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Politik

Bosnien: Demokratie ist nicht verhandelbar

Marion Kraske
14. September 2021

Das Gesetz über die Leugnung des Genozids ist ein Meilenstein im Kampf gegen die nationalistischen Kriegstreiber im Balkanstaat. Jetzt muss der neue Hohe Repräsentant Christian Schmidt die Demokratisierung vorantreiben.

Sarajevo, Bosnien-Herzegovina | neuer hoher Repräsentant Christian Schmidt
Der deutsche Politiker Christian Schmidt (CSU) ist seit 1.08.2021 Hoher Repräsentant in Bosnien und HerzegowinaBild: Dado Ruvic/Reuters

Serbiens Innenminister Aleksandar Vulin gilt als einflussreiches Sprachrohr des serbischen Staatspräsidenten Aleksandar Vucic. Immer wieder hat Vulin in jüngster Zeit eines der bedeutendsten Projekte serbischer Außenpolitik umrissen: Die "Serbische Welt", betont er immer wieder mit Nachdruck, müsse alsbald endlich vereint werden. Damit propagiert die Regierung in Belgrad ein gefährliches Revival jener nationalistischen Ideen, die in den 1990er Jahren zu den Jugoslawienkriegen führten. Und nicht zuletzt zum Genozid von Srebrenica.

Gleichwohl wird bis heute der Völkermord an mehr als 8000 muslimischen Jungen und Männern in Ostbosnien im Juli 1995 von der politischen Spitze in Serbien, aber auch von den Politikern im serbisch dominierten Teil von Bosnien und Herzegowina, der "Republika Srpska", geleugnet. Der im Juni vor dem Jugoslawientribunal in Den Haag in letzter Instanz als Kriegsverbrecher verurteilte bosnisch-serbische General Ratko Mladic, der die Massenmorde organisierte, gilt vielen Serben noch immer als Held.

Im serbisch dominierten Teil Bosniens gilt der verurteilte Kriegsverbrecher Ratko Mladic vielen als HeldBild: DW/S. Huseinovic

Umso bedeutender ist das Gesetz, das der langjährige Hohe Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien, Valentin Inzko, zum Ende seiner Amtszeit auf den Weg brachte. Es stellt die Leugnung des Genozids von Srebrenica unter Strafe - und mit ihm die Negierung all jener Kriegsverbrechen, die auf bosnischem Boden begangen wurden. In einem Land, in dem die Glorifizierung von Verstößen gegen das Kriegsrecht durch ranghohe Politiker zum Tagesgeschäft gehört, kann die Bedeutung eines solchen Gesetzes gar nicht hoch genug bewertet werden.

Wichtige Botschaft nach Belgrad und Zagreb

Dass bosnische Politiker, allen voran der serbische Vertreter im Staatspräsidium, Milorad Dodik, sowie der Chef der Partei Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ), Dragan Covic, die Verabschiedung eines Leugnungs-Gesetzes im Parlament stets verhindert hatten, ist ein Beleg dafür, dass 26 Jahre nach Kriegsende nach wie vor extremistische Kräfte wirken, die eher einen neuen Krieg anzetteln würden, als Aussöhnungsprozesse voranzutreiben.

Dragan Covic (l.) und Milorad Dodik (r.)Bild: Klix

Um den bosnischen Gesamtstaat weiter zu perforieren, arbeiten Dodiks und Covics Parteien aufs Engste zusammen, Rückendeckung und ideelle Unterstützung kommen aus Belgrad und Zagreb, den Hauptstädten der Nachbarländer Serbien und Kroatien. Eben diese Zentrifugalkräfte, jene, die nach wie vor von einem Groß-Serbien und Groß-Kroatien träumen - der alte Tudjman-Milosevic-Plan - weist das Gesetz in ihre Schranken.

Lob von Menschenrechtsaktivistin

In diesem Sinne hat das von Inzko per Dekret eingebrachte Gesetz, ganz wie das Holocaust-Leugnungs-Gesetz in Deutschland, in erster Linie eine zivilisierende Wirkung: Die Deutungshoheit nationalistischer Brandstifter über die Geschichte wird beendet. Die serbische Menschenrechtsaktivistin Sonja Biserko lobt denn auch, das Leugnungsgesetz sei die einzige Möglichkeit, um für Bosnien und Herzegowina endlich eine Zukunftsperspektive zu entwickeln.

