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Politik

Bosnien-Herzegowina vor ungewisser Zukunft

Thomas Brey
30. Juli 2021

Der Dauerstreit zwischen den drei Volksgruppen hat das Balkanland in die Selbstblockade geführt. Die Aufweichung der völlig gegensätzlichen Positionen ist nicht in Sicht. Jetzt soll es der neue Hohe Repräsentant richten.

Bosnien und Herzegowina Sarajevo Fußgängerzone
Fußgängerzone in Sarajevo, der Hauptstadt von Bosnien und Herzegowina (April 2019)Bild: DW/D. Dedovic

Das zentrale Balkanland Bosnien und Herzegowina ist zum Zankapfel der internationalen Politik geworden. Die EU und die NATO würden das kleine Land mit 3,2 Millionen Einwohnern gern in ihre Strukturen einbinden. Doch das wird durch die Uneinigkeit von muslimischen Bosniaken, orthodoxen Serben und katholischen Kroaten verhindert. Russland will seinen Einfluss auf diese Region in Südosteuropa ausdehnen und die Annäherung an Brüssel verhindern. Die Bosniaken stellen die knappe Mehrheit und wollen gern den Zentralstaat stärken. Die Serben machen rund ein Drittel der Einwohner aus und möchten sich am liebsten abspalten und der benachbarten "Mutterrepublik" Serbien anschließen. Schließlich streben die Kroaten mit einem Anteil von rund 15 Prozent nach größerer Autonomie.

Die Lage ist trostlos

Der blutige Krieg in Bosnien-Herzegowina (1992-1995) konnte nur mit einem Friedensvertrag beendet werden, der einen hoch komplizierten Staatsaufbau etablierte - und damit das Land nahezu unregierbar machte: Die eine Landeshälfte wird von Serben kontrolliert. In der zweiten müssen sich Bosniaken und Kroaten die Macht teilen. Beide sogenannten Entitäten sind fast völlig unabhängig. In der bosniakisch-kroatischen Hälfte gibt es darüber hinaus noch 10 Kantone, die ebenfalls über ein hohes Maß an Autonomie verfügen. Und dann ist da noch das Gebiet um die Stadt Brcko im Norden, das von beiden Landeshälften gemeinsam regiert wird. Die Folge: Es gibt 13 Parlamente, 14 Regierungen und über 130 Minister.

Die Teilrepubliken von Bosnien und Herzegowina

Die aktuelle Lage ist trostlos: Bosnien-Herzegowina gehört gemeinsam mit Albanien und Kosovo zu den ärmsten Ländern Europas mit einer rekordverdächtigen Zahl von Arbeitslosen, worunter besonders viele junge Menschen sind. Diese Perspektivlosigkeit führt seit Jahren zur Massenemigration großer Teile der Bevölkerung, obwohl schon jetzt 40 Prozent der Vorkriegsbevölkerung im Ausland leben. Deren Überweisungen an die Verwandten zu Hause summieren sich jährlich auf 2,2 Milliarden Euro - immerhin rund elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Ohne sie wäre die soziale Lage der Bürger noch dramatischer. Die Infrastruktur ist in einem beklagenswerten Zustand. In den zweieinhalb Jahrzehnten seit dem Krieg sind zum Beispiel nur 100 Kilometer Autobahn gebaut worden. Im Nachbarland Kroatien waren es 1250 Kilometer.

Amtswechsel mit Hindernissen

Von diesem Sonntag an kommt der neue sogenannte Hohe Repräsentant der Vereinten Nationen ins Spiel. Dieses Amt war nach dem Krieg vom Ausland installiert worden, um die drei Völker, die sich gerade noch bekriegt hatten, zur Kooperation zu zwingen. Dafür erhielt der Repräsentant außerordentliche Vollmachten, die sogenannten Bonn Powers. Er kann Gesetze erlassen, geltende Gesetze außer Kraft setzen, Politiker ihrer Ämter entheben oder Verordnungen durchsetzen - an allen Parlamenten und Regierungen vorbei. Jetzt tritt der frühere deutsche Agrarminister Christian Schmidt dieses Amt an, das der österreichische Diplomat Valentin Inzko 12 Jahre ausgeübt hatte. Was kann der erfahrene Politiker in dieser festgefahrenen Lage ausrichten?

Christian Schmidt ist der neue Hohe Repräsentant für Bosnien und HerzegowinaBild: Lavinia Pitu/DW

Schon die Ernennung Schmidts führte den neuen Repräsentanten mitten hinein in die vielschichtigen Konflikte des Landes. Die Serben lehnen Schmidt ab und verlangen die Abschaffung der ganzen Funktion des Hohen Repräsentanten. Sie erhalten kräftige Rückendeckung von Russland und China, die gerade in der letzten Woche eine entsprechende Resolution im UN-Sicherheitsrat durchdrücken wollten. Sie scheiterten an den Vetos westlicher Staaten. "Das bedeutet eine Stärkung der Position des Hohen Repräsentanten und seiner Kompetenzen", interpretiert Schmidt diese Entscheidung des Sicherheitsrates im DW-Interview.

In jedem Fall beginnt die Amtszeit von Schmidt stürmisch. Sein Vorgänger Inzko hatte noch kurz vor seiner Abreise eine Änderung des Strafgesetzes verfügt, mit der mit Blick auf den von Serben begangenen Völkermord 1995 in Srebrenica die Leugnung des Genozids mit Strafen von bis zu fünf Jahren Gefängnis belegt wird. Die bosnischen Serben antworteten mit einem Boykott aller gesamtstaatlichen Institutionen wie des Parlaments oder der Staats- und Regierungsspitze. Sie wollen erzwingen, dass das "Inzko-Gesetz" zurückgenommen wird. Jede zukünftige Entscheidung des neuen Repräsentanten Schmidt sei für die serbische Landeshälfte bis dahin "null und nichtig", hieß es in einem All-Parteien-Beschluss.

Für die Mehrzahl der Serben ist klar, dass es überhaupt keinen Völkermord gegeben hat. Die renommierte Belgrader Zeitung "Politika" versuchte in dieser Woche, mit einem langen Artikel die Serben von allen Kriegsverbrechen reinzuwaschen. Vielmehr seien sie selbst seit Mitte des 19. Jahrhunderts immer wieder Opfer von Völkermorden gewesen, hieß es. Die weit verbreitete Zeitung "Novosti" brachte als Sonderbeilage ein internationales Gutachten unter dem Titel "Einen Völkermord gab es nicht!".

Christian Schmidt verweist darauf, dass das neue Genozid-Gesetz "Ethnie-neutral" ist: "Da geht es nicht darum, war einer Kroate oder war einer Serbe, sondern hat er etwas getan, was schuldträchtig ist", sagt er im DW-Interview. Er setzt darauf, durch Information den ethnischen Narrativen andere Perspektiven entgegenzusetzen, "und da sehe ich als Verbündeten in der Arbeit die junge Generation, die gegenwärtig indoktriniert wird - zum Teil in einer nicht akzeptablen Art und Weise."

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