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Politik

Bosnien-Herzegowina: Haftbefehl gegen Protestführer

3. Januar 2019

In der serbisch dominierten Republika Srpska in Bosnien-Herzegowina beginnt das Jahr 2019 mit neuen Spannungen. Mitglieder einer Protestbewegung werden per Haftbefehl gesucht, ein Abgeordneter sitzt hinter Gittern.

Bosnien und Herzegowina Proteste in Banjaluka
Davor Dragicevic will Gerechtigkeit für seinen ermordeten Sohn David Bild: picture-alliance/AP Photo/A. Emric

Der Kellner Davor Dragicevic hat die Bürgerinitiative "Gerechtigkeit für David" gegründet, nachdem sein 21-jähriger Sohn im März 2018 ermordet wurde. Seit neun Monaten protestieren er und seine Mitstreiter im Zentrum von Banja Luka, der Hauptstadt der Republika Srpska, und fordern eine unabhängige Untersuchung der Umstände des Mordes.      

Das neue Jahr beginnt mit Haftbefehlen gegen Davor Dragicevic und seine engsten Mitstreiter. Sie sollen Drohungen gegen mehrere Personen, unter anderem Politiker, auf den Protestkundgebungen geäußert haben. Außerdem wurde am 1. Januar ein junger Abgeordneter des Parlaments der Republika Srpska, Drasko Stanivukovic, verhaftet. Kurz davor hatte er erklärt, die Machthaber würden ihn zum Staatsfeind machen wollen und einen Scheinprozess anstreben, weil er die Proteste unterstütze.

Wo sich der per Haftbefehl gesuchte Anführer der Protestbewegung zur Zeit aufhält, ist nicht bekannt. Davor Dragicevic kämpfte zwischen 1992 und 1995 als Soldat in der Armee der bosnischen Serben gegen bosniakische und kroatische Einheiten und wurde mehrfach verwundet. Nach dem Krieg heiratete er zum zweiten Mal und lebte mit David, seinem Sohn aus der ersten Ehe, sowie mit seiner zweiten Frau und zwei weiteren Kindern in einem Haus in Banja Luka. David studierte Elektrotechnik und schrieb gerne Rap-Songs. In der Nacht auf den 18. März 2018 verschwand er, wenige Tage später wurde seine Leiche am Ufer eines Flusses gefunden. Der Vater des Toten hakte nach - und bekam keine Antworten 

Tausende von Menschen haben sich der Protestbewegung angeschlossen Bild: picture-alliance/AP Photo/A. Emric

Die offizielle Erklärung der Polizei: In der Todesnacht soll David eine Prügelei mit drei Personen angezettelt und einen Wohnungseinbruch begangen haben. Daraufhin sei er von einer Brücke in den Fluss gesprungen. Doch Davids Vater und seine Freunde hielten diese Untersuchungsergebnisse für voreilig, sie hakten nach, bekamen aber keine Antworten. Daraufhin gründeten sie die Facebook-Gruppe "Gerechtigkeit für David", aus der sich die Protestbewegung in Banja Luka entwickelt hat. Sie glauben, dass David gefoltert, vergewaltigt und zu Tode geprügelt wurde - und dass die Behörden mitschuldig sind. Im April 2018 drohte Davor Dragicevic auf einer Protestkundgebung mit einer Anzeige gegen den Polizeipräsidenten und den zuständigen Minister in der Republika Srpska - wegen Vertuschung und Mittäterschaft. Im Mai erstattete er tatsächlich Anzeige.

Der verzweifelte Vater ging täglich auf die Straße und redete vor einer immer größeren Menge, auch Teile der Opposition schlossen sich den Forderungen der Bürger an - kein angenehmer Anblick für die Machthaber im Wahljahr 2018. Der führende Politiker in der serbisch dominierten Teilrepublik ist seit 2006 Milorad Dodik mit seinem Bund der unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD), einer Partei, die trotz ihres Namens als nationalistisch und populistisch einzustufen ist. Nach dem Muster von Putin und Erdogan bekleidete er bereits unterschiedliche Ämter, unter anderem das des Premiers und des Präsidenten der Republika Srpska. Bei den Wahlen im Herbst 2018 gelang es Dodik, zum Vertreter der Serben im dreiköpfigen Staatspräsidium von Bosnien-Herzegowina zu werden.    

Hetzkampagnen und Beschuldigungen gegen die Protestbewegung 

Dodik behauptete immer wieder, hinter den Protesten in Banja Luka würden Personen stecken, die die Republika Srpska zerstören wollten. Solchen Anschuldigungen folgte eine Hetzkampagne in den regierungstreuen Medien: Die Demonstranten seien Verräter, Terroristen und Söldner des US-Milliardärs George Soros.

Trotz dieser aufgeheizten Stimmung gelang es der Opposition, im Parlament einen Untersuchungsausschuss zum Fall David einzusetzen. Das Ergebnis: Es gebe Indizien dafür, dass der junge Mann durch Fremdverschulden gestorben sei. Die Regierungsmehrheit verhinderte es im Parlament, dass die Empfehlungen dieses Ausschusses verabschiedet werden, doch die Staatsanwaltschaft nahm trotzdem die "Untersuchung gegen Unbekannt" auf. Die Polizei musste zugeben, dass der Pathologie-Bericht Tatsachen verzerrt hatte. Auch die Behauptung, David habe vor seinem Tod harte Drogen genommen, wurde zurückgenommen. 

Trotzdem gehen die Anfeindungen weiter. Vladimir Kovacevic, ein Journalist, der kritisch über den Fall David berichtete, wurde sogar krankenhausreif geprügelt - von einem Boxkämpfer aus einem privaten Boxverein, der dem Trauzeugen von Milorad Dodik gehörte.

Milorad Dodik ist inzwischen ein Mitglied des dreiköpfigen Staatspräsidiums von Bosnien-Herzegowina Bild: picture alliance/AP Photo/D. Vojinovic

Verhaftungen und Polizeigewalt in Banja Luka 

Dodik selbst äußerte sich immer wieder arrogant und beleidigend über die Bürgerproteste. Bei einer Kundgebung in der heißen Phase des Wahlkampfs im Herbst sagte er, Davor Dragicevic werde es "am 8. Oktober dort nicht mehr geben" (dem Tag nach den Wahlen). Diese offene Drohung relativierte er in serbischen Medien, wo er gerne den gemäßigten Staatsmann gibt.

Im Herbst war der prominente kroatische Anwalt Ante Nobilo aus dem vierköpfigen Team zurückgetreten, das Davor Dragicevic juristisch unterstützte. David sei zwar einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen, sagte Nobilo, doch Vergewaltigung und Folter hätten nicht stattgefunden und die Behörden seien nicht involviert. Davor Dragicevic sagte später, Nobilo sei ein Opfer des "Drucks von Dodik". Daraufhin forderten die Demonstranten in Banja Luka, dass nicht nur die Polizeispitze geht, sondern auch Dodiks Polit-Elite. 

Am 25. Dezember verhaftete die Polizei in Banja Luka Davor Dragicevic, seine Ex-Frau, mehrere weitere Demonstranten, einen Parlamentsabgeordneten und den Oppositionsführer, später wurden alle wieder freigelassen. Doch diese Festnahmen, das harte Vorgehen der Polizei gegen die Demonstranten Ende Dezember und die Haftbefehle im neuen Jahr haben die Bürger nicht eingeschüchtert: Sie kündigen weitere Proteste an.     

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