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Politik

30 Jahre Bosnien: Unabhängig und gespalten

Thomas Brey
1. März 2022

Nach Slowenien und Kroatien war Bosnien und Herzegowina das dritte Land, das aus dem zerbrochenen Vielvölkerstaat Jugoslawien hervorging. Doch Nationalisten verhindern bis heute, dass der gemeinsame Staat funktioniert.

Bosnien-Herzegowina Regierungsgebäude in Sarajevo
Die Fahne des gemeinsamen Staates Bosnien und Herzegowina vor dem Regierungsgebäude in der Hauptstadt SarajevoBild: DW/Mehmed Smajic

Wie gespalten die Bevölkerung Bosnien und Herzegowinas heute ist, zeigte sich einmal mehr anlässlich der völkerrechtswidrigen Invasion Russlands in der Ukraine: Während Bosniaken und Kroaten in dem Westbalkanland die Aggression Moskaus scharf verurteilten, zeigten viele bosnische Serben Verständnis für das russische Vorgehen. Diese Haltung steht sinnbildlich für das Grundproblem, das bereits den Gründungsakt des bosnischen Staates vor 30 Jahren überschattet hatte.

Am 1. März 1992 hatte sich die Bevölkerung des bis dahin zu Jugoslawien gehörenden Landes mit nahezu 100 Prozent der abgegebenen Stimmen für die Unabhängigkeit ausgesprochen. Doch die meisten Serben, die rund ein Drittel der Einwohner Bosniens stellten, boykottierten die Abstimmung. Sie schufen als Reaktion die sogenannte Republika Srpska als ihren eigenen Staat - außerhalb von Bosnien-Herzegowina. Es folgte ein blutiger Bürgerkrieg mit über 100.000 Toten und 2,3 Millionen Vertriebenen. Erst das militärische Eingreifen der NATO zwang die drei Konfliktparteien 1995 an den Verhandlungstisch und setzte einen Friedensvertrag durch.

Doch die von den USA und der EU oktroyierte Verfassung beendete zwar den Krieg - aber brachte keinen Frieden. Schon der komplizierte Staatsaufbau versprach von Anfang an nichts Gutes: Die orthodoxen Serben erhielten die Hälfte des Landes und eine sehr weitgehende Autonomie. Die andere Hälfte teilten sich die muslimischen Bosniaken, die etwa die Hälfte der Bevölkerung des Landes stellen, sowie die rund 15 Prozent der Bürger Bosniens, die katholische Kroaten sind. Als sei das nicht genug, wurde der bosnisch-kroatische Landesteil noch in zehn "Kantone" aufgeteilt. Und schließlich gibt es noch den "Brcko-Distrikt" ganz im Norden des Landes, der von den beiden "Entitäten" genannten Landeshälften gemeinsam regiert wird.

Die entsprechend aufgeblähte Verwaltung Nachkriegs-Bosniens verschlingt den größten Teil des Staatsbudgets. Die von Anfang an alles bestimmenden nationalistischen Parteien hetzen die Bevölkerung seit Kriegsende weiter gegeneinander auf. Im Schutz dieser populistischen Scheingefechte haben sie die öffentlichen Ressourcen unter sich aufgeteilt: große Staatsbetriebe, öffentliche Stromnetze, Straßen und Schienen, Banken, Medien oder die staatliche Lottogesellschaft. Diese Aufteilung der nationalen Reichtümer speist Korruption und Nepotismus, die allgegenwärtig sind und in der Regel straffrei bleiben. Denn auch die Justiz steht unter der Knute des nationalistischen politischen Establishments.

EU und USA laufen ins Leere

Mit vielen Milliarden Euro und einem Heer von Diplomaten und Experten hatten die USA und vor allem die EU von 1996 an versucht, den jungen bosnischen Staat aufzupäppeln. Doch angesichts des politischen Sumpfes im Land scheiterten alle Reformversuche und auch der Wiederaufbau der Wirtschaft wurde zur Bauchlandung. Zuletzt erlebte der ehemalige deutsche Agrarminister Christian Schmidt, der seit August 2021 als "Hoher Repräsentant" der internationalen Gemeinschaft in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo über die Einhaltung der Friedens wachen soll, ein regelrechtes Fiasko. Im November 2021 durfte er noch nicht einmal - wie seit Jahrzehnten bei seinen Vorgängern üblich - dem UN-Sicherheitsrat zur Lage in Bosnien berichten. Denn die UN-Vetomacht Russland erkennt Schmidt genauso wenig an wie die Politiker der bosnischen Serben.

