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Politik

Wenn eine Kohlestadt zum Klimavorreiter wird

Carsten Grün
21. Dezember 2018

155 Jahre lang wurde in Bottrop Steinkohle abgebaut. Nun ist das Bergwerk Geschichte. Doch in der Stadt im Ruhrgebiet nimmt man den Abschied gelassen. Carsten Grün erklärt, was hinter diesem Optimismus steckt.

Reportage Bottrop nach dem Ende des Steinkohlenbergbaus | Zeche Prosper-Haniel
Auf Prosper stehen alle Räder stillBild: DW/C. Grün

Jahrzehntelang war die Zeche Prosper-Haniel nicht nur der größte Arbeitgeber in Bottrop, sondern auch der einzige Großbetrieb in der Stadt. Keine großen Unternehmen zu haben, was im Vergleich zu anderen Städten lange als Nachteil galt, ist heute ein Vorteil: "Wir haben uns frühzeitig darauf konzentriert, viele kleine und mittelständische Firmen mit bis zu 600 Mitarbeitern anzusiedeln. Wir haben schon lange gesehen, was kommen wird, und konnten uns vorbereiten", sagt Stadtsprecher Andreas Pläsken.

Negativbeispiele für sogenannte Monogroßstrukturen gab es genug. So wie das Ende des Maschinenbaukonzerns Babcock im benachbarten Oberhausen. Nach 150 Jahren war vor rund 15 Jahren Schluss. Fehler der Konzernleitung kosteten tausende Mitarbeiter den Job. Für Oberhausen ein Schlag ins Kontor, der bis heute nachwirkt. Oder auch die Schließung des Opel-Werks Bochum. "Wenn ein kleines Unternehmen schließt, ist das nicht schön, aber längst nicht so schlimm, als wenn bis zu 20.000 Arbeitsplätze auf einmal wegbrechen", sagt Professor Jörg Bogumil von der Ruhr-Universität Bochum. Er untersucht als Sozialwissenschaftler die Strukturen im Ruhrgebiet und anderen Industrieregionen.

Blick nach vorn: Bottrop ist Musterbeispiel für Strukturwandel im RuhrgebietBild: DW/C. Grün

Für Bottrop zahlte sich der Weg der kleinen Schritte mit kleinen Firmen aus. Mit rund sechs Prozent Arbeitslosen weist die Stadt eine der niedrigsten Quoten im Ruhrgebiet auf. In Gelsenkirchen gibt es beispielsweise doppelt so viele Arbeitslose. Im Gegensatz zu anderen Städten der Region verliert Bottrop auch keine Einwohner. Im Gegenteil - die Zahlen steigen sogar leicht an.

Um die positiven Entwicklungen in Bottrop besser begreifen zu können, muss man mehrere Jahre zurückgehen. 117 Kilometer schlängelt sich das unsichtbare Stollennetz unter der Erdoberfläche. Seit 1863 hat der Bergbau den Boden unter Bottrop und den angrenzenden Städten ausgehöhlt. Jahrzehntelang hat der Abbau der Kohle die Einwohner ernährt und Deutschland mit Wärme und Strom beliefert. 

Dass irgendwann das Ende kommen wird, war klar. Daher waren die Planungen Anfang der 1990er Jahre mit der Internationalen Bauausstellung Emscherpark, IBA, von entscheidender Bedeutung für Bottrop. "Wir gingen mit der Devise in die Entwicklung: Was prägt uns in der Zukunft?", sagt Andreas Pläsken.

CO2-Emissionen um 50 Prozent verringern 

Bottrop entwickelte für sich drei Säulen: Freizeit, Klima, Wissen. Als Freizeitstandort mit Movie Park, Alpincenter und ähnlichen Angeboten werden jährlich rund zwei Millionen Besucher angelockt. 

Die Entscheidung für Klimaschutz und Zukunftstechnologien verschaffte der Stadt auch international Geltung. "Innovation City" heißt das Zauberwort. Ziel der Innovationsinitiative ist es, die Ballungszentren klimagerecht umzubauen und dabei lokale Betriebe einzubeziehen. 

