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Bosnien: Ort eines europäischen Islam?

Nedad Memić 20. Mai 2016

In Bosnien-Herzegowina ist der Islam seit Jahrhunderten Teil Europas. In der Diskussion um den Islam spielen die Erfahrungen der bosnisch-herzegowinischen Muslime aber kaum eine Rolle. Nedad Memić findet das kurzsichtig.

Sarajevo Brücke mit Moschee (Foto: DW/Nedad Memic)
Bild: DW/N. Memic

"Geliebter Herr, hilf und unterstütze unseren erhabenen Kaiser Franz Joseph I. und stärke sein Heer. Geliebter Herr, sorge für seine Zufriedenheit und den Schutz und Wohlstand seines Königreichs." So lautet ein Auszug aus dem Gebet des bosnischen Großmufti Džemaluddin Čaušević. Anlass dafür war vor mehr als hundert Jahren der Geburtstag des österreichisch-ungarischen Kaisers und Königs Franz Josef. Bereits 1882 hatte Österreich-Ungarn dem osmanischen Sultan die Organisation des religiösen Lebens der bosnischen Muslime entrissen. Die Ernennung des Großmufti und des Gelehrtenrats lag seitdem direkt in der Hand des Kaisers. Es entstand eine weltweit einzigartige Organisation und Hierarchie des islamischen Glaubens.

DW-Autor Nedad Memić stammt aus SarajewoBild: DW/E. Numanovic

Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Bosnien-Herzegowina (Islamska zajednica u Bosni i Hercegovini) und ihre Organe funktionieren heute auf dem Prinzip des Säkularismus und sind autonom. "Die Autonomie der Islamischen Glaubensgemeinschaft bringt viele Vorteile für eine eigenständige Behandlung von Religionsfragen, aber auch viel Verantwortung“, sagt Amir Duranović. Der bosnische Zeithistoriker und Experte für die Fragen der Islamischen Glaubensgemeinschaft betont, im Unterschied zu Bosnien-Herzegowina würden die meisten muslimischen Länder Fragen der Religion durch staatliche Institutionen regeln.

Säkular und moderat

Die Weltöffentlichkeit beschreibt den bosnischen Islam und die Bosniaken häufig als "moderat". Die Gründe dafür sind vielfältig: Die bosnisch-herzegowinischen Muslime leben seit Jahrhunderten in einer christlichen Umgebung. Mit ihren serbisch-orthodoxen und kroatisch-katholischen Nachbarn teilen sie größtenteils die Sprache und Kultur. Insbesondere im sozialistischen Jugoslawien spielte die Religion im öffentlichen Leben eine Nebenrolle - dies betraf auch die Muslime. Die Bosniaken fühlten sich zwar weiter ihrem islamischen Erbe verbunden. Doch im Laufe des 20. Jahrhunderts setzte ein Säkularisierungsprozess ein, der den Islam zwar weiterhin als den wichtigsten Pfeiler der kulturellen und nationalen Identität betrachtete, seine Rolle im politischen oder gesellschaftlichen Leben aber minimierte. 1985 bezeichneten sich lediglich 15 Prozent der Muslime in Jugoslawien als gläubig.

Papst Statue im Zentrum des mehrheitlich von Muslimen bewohnten SarajevoBild: DW/N. Memic

Einschnitt Krieg

Doch mit dem Beginn des Bosnienkrieges 1992 ändert sich für die bosnisch-herzegowinischen Muslime alles. Drei Jahre lang werden sie bis 1995 zum Hauptziel einer systematischen ethnischen Säuberung, von Vertreibung, Massenmord und dem einzigen Völkermord auf europäischem Boden nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Forschungs- und Dokumentationszentrum in Sarajevo verfügt über die verlässlichsten Daten zu den Opfern des Bosnienkrieges. Nach seinen Angaben liegt der Anteil der bosnisch-herzegowinischen Muslime unter den zivilen Opfern bei über 80 Prozent! Der Krieg hat die Rolle des Glaubens für die Muslime in Bosnien-Herzegowina bei der Schaffung ihrer Nation deutlich aufgewertet. So wie orthodoxe Serben und katholische Kroaten bekennen sich heute über 90 Prozent der muslimischen Bosniaken in Bosnien-Herzegowina zu ihrer Religion. Und doch hat der Islam in Bosnien-Herzegowina im Wesentlichen seine europäische Prägung behalten.

Irrwege des Radikalismus

Einem Besucher aus dem arabischen Raum können bosnisch-herzegowinische Muslime durchaus merkwürdig vorkommen: Nur die wenigsten muslimischen Frauen tragen ein Kopftuch. Noch nicht einmal in Moscheen sind Männer und Frauen strikt getrennt. Frauen und Männer reichen einander zur Begrüßung ganz natürlich die Hand.

Zugleich mehren sich Medienberichte über Bosnien-Herzegowina als IS-Stützpunkt. Tatsächlich wächst seit den 1990er Jahren und der Teilnahme sogenannter Mudschahedin im Bosnienkrieg der Einfluss aus dem arabischen Raum und der Türkei. Saudi-Arabien oder die Golfstaaten haben den Bau zahlreicher Moscheen und Bildungseinrichtungen finanziert. Studenten und Touristen aus der Türkei und dem arabischen Raum strömen nach Bosnien-Herzegowina. Von arabischen Großinvestoren gebaute Einkaufszentren sind zu den neuen Wahrzeichen bosnischer Städte geworden.

Bosnien-Herzegowina gehört zu den europäischen Ländern mit der größten Zahl von IS-Kämpfern pro Kopf der Bevölkerung. Die meisten dieser selbst ernannten Gotteskrieger kommen aus einigen abgelegenen und mittlerweile streng beobachteten Salafistendörfern. In den letzten 20 Jahren hat der traditionelle bosnische Islam Konkurrenz in parallelen salafistischen Strukturen bekommen. Mit dieser Konkurrenz setzt sich die islamische Glaubensgemeinschaft erst in jüngster Zeit aktiv auseinander - viele sagen zu spät.

Moschee in Sarajevo: Von Saudi-Arabien finanziertBild: picture-alliance/dpa/F. Demir

Erfahrungen nutzen

Klar ist: Die überwältigende Mehrheit der bosnisch-herzegowinischen Muslime lehnt die salafistische Ideologie ab. Trotz wachsender Religiosität und Kriegstraumata beharren sie weiterhin auf einem europäischen Lebensstil. Dies zeigt sich auch in dem hohen Niveau ihrer Integration, etwa in Deutschland oder Österreich - neben Schweden und den USA sind das nach wie vor die klassischen Auswanderungsländer der Bosniaken. Ob längerfristig der arabische Einfluss in Bosnien-Herzegowina weiter zunimmt, hängt auch von den Europäern ab: Solange europäische Investoren Bosnien-Herzegowina den Rücken kehren, wird das Land im arabischen Raum, der Türkei oder auch Russland nach Geldgebern suchen müssen. Dass in einem der ärmsten Länder Europas mit Geld auch politischer oder religiöser Einfluss einhergeht, liegt auf der Hand. Die Muslime Bosnien-Herzegowinas haben durch Jahrhunderte ihre kulturelle Eigenständigkeit bewahrt. Sie haben dabei das nötige Gespür für das Miteinander mit anderen Religionen entwickelt: Es wäre an der Zeit, dass die EU dies anerkennt - und Bosniaken und ihre Erfahrungen als wichtige Bausteine im europäisch-islamischen Dialog nutzt.


Der promovierte Germanist Nedad Memić stammt aus Sarajewo und lebt als Journalist in Wien.

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