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Politik

Behindert von nationalen Interessen

Nenad Pejić
7. Juni 2020

In Bosnien, Kroatien und Serbien stehen Wahlen an. Die Regierenden geben vor, die Korruption zu bekämpfen - und fordern die Bürger auf, sich unter der Nationalflagge zu versammeln.

Westbalkan-Konferenz in Berlin
Bei der Westbalkan-Konferenz in Berlin 2018 halten Mitarbeiter des Auswärtigen Amts Fahnen fest, die umzukippen drohenBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Am 21. Juni sollen in Serbien Parlamentswahlen stattfinden. Unabhängig davon beschloss die Regierung des benachbarten Montenegro aufgrund einer epidemiologischen Analyse gerade, die Landesgrenzen für Bürger einiger Länder zu öffnen. Dass Serbien nicht darunter ist, impliziert für die serbische Premierministerin Ana Brnabić, dass Serben in Montenegro "unerwünscht" seien. Serbien werde die Interessen des serbischen Volks verteidigen, erklärte sie.

Außenminister Ivica Dačić zog derweil mal wieder das Thema Kosovo aus dem Hut; die ehemalige serbische Provinz sei Kern des serbischen nationalen Interesses, Serbien werde seinen Widerstand gegen die Anerkennung Kosovos als selbstständiger Staates nicht aufgeben. Serbien sei "behindert von nationalen Interessen", fasst die bekannte Soziologin Vesna Pešić zusammen.

Während die gespaltene und schwache Opposition behauptet, im Lande dominiere ein anti-demokratischer Radikalismus, verspricht Präsident Aleksandar Vučić höhere Gehälter im Gesundheitswesen und besucht Baustellen. Den Auftakt zum Wahlkampf beging er in einem leeren Raum mit 286 Bildschirmen, auf denen seine Anhänger applaudierten.

Viele in Serbien finden das grotesk. Doch das ändert nichts daran, dass die regierende "Serbische Fortschrittspartei" SNS und ihr Chef das Land immer totaler kontrollieren. Der Patriarch der serbisch-orthodoxen Kirche nennt Vučić demütig "Sohn Gottes".

April 2019: Angela Merkel und Emmanuel Macron begrüßen Serbiens Präsidenten Aleksandar Vucic und Ministerpräsidentin Ana Brnabic zur Balkan-Konferenz in BerlinBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Verfahren gegen Whistleblower

Ein Whistleblower machte öffentlich, dass der Vater des Polizeiministers Waffen aus serbischer Produktion zum Vorzugspreis kauft und an Dritte verkauft. Ein Gericht leitete ein Verfahren ein - gegen den Whistleblower.

In ihrem Jahresbericht 2019 kam die Europäische Kommission zu dem Schluss, dass die Reformen der vergangenen Jahre in Serbien nicht dazu beigetragen haben, die Korruption zu bekämpfen. Der jüngste Bericht der liberalen US-Nichtregierungsorganisation Freedom House stuft den EU-Kandidatenstaat als Hybrid zwischen Demokratie und Diktatur ein. Europäischen Kommission und Reporter ohne Grenzen sehen das ähnlich.

Ähnliche Wahlkampf-Methodologie

Im benachbarten Kroatien stehen am 5. Juli Wahlen an. Auch wenn das Land EU-Mitglied ist: Die Methodologie des Wahlkampfs ist auffällig ähnlich wie im EU-Kandidatenstaat Serbien. Vergangene Woche genehmigte das Verfassungsgericht die Verwendung des Symbols des von den Nazis nach der Besetzung Jugoslawiens 1941 eingerichteten "Unabhängigen Staates Kroatien" (NDH) bei einem Konzert. Auch im offiziellen Wappen einer Einheit des kroatischen Militärs ist das Symbol der Kollaborateure erlaubt. Für seine offene Kritik an dieser Geschichtsvergessenheit wurde der Staatspräsident beschimpft.

