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GesellschaftEuropa

Wie Bosnier nach Ethnie getrennt unterrichtet werden

22. August 2022

In einer Schule in der bosnischen Stadt Žepče werden Schüler unterschiedlicher Ethnien getrennt voneinander unterrichtet. Schülerinnen, Eltern und LehrerInnen kämpfen für eine Veränderung - doch die Schule hält dagegen.

Bosnien und Herzegowina | Schülerinnen und Schüler in Zepce
Bild: Kathrin Wesolowski/DW

Von außen wirkt der Schulhof der "Srednja mješovita škola Žepče", auf Deutsch etwa "gemischte Mittelschule Žepče", wie ein ganz normaler Pausenhof: Die Schüler lachen, unterhalten sich, tippen auf ihren Handydisplays herum. 

Doch als ich das Gebäude betrete, sehe ich noch einmal zwei Eingänge: rechts einen für die ethnischen weitgehend katholischen Kroaten, links einen für die weitgehend muslimischen Bosniaken. Die Flure und Klassenräume beider Seiten sehen gleich aus, doch unterrichtet werden die Schüler nach Ethnie getrennt - von unterschiedlichen Lehrkräften. 

Es gibt sogar zwei verschiedene Schulglocken, die zeitversetzt klingeln. Damit sich die Schüler der verschiedenen Ethnien nicht im gemeinsamen Eingangsbereich begegneten, erklärt die 17-jährige Schülerin Lana Muslić. Einige Lehrer hätten den Grund für das unterschiedliche Klingeln bestätigt. "Sie versuchen nicht einmal, die Segregation vor uns zu verstecken", sagt Sajra Efendić, Lanas Mitschülerin.

"Wir haben unterschiedliche Feiertage, unterschiedliche Ferientage, gehen nicht zur gleichen Abschlussfeier", erklärt Lana weiter. 

Lana und Sajra möchten nicht getrennt von ihren ethnisch kroatischen Altersgenossen unterrichtet werdenBild: Privat

Schulleitung und Stadt äußern sich nicht zur ethnischen Trennung

In Bosnien und Herzegowina gibt es laut der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) 56 Schulen (Stand 2018), in denen Schüler verschiedener Ethnien zwar unter einem Dach, aber getrennt voneinander unterrichtet werden. Das System ist auch als "Zwei Schulen unter einem Dach" bekannt: Ein Relikt aus dem Bosnienkrieg, in dem zwischen 1992 und 1995 Bosniaken, Serben und Kroaten gegeneinander kämpften, mehr als 100.000 Menschen starben und etwa 2,3 Millionen Menschen vertrieben wurden. 

Laut OSZE-Bericht hat die "gemischte Schule" in Žepče seit 2004 aber gewisse "positive" Eigenschaften: Ein paar Lehrer würden beispielsweise für beide Curricula arbeiten, es gebe einen gemeinsamen Schuleingang und auch das Lehrerzimmer würden sich die Lehrer beider ethnischer Gruppen teilen. Deswegen definiert die OSZE die "gemischte Schule" in Žepče auf DW-Anfrage als administrativ und legal vereinigte Schule - obwohl die Schüler nach ethnischer Zugehörigkeit getrennt unterrichtet werden.

Auf mehrere Anfragen reagierte die Schulleitung der "gemischten Schule" in Žepče nichtBild: Kathrin Wesolowski/DW

Mehrfache Interview-Anfragen ignorierte sowohl die Schulleitung, als auch der Bürgermeister der Kleinstadt. Einem kroatischen Schüler wurde laut Lana und Sajra zudem von der Schulleitung verboten, mit mir zu sprechen. Andernfalls drohe ihm ein Schulverweis.

Lana Muslić und ihrer Klassenkameradin Sajra Efendić möchten aber unbedingt sprechen. Wir treffen uns in einem Café in dem Ort, nahe der Schule. 

In der Schule ist die ethnische Trennung ein Tabuthema 

"Das Schulsystem arbeitet so hart daran, uns zu trennen", erklärt Lana im Interview. Sajra und sie würden das System am liebsten ändern und die ethnisch getrennten Klassen zusammenlegen, sagen beide.

