Bosnien: Serbenführer Dodik muss nicht ins Gefängnis
27. Februar 2025
Der Bundesgerichtshof, das höchste Gericht von Bosnien und Herzegowina, hat den Präsidenten des serbisch dominierten Teils des Westbalkanlandes, der Republika Srpska (RS), Milorad Dodik, zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Hinzu kommt ein sechsjähriges Verbot, sein Amt auszuüben. Das Gericht teilte zudem mit, dass Dodik infolge seiner Verurteilung auch nach Absitzen seiner Strafe keine Ämter annehmen darf, die aus öffentlichen Mitteln finanziert werden.
Die Richter in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo hatten Dodik für schuldig befunden, Beschlüssen des Hohen Repräsentanten (HR) nicht nachgekommen zu sein. Der HR ist seit Ende des Krieges 1992-1995 der höchste Vertreter der internationalen Gemeinschaft in dem 3,2-Millionen-Einwohner-Staat. Dodik hatte im Juni 2023 ein Gesetz unterzeichnet, demzufolge Urteile des bosnischen Verfassungsgerichts und Entscheidungen des HR in der serbischen "Entität" Bosniens nicht umgesetzt werden.
Der amtierende Hohe Repräsentant, der ehemalige deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU), hatte das umstrittene RS-Gesetz für nichtig erklärt. Zudem hatte Schmidt das Strafgesetzbuch Bosniens dahingehend geändert, dass Handlungen, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung des Landes verstoßen, als Straftat behandelt werden - was zu dem Prozess führte.
Es wird erwartet, dass Dodik Berufung gegen das Urteil einlegt. Das entsprechende Verfahren könnte bis zu einem Jahr dauern. Erst dann wird ein endgültiger Richterspruch verkündet - und bis dahin ist das Urteil nicht rechtskräftig. Das heißt auch, dass Dodik vorerst weiter öffentliche politische Funktionen ausüben kann - einschließlich der des Präsidenten der RS, die er derzeit innehat.
Ein "monströses Gerichtsverfahren" - und "kein Grund zur Sorge"
Während die Dodik-Vertraute und serbische Vertreterin im Präsidium des Gesamtstaats Bosnien und Herzegowina, Zeljka Cvijanovic, den Prozess als "monströses Gerichtsverfahren" bezeichnete, verkündete der Verurteilte selbst vor in der RS-Hauptstadt Banja Luka versammelten Anhängern, es gebe "keinen Grund zur Sorge". "Wichtig ist, dass ihr hinter mir steht", so der RS-Präsident.
Im benachbarten Serbien berief Präsident Aleksandar Vucic nach dem Urteil eine Dringlichkeitssitzung des Nationalen Sicherheitsrates ein. Das serbische Staatsoberhaupt und der RS-Präsident sind seit langem Verbündete, die die speziellen Verbindung zwischen Serbien und der RS betonen.
Herrschaft des Populismus
Miodrag Zivanovic, Psychologe und politischer Analyst aus Banja Luka, meint, die Unterstützungskundgebung für Dodik nach dem Gerichtsurteil sei Ergebnis der "langjährigen Herrschaft des Populismus" in der RS: "Unsere Politiker entfernen sich immer weiter von den einfachen Leuten", so Zivanovic gegenüber der DW. "Die Kundgebung in Banja Luka ist ein karikaturhaftes Beispiel dafür, wie sehr politische Führer zum reinen Selbstzweck geworden sind."
Die Opposition im RS-Parlament beklagt derweil, Dodik und seine Partei, der Bund Unabhängiger Sozialdemokraten (SNSD) habe "eine Atmosphäre des Lynchmordes und der Spaltung in der RS verursacht". Dodiks Politik basiere darauf, Angst und Hass zu verbreiten. "Alle, die nicht bereit sind, ihm zu folgen, wurden zu Verrätern erklärt", so der Vorsitzende der oppositionellen Serbischen Demokratischen Partei (SDS), Milan Milicevic.
Wer hätte Dodik verhaftet?
Sarah Hees-Kalyani, Leiterin des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bosnien und Herzegowina, begrüßt das Urteil gegen Milorad Dodik "als einen Schritt zur Stärkung des Vertrauens in das Justizsystem von Bosnien und Herzegowina". "Das Urteil zeigt, dass niemand über dem Gesetz steht", sagt Hees-Kalyani der DW. "Die Gefängnisstrafe wird Dodik jedoch problemlos durch Zahlung einer Kaution in Haftverschonung umwandeln können."
