, umso stärker. In diesem Jahr sind die Farben besonders intensiv, sagt die Biolandwirtin Dorothee Hochgürtel, die diesen Obstgarten mit 107 hochstämmigen Apfelsorten bewirtschaftet. Das, erzählt sie, hat – wie die meisten Faktoren im Obstanbau – mit dem Klima zu tun, mit einer hohen Luftfeuchtigkeit und großen Unterschieden zwischen den Tages- und Nachttemperaturen.

Klimabeobachtung im Alltag

Die Biolandwirtin Dorothée HochgürtelBild: Irene Quaile

Seit 1997 führt Dorothee Hochgürtel, die auch studierte Apothekerin ist, ein detailliertes Gartentagebuch. Jeden Tag notiert sie die Maximum- und die Minimumtemperaturen sowie die Niederschlagsmenge. In den letzten Jahren hat sie festgestellt, dass es im Sommer zunehmend feucht-warm wird, ohne dass es dabei insgesamt mehr regnet. "Die Niederschlagsmenge kommt häufiger in größeren Mengen auf einmal - und nicht verteilt über Wochen und Tage, wie es früher war", sagt die Apfelexpertin. Sie hat mehrfach Tage registriert, an denen mehr als 20 Liter Regen pro Quadratmeter an einem Stück fielen, während die Trockenphasen immer länger werden.

Die Wissenschaft bestätigt den Trend, den die Landwirtin Tag für Tag beobachtet hat. Der Klimawandel macht sich in Deutschland zunehmend bemerkbar, sagt Mojib Latif, Klimaphysiker am Leibniz-Institut der Universität Kiel. "Wir reden über extreme Sommertrockenheit und sintflutartige Niederschläge. Der Klimawandel wird unsere Lebensgrundlagen in Deutschland nachhaltig verschlechtern."

Die Apfelsorte Ontario gilt als Diabetikerapfel, da sie wenig Zucker und viel Vitamin C enthältBild: Irene Quaile

Klimamodelle sagen voraus, dass wir im Winter mit einer Niederschlagszunahme, im Sommer mit einer Niederschlagsabnahme von jeweils bis zu 40 Prozent rechnen müssen, erläutert Brigitte Schuster vom Fachgebiet Agrar- und Waldbereich des Bundesamts für Naturschutz in Bonn. Auch der Temperaturanstieg verändere die Bedingungen für die Landwirtschaft in Deutschland, erklärt sie. Seit Anfang des vergangenen Jahrhunderts hat sich die globale Durchschnittstemperatur um 0,9 Grad erhöht - das entspricht einer Verschiebung der Klimazonen um rund 100 Kilometer nach Norden. Klimamodellen zufolge wird sich die Temperatur in diesem Jahrhundert – abhängig von der Entwicklung des CO2-Ausstoßes –um weitere 1,1 bis 6,4 Grad erhöhen.

Sortenvielfalt gegen Pilze und Viren

Landwirte wie Dorothee Hochgürtel müssen sich an diese veränderten klimatischen Bedingungen anpassen. Die Gefahr von Pilz- und Viruskrankheiten sei gestiegen, sagt sie. Statt auf Chemie setzt die Biolandwirtin auf robuste und resistente Sorten. Um herauszufinden, welche das sind, hat sie auf ihrer Obstwiese bewusst eine Vielzahl von Sorten angepflanzt. Ihr ist sehr daran gelegen, ältere Apfelsorten, die in heutigen Supermärkten nicht mehr zu finden sind, zu erhalten. Sie will dabei Menschen, die Obstwiesen pflanzen wollen, eine Hilfestellung bei der Auswahl der richtigen Apfelsorte geben: "Was macht jetzt Sinn? Wie halte ich den Schnittaufwand gering? Und vor allem wie erhalte ich gesunde Bäume, die mit jedem Wetter zu recht kommen?"

Blüte zur falschen Zeit

Der Gelbe Bellefleur ist selten gewordenBild: Irene Quaile

Die fleißige Naturbeobachterin notiert auch Verschiebungen der Blütezeiten und Entwicklung der Apfelsorten auf ihrer Wiese. Seit einigen Jahren stellt sie fest, dass die Frühblüher keine sehr sicheren Erträge mehr haben. Das hängt ihrer Meinung nach mit Temperaturverschiebungen zusammen. So habe man nicht mehr Dezember bis Januar die kältesten Monate, sondern eher Februar-März. "Das führt dazu, dass die Bäume in ihrer Entwicklung zurückbleiben. Aber das Licht steigt ab Dezember wieder an. Die Bäume reagieren bei der Knospenbildung auch auf das Licht", erklärt sie. "Und wenn es warm wird, blühen sie ziemlich spontan auf. Aber so schnell sind die Insekten nicht aus ihrem Winterschlaf gekommen, sodass die Befruchtungsverhältnisse Anfang April häufig schlecht sind." Frostschäden während der Blütezeit führen ebenfalls zu einer verminderten Ernte. Eine Lösung wäre, sich auf später blühende Sorten zu konzentrieren.

Nicht nur Verlierer

Das Bundesamt für Naturschutz betont, dass der Klimawandel regional unterschiedlich zu betrachten ist. Er werde nicht für alle Nachteile bringen, sagt die Agrarexpertin Brigitte Schuster: "Wir müssen davon ausgehen, dass Regionen, die heute eher feucht und kühl sind, von der allmählichen Erwärmung und Verlängerung der Vegetationsperiode profitieren können".

Das könnte sich auch Biolandwirtin Dorothee Hochgürtel vorstellen. Mit einem Augenzwinkern zeigt sie in Richtung der etwas weiter entfernten hügeligen Landschaft der Eifel: "Vielleicht ist demnächst das Gebiet der Eifel oder der Hunsrück für den Obstanbau ein sichereres, krankheitsfreieres Zukunftsgebiet als das Rheintal oder der Bodenseeraum."

Autorin: Irene Quaile

Redaktion: Dеnnis Stutе