"Wir gehen ja auch zum gleichen Arzt, unsere Eltern arbeiten in den gleichen Unternehmen", sagt Lana, "die Segregation ist fast in allen Einrichtungen in der Gesellschaft verschwunden, nur in der Schule nicht."

Auch die Silhouette der Stadt zeigt: Hier leben sowohl Muslime als auch KatholikenBild: Kathrin Wesolowski/DW

25 Jahre nach dem Krieg würden die Kinder immer noch gegeneinander aufgehetzt werden, erklärt auch Lanas Mutter, Lejla Muslić. Sie sagt, die Diskriminierung ziehe sich in den Berufsalltag mit: "Menschen werden nicht aufgrund ihrer besseren Arbeit ausgewählt, sondern aufgrund ihrer Nationalität." 

In Bosnien und Herzegowina leben ethnische Bosniaken, Serben und Kroaten mit teilweise unterschiedlichen Pässen, in unterschiedlichen Sprachen. Auch in der Mittelschule werden verschiedene Sprachen gelernt - bosnisch in dem einen Curriculum, kroatisch in dem anderen. "Aber wir verstehen einander perfekt", erklärt Lana, "man könnte eher sagen, dass es unterschiedliche Dialekte einer Sprache sind."

In der Schule spreche kaum ein Lehrer offen über das Schulsystem. "Es ist ein Tabu-Thema. Wenn wir das Thema ansprechen, schweigen sie", sagt Lana.

Die Lehrer schweigen, um ihre Jobs zu behalten

Wer nicht schweigt, ist der Klassenlehrer der beiden Schülerinnen. Nedžad Hodžić arbeitet seit 1995 an der Schule - also noch bevor sie 1998 geteilt worden sei. "Am Anfang sollte die Segregation nur übergangsweise stattfinden", erklärt Hodžić, der Bosnisch und Literatur lehrt. 

Zuvor wurden die Bosniaken, Serben und Kroaten vor allem in drei Kantonen Bosnien und Herzegowinas in komplett unterschiedlichen Schulen und Gebäuden gelehrt. Die politische Maßnahme sollte die Schüler wenigstens in das gleiche Gebäude holen.

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04:25

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Die Trennung des Unterrichts findet Hodžić auf Dauer aber problematisch: "Es gibt eine Generation, die nichts außer der Segregation kennt", sagt er. Er kämpfe seit Jahren dafür, die Schüler zusammen zu unterrichten - bisher erfolglos. "Es ist leichter, über Menschen zu bestimmen, die sich hassen", erklärt er klar. Für ihn ist es selbstverständlich, offen über seine Haltung gegenüber dem System zu sprechen - für die meisten Lehrer sei es das nicht. 

"Für sie ist es das Wichtigste, ihre Jobs zu behalten", erklärt er. Die bosnischen und die kroatischen Schüler haben hauptsächlich unterschiedliche Lehrer - würden sie zusammengelegt werden, könnten Stellen gestrichen werden. Deswegen gebe es von Seite der Lehrer kaum Widerstand. 

"Ich habe ehrlich gesagt noch nie wirklich über die Trennung nachgedacht", erklärt beispielsweise ein anderer Lehrer im Interview. Er möchte anonym bleiben, da er Angst habe, seinen Job zu verlieren. "Aber klar, es ist immer schlecht, etwas zu trennen", sagt er weiter. Dies sei aber eher ein Problem der Schüler. Für die Vereinigung beider Curricula setzt er sich selbst nicht ein. 

Bisher kämpfen die Schülerinnen Lana und Sajra erfolglos gegen das System - doch sie verzeichnen zumindest einen kleinen Erfolg. Nach der Schule machen sie seit einigen Monaten in der Musikschule der Stadt gemeinsam mit den kroatischen Schülern Musik. "Wir teilen die gleichen Interessen und die gleiche Leidenschaft - das verbindet uns", erklärt Sajra. Bei den Proben durfte ich nicht dabei sein - auch das hatte ihr Schuldirektor verboten.

Mitarbeit: Ajna Kalco 

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