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Botschafterin: "Die Welt muss aus Ruanda lernen"

Dirke Köpp7. April 2014

Die ruandische Botschafterin in Deutschland, Christine Nkulikiyinka, spricht im DW-Interview über die Aufarbeitung des Genozids in ihrem Land und die Kritik am autoritären Führungsstil von Präsident Paul Kagame.

Christine Nkulikiyinka Ruandas Botschafterin. (Foto: Ruandische Botschaft)
Bild: Embassy of the Republic of Rwanda

DW: Der Genozid in Ruanda hat vor 20 Jahre begonnen. Wo steht Ruanda heute, was die Versöhnung im Land angeht?

Christine Nkulikiyinka: Wir sind auf dem Weg - auch wenn er noch lang ist. Sie können sich vorstellen, dass die Versöhnungsarbeit nach so einem schrecklichen Genozid schwer ist. Aber das Wichtigste ist, dass der politische Wille da ist und dass die politischen Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden.

Wie würden Sie diese Rahmenbedingungen beschreiben?

Da ist zum einen die Gerechtigkeit wichtig: dass man weiß, man wird dafür bestraft, wenn man jemanden umbringt. Vor 1994 war der Mord an einem Tutsi so etwas wie ein Bagatelldelikt. Es wurde nicht sonderlich strafrechtlich verfolgt. Zum anderen gibt es Bemühungen um Aufklärung. Wir haben eine Kommission für Versöhnung und Einheit, die sehr viel Arbeit an der Basis macht. Außerdem gibt es verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen und Institutionen, deren tägliche Arbeit es ist, Opfer und Täter zusammenzubringen.

Eine der Rahmenbedingungen ist, dass man nicht mehr in ethnischen Identitäten denken soll.

Das so zu sagen, ist schwierig: Man kann den Leuten nicht vorschreiben, wie sie zu denken haben. Die Botschaft ist: Egal ob man sich wie ein Hutu oder Tutsi fühlt, ist das kein Grund, jemanden anderen zu bevorzugen oder zu benachteiligen oder gar umzubringen. Wir sind alle Ruander, wir sind alle Menschen, und alle Menschen haben die gleichen Rechte.

Dennoch gibt es immer noch Menschen, die sich auf ihre Hutu-Identität berufen, zum Beispiel die Mitglieder der Miliz FDLR, die im Ost-Kongo aktiv ist. Die kongolesische Armee und die UN-Stabilisierungsmission für den Kongo (MONUSCO) haben vor kurzem angefangen, die FDLR-Milizen zu bekämpfen. Wer entwaffnet ist, soll nach Ruanda repatriiert werden.

Wir haben selbst im Laufe der Jahre viele Kämpfer der FDLR in Ruanda aufgenommen. Allerdings muss man an ihrer Ideologie arbeiten. Man muss ihnen die Chance geben, in die heutige ruandische Gesellschaft integriert zu werden. Aber man muss ihnen erklären, wie das mit der Identität in Ruanda heute ist, wie wir fühlen, denken und uns identifizieren. Wenn sie das akzeptieren, können sie problemlos als Ruander in die Gesellschaft aufgenommen werden.

Präsident Paul Kagame wird oft ein autoritärer Führungsstil vorgeworfen. Glauben Sie, dass er nötig ist, um eben diese Rahmenbedingungen zu schaffen?

Ja. Ich gebe dazu gerne das Beispiel einer Schulklasse: Wenn der Lehrer nicht autoritär genug ist, wenn er die Klasse nicht "unter Kontrolle" hat, kann er keinen Unterricht machen. Ich kenne diese Kritik, aber ich denke, man muss sehen, woher dieses Land kommt: Was für eine Vergangenheit hat es? Welche Mammut-Aufgaben? Was für eine Kultur? Wie denken die Menschen, wie ticken die Menschen? Und die Menschen ticken eben ganz anders als die Deutschen oder Amerikaner. Das muss man berücksichtigen und verstehen, bevor man kritisiert.

In Ruanda hat man für die Aufarbeitung des Genozids neben der internationalen Justiz auch auf traditionelle Gacaca-Gerichte gesetzt.

Die Gacaca-Gerichte waren sehr wichtig. Es gab natürlich auch Kritik daran, vor allem von außen. Aber sie waren wichtig, weil so jeder gesehen hat, dass man zur Rechenschaft gezogen wird für das, was man getan hat. Hinzu kommt: Die Menschen müssen auch nach dem Genozid weiter miteinander leben. Durch die Gacaca-Gerichte konnten Überlebende oder Angehörige von Opfern erfahren, was passiert ist. Das hat auch geholfen, menschliche Überreste zu finden, sie in Würde zu beerdigen und Trauerarbeit zu leisten. Natürlich war es schwer zu ertragen für die Opfer oder die Angehörigen, wenn sie dem Täter gegenüberstanden und der beschrieb, was passiert ist. Aber diese schwierigen Situationen waren notwendig. Denn heute, nach vielen Jahren Haft, kommen die Täter in die Dörfer zurück - aber es ist meiner Meinung nach so leichter, als würde man sie nach 20 Jahren zum ersten Mal wiedersehen. Denn es hat ja bereits die Begegnung beim Gacaca gegeben. Einige Täter haben um Vergebung gebeten - das heißt, die Gacaca-Gerichte haben den Versöhnungsprozess unterstützt. Bei Gacaca geht es - heute wie in der Vergangenheit - nicht in erster Linie um Strafe, sondern darum, ein soziales Gleichgewicht herzustellen.

Sie kommen aus einem Land, das einen Genozid erlebt hat. Wie betrachten Sie die Situation in der Zentralafrikanischen Republik? Manche vergleichen das, was dort passiert, mit einem Völkermord.

Man darf jetzt nicht wegschauen! Die ruandischen Soldaten in der Friedenstruppe in der Zentralafrikanischen Republik lassen Dinge nicht einfach so geschehen lassen, schauen nicht weg, laufen nicht weg. Denn sie sagen sich: Wir dürfen uns nicht so verhalten wie die anderen damals in Ruanda. Die Situation ist besorgniserregend, und die Weltgemeinschaft muss sehr aufpassen und entsprechend reagieren.

Christine Nkulikiyinka ist seit 2009 Botschafterin von Ruanda in Deutschland. Sie hat in Ludwigshafen studiert und von 1991 bis 2005 bereits in der deutschen Botschaft gearbeitet.

Das Interview führte Dirke Köpp.

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