Da Dodiks Strafe die Dauer von einem Jahr nicht überschreite, hätten die Richterinnen und Richter sich und allen Beteiligten zudem die kritische Frage erspart, wer die Vollstreckung einer Haftstrafe durchgeführt hätte, so Hees-Kalyani weiter. Immerhin aber hätten Staat und Justiz in der Öffentlichkeit ihre Interessen verteidigt und Resilienz gezeigt. "Und der Hohe Repräsentant kann darauf verweisen, dass Verstöße gegen die Verfassung geahndet werden."
Stephan Raabe, Leiter der Repräsentanz der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sarajevo meint, dass das Urteil gegen Dodik vor allem "eine rechtliche Klärung in einem institutionellen Streit" darstelle. Deshalb sei es "unerlässlich" gewesen. "Die Atmosphäre [in Bosnien] ist angespannt, der Hintergrund des Prozesses ist ein institutioneller Konflikt im Zusammenhang mit der Nichtbefolgung der Entscheidungen des Hohen Repräsentanten und des Verfassungsgerichts. So etwas stellt natürlich das Funktionieren des Staates an sich in Frage", so Raabe im Gespräch mit der DW.
Drohungen aus der RS
Derweil sind beim bosnischen Staatsschutz, der Staatlichen Ermittlungs- und Sicherheitsagentur (SIPA), sowie bei der Staatsanwaltschaft des Landes Informationen über Drohungen gegen die Richterin eingegangen, die den Prozess geleitet hatte. Politiker in der RS drohten mit Maßnahmen von der Aussetzung der Zusammenarbeit der Institutionen ihrer Entität mit dem bosnischen Gesamtstaat bis hin zur Unabhängigkeit der RS und einer Konföderation mit Serbien. Zudem wurde gefordert, die Zuständigkeit von SIPA sowie die der Staatsanwaltschaft und der Gerichte Bosniens für die RS aufzuheben.
Da diese Institutionen jedoch im Laufe vieler Jahre der Reformen mit Zustimmung aller Regierungsebenen im Land - also auch der RS - geschaffen wurden, können sie nicht durch einseitige Entscheidungen abgeschafft werden. Trotzdem werden die Drohungen aus der RS in der anderen Entität des Landes, der vor allem von bosnischen Muslimen ("Bosnjaken") und Kroaten bevölkerten Föderation Bosnien und Herzegowina, als Versuch interpretiert, den bosnischen Staat zu zerstören. Innenminister Ramo Isak sieht "Elemente eines Staatsstreichs" und kündigte an, jeden festnehmen zu lassen, der derartiges versuchen würde.
EUFOR und NATO werden keine Destabilisierung zulassen
Sowohl das NATO-Hauptquartier in Sarajevo als auch die europäische Friedenstruppe EUFOR erklärten, dass sie eine Destabilisierung Bosniens nicht zulassen - und notfalls auf derartige Versuche reagieren werden. Der bosnische Sicherheitsanalyst Vladimir Vuckovic sagt der DW, dass er in der Bevölkerung "kein Potenzial für ernsthafte Konflikte" sehe. Die derzeit rund 1.500 EUFOR-Soldaten reichten aus, um den Frieden im Land zu sichern.
Der Lenkungsausschuss des Rates für die Umsetzung des Friedens in Bosnien (PIC) rief zur Achtung der Unabhängigkeit der Justiz auf und bekräftigte seine "Unterstützung für die territoriale Integrität" des Landes "als souveräner Staat mit zwei Entitäten". "Bosnien und Herzegowina ist kein Gegenstand von Verhandlungen", erklärte auch HR Christian Schmidt. Er sprach auch mit dem NATO-Generalstabschef Matthew Wallace über die Sicherheitslage.
Dodik und andere Repräsentanten der RS erkennen Christian Schmidt nicht als Hohen Repräsentanten an. Sie meinen, der Deutsche sei nach seiner Berufung im Jahr 2021 nicht vom UN-Sicherheitsrat bestätigt worden. Das Büro des HR betont dagegen, dass der Sicherheitsrat den HR nicht formell ernennen muss, sondern dass dies in Übereinstimmung mit den entsprechenden UN-Resolutionen im PIC erfolgt.
Laut Friedensabkommen von Dayton hat der Hohe Repräsentant die Befugnis, Gesetze zu erlassen und Beamte abzusetzen, die sich nicht an das Abkommen halten. Zudem ist der HR oberster Interpret von Dayton. In den letzten Jahrzehnten hatten HR-Entscheidungen eine Schlüsselrolle bei der Stabilisierung von Bosnien und Herzegowina gespielt.
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf Bosnisch veröffentlicht. Bearbeitung: Rüdiger Rossig.