Christian Schmidt ist seit August 2021 "Hoher Repräsentant" in Bosnien und HerzegowinaBild: Klix.ba

Die serbischen Nationalisten in Bosnien streben unter ihrem Spitzenpolitiker Milorad Dodik heute stärker denn je die Abspaltung ihres Landesteils vom Gesamtstaat an. Die Schaffung einer eigenen Arzneimittelagentur und die Vorbereitung für eine eigene Justiz, ein eigenes Steuersystem und eigenes Militär sind auf diesem Weg offensichtlich nur Zwischenschritte.

Europäische Fürsprecher der Nationalisten

Doch die EU kann Dodik nicht wie angekündigt mit Sanktionen für seine zerstörerische Politik bestrafen, weil er in den EU-Mitgliedern Ungarn und Kroatien mächtige Fürsprecher hat. Vor allem Kroatien hat dabei seine eigene Minderheit in Bosnien und Herzegowina im Blick. Die will gemeinsam mit den bosnischen Serben das Wahlgesetz zu ihren Gunsten ändern.

Dragan Covic (l.) und Milorad Dodik sind die Spitzenpolitiker der kroatischen und serbischen Nationalisten in BosnienBild: Klix

Deshalb geben sich Abgesandte Washingtons und Brüssels seit Monaten in Sarajevo die Klinke in die Hand: Sie wollen die drei zerstrittenen Nationalitäten in Bosnien zu Kompromissen in dem Dauerstreit bringen, der den bosnischen Staat blockiert. Doch bisher waren all ihre Bemühungen vergeblich: Kroaten und Serben wollen ihre Rechte in Bosnien und Herzegowina ausdehnen. Auf der anderen Seite streben die Bosniaken nach einem bürgerlichen Staat unter dem Motto "Eine Person - eine Stimme".

Pompöse Feste, bittere Armut

Aufgrund der ungelösten Streitigkeiten wird derzeit in Bosnien wieder immer öfter das Wort "Krieg" in den Mund genommen. Doch militärische Auseinandersetzungen sind unwahrscheinlich: Weder gibt es die Manpower noch die schweren Waffen dafür. Allerdings blutet das sozial und wirtschaftlich verarmte Land derweil durch den Massenexodus seiner Bürger weiter aus. Zählte man vor dem Krieg noch 4,4 Millionen Einwohner, so sind es heute noch geschätzte 3,3 Millionen; kritische Demoskopen meinen gar, dass heute tatsächlich nur noch 2,8 Millionen Menschen in Bosnien leben. Angesichts der Eskapaden ihrer politischen Führer dürften auch in Zukunft die Menschen in Richtung Ausland flüchten.

Dabei gibt es auch Leute, denen es in Bosnien gut geht: Im Jahr 2021 wurden die Bürger des Landes Zeugen der märchenhaften Hochzeit von Jasmina Izetbegovic, der Tochter des bosniakischen Spitzenpolitikers Bakir Izetbegovic, seinerseits Sohn des ersten bosnischen Präsidenten Alija Izetbegovic. Im selben Jahr zelebrierte der kroatische Top-Politiker Dragan Covic seinen 65. Geburtstag. Der aus armen Verhältnissen stammende Nationalist ließ sich dazu ein phantasievolles und heraldisch überladenes Familienwappen entwerfen, wofür er viel Spott erntete.

Die kroatische Zeitung Jutarnji list schlug mit Blick auf die pompösen Familienfeste der nationalen Führer und die bittere Armut der Bevölkerung Alarm: "Die nationalistischen und mafiösen Eliten haben es nicht mehr nötig, zu verbergen, was sie alles zusammengerafft haben", so das Blatt.