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Politik

"Gerade wir müssten es doch besser wissen"

Manuela Tomic
8. August 2018

Einst waren sie selber auf der Flucht. Heute fordern ehemalige bosnische Flüchtlinge von ihrem Heimatland vor allem eines: Gastfreundschaft gegenüber den Geflüchteten aus Syrien und anderen Ländern.

Österreich Wien Bosnische Diaspora mahnt Landsleute
Bild: Balkan Stories

Fuada Hatkic erinnert sich noch genau an ihre Flucht. Als sie im November 1993 in ihrer heutigen Heimat, der Schweiz, ankam, sei sie verletzt, verwundet und abgemagert gewesen, erzählt sie. Hatkic wurde in Teslic geboren, einer Kleinstadt im Norden von Bosnien und Herzegowina in der Republika Srpska. Vor 25 Jahren musste sie mit ihrer damals vier Monate alten Tochter vor dem Bosnienkrieg fliehen. Hatkic hatte Glück. Sie schaffte es über Serbien, Ungarn, Österreich und Deutschland, in die Schweiz zu gelangen. "Viele meiner Mitbürger haben diesen Weg nicht überlebt", erzählt sie. In der Schweiz durfte die Sozialpädagogin ein neues Leben beginnen.

Heute ist Hatkic erschüttert über die Hetze gegen Flüchtlinge in ihrem ehemaligen Heimatland Bosnien. "Gerade wir müssten es doch besser wissen", sagt sie. Hatkic schämt sich für die Politik in Bosnien und für viele Bosnier, die Flüchtlinge aus Syrien und anderen Ländern würdelos behandeln. Vor wenigen Tagen startete sie deshalb gemeinsam mit ihrer Tochter Amila und unterstützt vom Wiener Balkan-Blogger Christoph Baumgarten die Petition #WeilwirMenschensind (#Jersmoljudi).

Mehr schlecht als recht behandelt: anonymer Flüchtling in Bosnien kurz vor der kroatischen Grenze Bild: Infomigrants/N. Ahmadi

In einem offenen Brief an die bosnische Regierung appellieren sie an die Politiker, der Stimmungsmache gegen Flüchtlinge ein Ende zu setzen und diese nicht noch weiter anzufeuern: "Ihr lasst zu, dass gegen diese Menschen Stimmung gemacht wird. Dass sie als Diebe bezeichnet werden, als Gefahr für Bosnien, als etwas, vor dem man sich fürchten muss."

Ohne Dach über dem Kopf

Hatkic möchte sich gar nicht vorstellen, welche Strapazen die Menschen heute auf sich nehmen müssen, um zu flüchten. Für die 7.000 Flüchtlinge, die dieses Jahr nach Bosnien gekommen sind, gibt es dennoch keine Erleichterung. Ganz im Gegenteil. Viele von ihnen müssen auf der Straße leben oder zusammengepfercht in Zelten hausen, häufig ohne Verpflegung oder ein Dach über dem Kopf. "Es gibt ein offizielles Flüchtlingslager in der Nähe von Mostar, das von der Regierung betrieben wird", sagt Baumgarten, "dort funktioniert es halbwegs".

Im Großraum Sarajevo werden geflüchtete Menschen in Hilfsquartieren untergebracht und von Hilfsorganisationen betreut. Es gebe auch einige Menschen in der Zivilbevölkerung und Hilfsorganisationen, die sich überdurchschnittlich engagieren. Doch auch ihnen gehen langsam Geld und Ressourcen aus. "Auf der anderen Seite gibt es wilde Zelt-Camps und in Bihac sind mehrere hundert Menschen in einer aufgelassenen Fabrikhalle untergebracht", sagt Baumgarten.

Besonders gefährlich ist es für sie an der Grenze zu Kroatien. Erst kürzlich soll ein Flüchtling schwere Misshandlungen durch kroatische Polizisten erlitten haben, nachdem er versucht haben soll, die Grenze zu überqueren. "Die Menschen sind momentan in Bosnien gefangen", sagt Baumgarten. Schließe man die Balkanroute, erzeuge man humanitäre Katastrophen. Der offene Brief richte sich daher nicht nur an die bosnische Regierung, sondern auch an die EU. Diese habe Bosnien auch in dieser Causa im Stich gelassen. Die bosnischen Boulevardmedien würden ihr Übriges dazutun, um die Negativspirale komplett zu machen, erklärt Baumgarten.

Leben auf freiem Feld: Bis auf wenige Freiwillige hält sich die Solidarität in Grenzen Bild: Infomigrants/Nasir Ahmadi

Die Petition hat bereits mehr als 150 Unterzeichner und viele Unterstützer, darunter die bosnische Künstlerin Aida Sehovic, die heute in den USA lebt, oder Denisa Husic, die sich in der SPÖ in Oberösterreich engagiert. Weitere Unterstützer kommen aus Deutschland, Serbien oder auch Slowenien.

"Hetze soll aufhören"

Aufmerksamkeit für das Thema erzeugte auch der Aufruf zur Petition im Wiener Magazin „Kosmo". Im Fokus hat das Magazin Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien, die heute in Österreich leben. "Wir möchten über die aktuellen Zustände in Bosnien berichten, damit die Flüchtlinge in Bosnien, aber auch die mehr als tausend ehrenamtlichen Helfer eine Stimme bekommen", sagt die "Kosmo"-Journalistin Dusica Pavlovic, die den offenen Brief auf Bosnisch übersetzt hat.

Natürlich sei es für ein Land wie Bosnien in Sachen Flüchtlingsunterkünfte unmöglich, die gleichen Standards wie Österreich, die Schweiz oder Deutschland einzuhalten, sagt Pavlovic. Wenn aber zumindest die Hetze aufhören würde und Minimalstandards geschaffen würden, wäre schon einiges erreicht. "Dieses Thema betrifft schließlich nicht nur Bosnien und Herzegowina, sondern auch die EU", erklärt ihr "Kosmo"-Kollege und Journalist Manuel Bahrer, "auch dafür wollen wir ein Bewusstsein schaffen." Die Redakteure hoffen, dass weitere Videos folgen, in denen ehemalige bosnische Flüchtlinge ihre Geschichte erzählen.

Offizielle Statements von der Regierung erwartet keiner der Initiatoren. Eine Hoffnung gibt es dennoch, wie Baumgarten erklärt: "Wenn durch die Petition eine EU-weite Aufmerksamkeit entsteht, gerät die bosnische Regierung unter Rechtfertigungsdruck. Spätestens dann muss sie eingreifen."

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