Dazu sollen auch die CO2-Emissionen um 50 Prozent verringert und dadurch die Lebensqualität gesteigert werden. Das Projekt soll Vorbildcharakter für andere Kommunen an Ruhr und Emscher, aber auch international haben. "Es vergeht kaum ein Monat, in dem unser Oberbürgermeister nicht irgendwo im Ausland unterwegs ist oder ausländischen Medien unser Konzept erklärt", sagt Pläsken.

Wissenstransfer und neue Ideen aus den Unis 

Photovoltaik, Wärmepumpen und Stromspeicher prägen heute die Entwicklung innerhalb der Kommune. Die Energiewende findet also direkt vor Ort mit Beteiligung der Bürger statt. So gibt es beispielsweise ein Unternehmen aus dem Bereich Schweißtechnik, dass nur mit Sonnenenergie arbeitet. Gebäude werden klimafreundlich und energieeffizient gebaut oder saniert.

Flankiert wird das Projekt vom Wissenstransfer mit der örtlichen Fachhochschule. Dort werden Ingenieure und Ökonomen ausgebildet. Sie sollen bei der Weiterentwicklung der Stadt helfen. Bottroper Firmen kooperieren mit der FH.

Die Unis und Fachhochschulen hält auch Sozialwissenschaftler Jörg Bogumil für unabdingbar im Erneuerungsprozess: "Die Hochschulen werden zum Treiber der Stadtentwicklung im Ruhrgebiet." Zwar wandern immer noch junge Absolventen ab. Doch Bogumil sieht allmählich eine Trendwende. "Das bessert sich."

Professor Jörg Bogumil von der Ruhr-Universität BochumBild: RUB, Marquard

Gründer unterstützen, junge Fachkräfte in der Stadt halten

Möglichkeiten sieht auch Klaus-Heiner Röhl vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft, IW. Im Gespräch mit dem "Handelsblatt" sagte er, dass das Ruhrgebiet eine wirtschaftliche Renaissance erleben könne, wenn gezielt umgesteuert werde.

Doch nicht nur die Entwicklung der Wissenschaftsregion ist für den Bochumer Professor Jörg Bogumil wichtig: "Wir haben in Bezug auf den Bundesdurchschnitt zu wenig Gründer. Das hat Auswirkungen auf die regionalökonomischen Effekte." Das heißt: weniger Gründungen, weniger neue Arbeitsplätze.   

Darauf setzt aber Bottrop. Offenbar zurecht. Die Zahl der Studenten beträgt mittlerweile 6000. Meist Ingenieure. Die in der Stadt zu halten und bei Gründungen zu unterstützen, ist das Ziel.

Für Bottrop kommt daher die Schließung des Bergwerks gerade recht. Das wird so natürlich nicht gesagt. Aber die nun frei werdenden Flächen des Bergbaus bescheren der Stadt im Ruhrgebiet eine dringend benötigte neue "Spielwiese". "Wir waren, was Gewerbeflächen angeht, an unsere Grenzen gekommen. Nun können wir im Projekt mit der Stadt Essen und der RAG Montan Immobilen GmbH, einer Tochter des Bergwerksunternehmen RAG, zahlreiche Flächen neu gestalten", freut sich Plässken.

Rund 1700 Hektar stehen dafür in beiden Städten zur Verfügung. Gewerbe mit Wohnbebauung soll entstehen. Dazu eine Umwelttrasse, die Bottrop mit Essen verbinden soll. Öko-ÖPNV, E-Bikes und selbstfahrende Autos sind die Zukunft für die Planer in Bottrop. Problemstadtteile sollen entwickelt werden und als Wohnquartier am Rhein-Herne-Kanal das Leben am Wasser ermöglichen. Noch ist das Zukunftsmusik. Doch die Chancen stehen nicht schlecht.

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