Bosniens enormer Staatsapparat
20. Mai 2010"Bosnien-Herzegowina gibt die Hälfte seines Bruttosozialprodukts für die Staatsverwaltung aus. In anderen Ländern übersteigen die Ausgaben nicht mehr als zehn Prozent", sagt Wirtschaftsexperte Eldar Dizdarevic. "Selbst volkswirtschaftlich starke Länder könnten einen solchen Staatsapparat nicht halten.“ Die Wirtschaft in Bosnien sei dagegen schwach, meint Dizdarevic, weil das Land im Krieg 1992 bis 1995 zerstört wurde und der Binnenmarkt vor ausländischer Konkurrenz ungeschützt sei.
Eines der Hauptprobleme sind die hohen Ausgaben für Personalkosten. "Auf allen Ebenen der Staatsverwaltung gibt es eine enorme Überbeschäftigung", so Dizdarevic. Er erinnert daran, dass unter anderem wegen eines aufgeblasenen Staatsapparats auch das wirtschaftlich viel stärkere EU-Mitglied Griechenland fast vor dem Kollaps stehe. "Es gibt kein Ministerium mit weniger als vier oder fünf Beratern und keines, dass nicht 20 bis 30 Prozent mehr Personal beschäftigt als nach Optimierungskriterien erforderlich ist", rechnet Dizdarevic vor.
Kostspielige Herzegowina
Der teure Staatsapparat geht in Bosnien-Herzegowina auf die vielen verschiedenen Regierungsebenen zurück. Es gibt die gesamtstaatliche Ebene, darunter die Serbenrepublik und die bosnisch-kroatische Föderation. Letztere teilt sich noch einmal in Kantone auf. Auf diesen drei Ebenen sind rund 260 Minister und Abgeordnete im Amt. Dem Verwaltungsexperten Sanel Huskic zufolge gehört Bosnien-Herzegowina deswegen mit seinen 4,5 Millionen Einwohnern zu den Staaten mit den meisten Ministern im Verhältnis zur Bevölkerungszahl. "Wenn man dem noch die Zahl der Beschäftigten in den 137 Kommunen hinzufügt sowie die Zahl der Staatsbediensteten in diversen Agenturen, kann man daraus schließen, dass Bosnien-Herzegowina ein ausgesprochen teurer Staat ist.", folgert Huskic.
Großer Reformwiderstand
Die bosnisch-kroatische Föderation mit ihren zehn Kantonen gebe 70 Prozent des Budgets für die Verwaltung aus. Nach Abzug dieser Ausgaben bleibe kaum Geld für staatliche Entwicklungsanreize im Lande. Dies sei für die Machthaber jedoch irrelevant, denn die Regierungsparteien hätten die Verwaltung mit ihren Leuten besetzt, ihrem treuen Wählerstamm. "Deswegen ist es für die Regierenden von vitalem Interesse, diese Wählerstimmen zu halten", so Huskic. Bislang hätten sich die Regierungsparteien erfolgreich gegen Versuche gewehrt, die Kantone abzuschaffen oder wenigstens deren Zahl zu verringern. Besonders der Vorschlag sie abzuschaffen, stoße auf enormen Widerstand, sagt Huskic. Dies habe auch die harsche Reaktion der Regierungsparteien wieder gezeigt. Einen entsprechenden Vorschlag von der Vorsitzenden der Südosteuropa-Delegation des Europäischen Parlaments, Doris Pack, lehnten sie ab.
Stufenweise Verschlankung?
Dem Verwaltungsexperten Huskic zufolge ist aber eben diese Verschlankung des Systems in der Föderation erforderlich. Die Kantone sollten allerdings nicht zeitgleich, sondern stufenweise aufgelöst werden. "In der Föderation sollten zunächst einige Kompetenzen von den Kantonen auf die höhere Ebene übertragen werden. Zugleich sollten Kantone zusammengelegt werden. Es gibt keinen Bedarf für zehn Kantone, wenn es möglich ist, alles in drei Kantonen zu organisieren", schlägt Huskic vor.
Dass Bosnien-Herzegowina die höchsten Verwaltungskosten in Europa hat, bestätigte kürzlich selbst der Finanzminister der Föderation, Vjekoslav Bevanda. Diese Tatsache sei bereits seit Jahren bekannt, allerdings scheitere jeder Reformversuch. Stattdessen werden die Haushaltslöcher durch Anleihen beim Internationalen Währungsfonds und der Weltbank gestopft. Nach Einschätzung von Experten kaufen die bosnischen Politiker damit den sozialen Frieden vor den im Herbst anstehenden Wahlen.
Autoren: Samir Huseinovic / Mirjana Dikic
Redaktion: Gero Rueter