Bosnien und Herzegowina und der Krieg in Nahost
1. November 2023Wer sich die angespannte Weltlage mit einem neuen Ost-West-Konflikt erklärt, muss nach Bosnien und Herzegowina mit erheblicher Verwirrung blicken. So staunten schon die abendlichen Spaziergänger in Banja Luka, der Hauptstadt der Republika Srpska, am lauen 8. Oktober nicht schlecht, als sie den "Palast der Republik Srpska" in den Farben Israels leuchten sahen, mit einem großen Davidstern in der Mitte. Die Republika Srpska ist der Teil Bosnien und Herzegowinas, der mehrheitlich von bosnischen Serben bewohnt wird. Srpska-Präsident Milorad Dodik, gerade eben zurück aus Ankara, zeigte am Tag nach dem Terrorangriff der Hamas mit rund 1400 Toten demonstrativ Solidarität mit Israel. "Das serbische Volk" und "das Volk von Israel" seien durch "eine gemeinsame Leidensgeschichte eng verbunden" - eine Anspielung auf den Zweiten Weltkrieg, als Serben und Juden dem Völkermord durch das nationalistische kroatische Ustascha-Regime ausgesetzt waren.
In Sarajevo dagegen, wo seit dem Bosnien-Krieg von 1992-1995 gerade die mächtigsten Unterstützer Israels, die Amerikaner, als Befreier galten, überwog die Solidarität mit dem belagerten Gazastreifen. "Wir wissen, was es heißt, wenn es kein Wasser gibt, nichts zu essen, wenn Kinder getötet werden", rief Bürgermeisterin Benjamina Karic auf einer von der palästinensischen Gemeinde in Sarajevo organisierten Kundgebung aus und zog so eine Parallele zur serbischen Belagerung von Sarajevo vor 30 Jahren.
Verkehrte Welt
Was die Flaneure in Banja Luka an ihrem Republikspalast zu sehen bekamen, war eine Projektion - im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Seit dem Terrorangriff der radikal-islamistischen Hamas am 07.10.2023 und der israelischen Reaktion darauf vermischen sich in den Stellungnahmen der Politiker Empathie mit Israelis oder Palästinensern und die nationalen Interessen der eigenen Volksgruppe bis zur Unkenntlichkeit.
Dodik, sonst fest an der Seite des russischen Präsidenten und Hamas-Unterstützers Wladimir Putin, gibt die Kontroverse um den Nahen Osten Gelegenheit, die verhassten Mächtigen in der bosnischen Hauptstadt des Antisemitismus zu bezichtigen und obendrein seine Allianz mit den ebenfalls Sarajevo-kritischen Kroaten von der Nationalpartei HDZ zu festigen. Bei vielen Bosniaken dagegen, die - auch ohne religiöse Bindung - der "muslimisch-kulturellen Sphäre" zugerechnet werden, macht die Reaktion auf die Nachrichten aus Israel eine schleichende Entfremdung vom globalen Westen sichtbar.
Bemühung um Beruhigung der Lage
Die am meisten Betroffenen sind unterdessen um Beruhigung bemüht. Jakob Finci, der Vorsteher der kleinen jüdischen Gemeinde in Sarajevo, vermeidet polarisierende Statements, warnt lediglich vor wachsendem Antisemitismus und kritisiert "die ausbleibende Reaktion der Behörden". In einem Treffen mit der Bürgermeisterin und dem kroatischen Ko-Präsidenten Zeljko Komsic bekannten sich die jüdischen Vertreter zum "gemeinsamen Kampf gegen Antisemitismus und Islamophobie". Vorsorglich sagten die Veranstalter aber ein für den nächsten Mittwoch (08.11.2023) geplantes Konzert zum Gedenken an die Reichspogromnacht in Deutschland 1938 wegen Sicherheitsbedenken ab. Die jüdische Gemeinde in Bosnien, die bis 1941 mehr als 64.000 Mitglieder zählte, ist sehr klein. Bei der letzten Volkszählung von 2013 bekannten sich im ganzen Land nur noch 281 Menschen zur ethnisch-jüdischen Identität. Die Zahl der Juden im weiteren Sinne wird auf 1000 bis 1100 geschätzt.