Der österreichische Diplomat Valentin Inzko war vom 1. März 2009 bis 31. Juli 2021 Hoher Repräsentant in BosnienBild: Marina Martinovic/DW

Auch in Kroatien sollte man die Botschaft des Gesetzes entsprechend verstehen: Auftritte wie die des kroatischen Präsidenten Zoran Milanovic, der immer wieder ungeniert Militärverbände der bosnischen Kroaten im Bosnienkrieg 1992-95 ehrt, die im Nachbarland in Kriegsverbrechen verstrickt waren, stellen infame Versuche von Geschichtsklitterung dar.

Ohrfeige für die EU

Das Inzko-Gesetz ist nicht zuletzt eine schallende Ohrfeige für die EU, deren Politik auf dem Balkan sich durch eine evidente Schwäche auszeichnet: Jahrelang kamen aus Brüssel einzig leere Versprechungen und fehlgeleitete Initiativen, wichtige Weichenstellungen blieben aus. Man setzte auf eine Appeasement-Politik gegenüber den nationalistischen Clanchefs. In der Folge verlor die Union an Glaubwürdigkeit und spielte damit Akteuren wie Russland und China in die Hände, die ihren Einfluss strategisch ausbauten.

Inzkos Gesetz straft auch all jene Lügen, die seit Jahren behaupten, Bosniens Stagnation sei mit einem "Local-ownership"-Prinzip zu lösen. Tatsache ist: Hierzu bedarf es einheimischer Politiker, die einerseits bereit sind, verantwortungsvoll für die Allgemeinheit zu arbeiten und zugleich willens sind, sich von den menschenverachtenden Ideologien der Balkankriege zu lösen. Solche Politiker gibt es - bis auf wenige Ausnahmen - in Bosnien nicht.

Ethno-Machtkartelle stoppen

Mit ihrem Beharren auf "Local ownership" hat die Internationale Gemeinschaft in den vergangenen 15 Jahren dazu beigetragen, dass der bosnische Staat von den nationalistischen Machtkartellen nahezu vollständig gekapert wurde. Deren stete Radikalisierungen kulminierten zuletzt in der Forderung nach einem "friedlichen" Zerfall Bosniens - de facto würde dieses Szenario neue ethnische Konflikte bedeuten.

Der neue Hohe Repräsentant Christian Schmidt wäre angesichts dieser gefährlichen Dynamik gut beraten, den zuletzt von seinem Vorgänger eingeschlagenen Weg einer robusten Normalisierung fortzuführen: Der politische Druck muss erhöht werden, um allgemein gültige Standards voranzutreiben, zu denationalisieren - und zu demokratisieren. Dazu gehören eine Reform des Justizwesens, der Kampf gegen die endemische Korruption, die Minimierung des Einflusses der Parteien auf Institutionen und Medien, die Implementierung der Straßburger Menschenrechtsurteile (Sejdic-Finci, Zornic etc.) und die Beendigung der Diskriminierung der "Anderen", sich nicht als bosnisch, muslimisch oder serbisch deklarierenden Bürger*innen Bosniens.

Zudem muss allen Versuchen einer weiteren ethnischen Fragmentierung eine klare Absage erteilt werden. Die massiven Wahlbetrügereien - vor allem durch manipuliertes Auszählen und das Ungültigmachen von Stimmen - müssen beendet werden; dazu bietet sich vor allem der Einsatz von Wahlmaschinen an, den die nationalistischen Parteien in Bosnien seit Jahren blockieren. Und die bosnische Zivilgesellschaft muss strategisch und operativ aufgewertet und in alle wichtigen politischen Prozesse eingebunden werden.

2020 haben allein 85.000 Menschen Bosnien verlassen. Die internationale Gemeinschaft wird dieses Ausbluten nur stoppen können, wenn die Menschen sehen, dass auch in ihrem Land internationale Standards gelten und der alles erdrückende Ethno-Nationalismus krimineller Polit-Kartelle nicht länger bestimmendes Element ist. "Wir müssen die Experimente und Doppelstandards für Bosnien beenden", fordert die Aktivistin Amna Popovac. "Was wir brauchen sind nicht verhandelbare demokratische Prinzipien."

Marion Kraske Politologin und Journalistin, 2017-2021 Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung Sarajevo.