Der Gedenkstein für die Opfer der "Tragödie von Bleiburg" in der Nähe der gleichnamigen österreichischen StadtBild: picture-alliance/EXPA/APA/O. Hoher

Kroatien war klug genug, kein Gedenken an die Opfer der sogenannten Tragödie von Bleiburg innerhalb seiner Landesgrenzen zu organisieren. Stattdessen unterstützte das Land ein Messe für die 1945 von Partisanen getöteten NDH-Soldaten in der Hauptstadt des benachbarten Bosnien, Sarajevo, um internationale Konsequenzen zu vermeiden. Zwar protestierten Tausende gegen die Veranstaltung - aber ihr Ziel wurde erreicht: Geschichte wurde umgeschrieben, die Nation weiter geeint und der Flirten mit rechtsextremen Wählern wird bei den Wahlen Stimmen bringen.

Die Regierung schützt den Ruf der Regierung

Der neuste Korruptionsskandal dreht sich um Windparks. Mitglieder der Regierungspartei wurden verhaftet, einige aus dem direkten Umfeld von Premierminister Andrej Plenković. Der erklärte, seine Regierung wolle "nicht an Handlungen beteiligt sein, die den Ruf der Regierung schädigen".

Mittlerweile taucht bei der Untersuchung des Name des stellvertretenden Leiters von Plenkovićs Kabinetts auf. In einer Reaktion stellte die Regierung die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft in Frage - die daraufhin das Gesetz zitierte, das besagt, dass "jede Form von Einfluss verboten ist, insbesondere jede Form von Zwang gegen Staatsanwälte und stellvertretende Staatsanwälte". Während der laufenden Amtszeit hatten mehrere Minister wegen persönlichen Beteiligung an Korruptionsskandalen zurücktreten müssen.

Millionen für unbrauchbare Beatmungsgeräte

Im zwischen Kroatien und Serben liegenden Bosnien-Herzegowina wird wohl im Oktober gewählt. Gerade wurden fünf Millionen Euro verschwendet, weil die Regierung ein eigentlich zur Herstellung von Himbeeren zugelassenes Unternehmen beauftragt hatte, Beamtungsgeräte für COVID-19-Fälle zu organisieren, die sich als unbrauchbar herausstellten. Die Staatsanwaltschaft ließ drei Personen festnehmen, darunter den Premierminister einer der föderalen Einheiten des Landes.

Bakir Izetbegović, Vorsitzender der bosnischen "Partei der demokratischen Aktion" (SDA)Bild: DW/S. Huseinovic

Der regierende "Partei der demokratischen Aktion" (SDA) gelang es jedoch, eine Haftentlassung zu erreichen und den der Korruption Verdächtigen wieder ins Amt einzusetzen. SDA-Chef Bakir Izetbegović spielte die nationale Karte: Die Anklage sei eine Fortsetzung der Angriffe seine Partei und das Volk der Bosniaken, das sie vertrete.

Brüssel wird es nicht richten

Ein Video über den Kauf von Wählerstimmen in einem anderen Teil des Landes ging zwar in den sozialen Medien viral – wurde aber von den von Behörden ignoriert. Im gesamten Jahr 2019 wurde nur ein einziges Urteil wegen Korruption verkündet – und zwar ein Freispruch!

Der Übergang zu einer demokratischen Gesellschaft ist überall lang - aber in den post-jugoslawischen Staaten scheint er endlos. Die Balkankriege sind über zwei Jahrzehnte vorbei. Wenn die politischen Führer nicht wollen, dass der Übergang zu Frieden und Demokratie weitere zwanzig Jahre dauert, müssen sie vor allem die Rhetorik des Konflikts aufgeben; die Rechtsstaatlichkeit strikt respektieren; und aufhören, auf Druck aus der EU zu warten, der sie zwingt, Reformen umzusetzen. Die Lösung für die Probleme ihrer Länder liegt nicht in Brüssel, sondern zu Hause.