Auch bei den muslimischen Organisationen steht das Bemühen im Vordergrund, kein Öl ins Feuer zu gießen. Die Islamische Glaubensgemeinschaft erklärte, "die Ungerechtigkeit, die die Palästinenser jahrzehntelang" hätten erleiden müssen, könne "keinen Terrorismus rechtfertigen, so wie Angriffe auf israelische Zivilisten keine Verfolgung palästinensischer Zivilisten rechtfertigen" könnten. Der Rat der bosniakischen Intellektuellen beschwor "fünf Jahrhunderte gemeinsames Schicksal von Muslimen und Juden in Bosnien" und versprach, "die Ehre der Juden zu schützen". Gleichzeitig verurteilte er den Terror der islamistischen Hamas. "Terroraktionen muslimischer militärischer und paramilitärischer Formationen" hätten "keine Verbindung zum Islam".
Krieg im Nahen Osten - Machtkampf in Bosnien und Herzegowina
Lokale Stellungnahmen sind oft vom Bemühen nach gleichem Abstand zu beiden Seiten getragen. So rief der Bürgermeister der ethnisch gespaltenen Stadt Mostar, ein gemäßigter Kroate, zur "Solidarität mit allen Kriegsopfern" auf und versicherte, man werde Kundgebungen zugunsten einer Seite im Nahostkrieg "nicht ermutigen oder unterstützen". Trotz Verbots fand am vergangenen Samstag (28.10.2023) eine große propalästinensische Kundgebung in Mostar statt. Tausende Teilnehmer schwenkten palästinensische Fahnen und forderten einen Waffenstillstand.
Eindeutigere Positionierungen dagegen lassen sich, wo sie erfolgten, weniger aus Sorge um den inneren Frieden oder der Haltung zum Nahen Osten als aus den jeweiligen Interessen im innerbosnischen Machtkampf erklären. Als klar pro-israelisch bekannten sich Dragan Covic, der Anführer der kroatischen Nationalpartei und Antagonist der bosniakischen Mehrheit in seinem Landesteil, der "Föderation", sowie seine Parteifreundin, die neue gesamtbosnische Regierungschefin Borjana Kristo. Komsic dagegen, derzeit Vorsitzender des Staatspräsidiums, gab sogar Verständnis für die Hamas zu erkennen und interpretierte deren Mord- und Entführungskampagne von Anfang Oktober als "Handlung verzweifelter Menschen, die im Terrorisieren von Zivilisten einen Ausweg sehen". Als die israelische Botschafterin Galit Peleg gegen diese Aussage protestierte, ließ Komsic sich zu einer ungewöhnlich rüden Replik hinreißen: Nur ein "böswilliger oder ein manipulierter Trottel" könne ihn so fehlinterpretieren. Obwohl als Kroate im dreiköpfigen Staatspräsidium, stützt sich Komsic auf eine überwiegend bosniakische Wählerschaft.
In den Reihen der führenden, neuerdings oppositionellen bosniakischen Nationalpartei SDA kam es vereinzelt auch zu aufstachelnden Statements. Das Präsidiumsmitglied Haris Zahiragic, das sich schon vor der jüngsten Eskalation mit radikalen, dezidiert anti-westlichen Äußerungen hervorgetan hatte, erklärte, "Widerstand in einem besetzten Land unter Apartheid" könne "nicht Terrorismus sein". Apartheid wird Israel immer wieder vorgeworfen - das israelische Außenministerium weist dies allerdings zurück. Serif Patkovic, ein prominenter Lokalpolitiker der Partei mit einer Vergangenheit als Anführer einer "muslimischen Brigade" im Bosnienkrieg, diente sich der Hamas sogar als Kämpfer an: "Zu einem gegebenen Zeitpunkt" stelle er sich "zur Verfügung". Zur ethnischen Polarisierung, so scheint es, ist jeder Anlass gleich willkommen.