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Brüssel blickt angespannt auf die Türkei

Andrea Rönsberg, Brüssel16. Juli 2016

Der Putschversuch in der Türkei hat die NATO beunruhigt, die in dem Land seinen zweitgrößten Truppensteller hat. Trotz Scheitern des Putschs bleibt Besorgnis: Die EU fürchtet um die Einhaltung der Grundrechte.

Brüssel EU Flaggen LEX Gebäude
Bild: DW/A. Rönsberg

Auf den ersten Blick ist es ein ruhiger Tag in Brüssel. Die Straßen sind sogar leerer als an manch anderem Samstag: Mitte Juli haben sich viele Einwohner bereits in den Sommerurlaub verabschiedet. Geschäfte zeigen an, dass sie die nächsten paar Wochen geschlossen bleiben. Und wie am Wochenende üblich, sind auch die Türen europäischer Institutionen zu.

Sorge bei der NATO

Doch die Ruhe trügt, sie muss trügen. Ein - wenn auch gescheiterter - Putschversuch in der Türkei, das kann niemanden kalt lassen in der Stadt, in der neben der EU auch die NATO ihren Sitz hat. Instabilität bei dem zweitgrößten Truppensteller der NATO, das könnte die Luftabwehr-Operationen der NATO in der Türkei beinträchtigen. Und es wäre ein Rückschlag im Kampf gegen die Terrororganisation IS, nutzen doch verschiedene NATO-Mitglieder, allen voran die USA, den türkischen Flugstützpunkt Incirlik als Basis für Angriffe gegen den IS. In der Nacht auf Samstag teilte denn auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg mit, er verfolge die Entwicklungen mit Sorge.

Doch als sich abzeichnete, dass der Putsch gescheitert war, bemühte sich die Organisation, den Anschein von Ruhe zu vermitteln. Auf dem Stützpunkt Inçirlik laufe alles wie immer, diese Information habe man aus dem US-Verteidigungsministerium erhalten, die NATO-Partner seien in Kontakt und man plane keine außerordentlichen Treffen, hieß es am Vormittag aus der Pressestelle. Generalsekretär Stoltenberg brachte auf Twitter seine Erleichterung zum Ausdruck.

Auffallend abwesend in der Botschaft war der Name des türkischen Präsidenten, Recep Tayyip Erdogan. Stoltenberg begrüßte die Unterstützung der Demokratie und der demokratisch-gewählten Regierung, nicht die des Inhabers des Präsidentenamtes.

Auch von EU: Unterstützung für Rechtsstaat, nicht Personen

Vertreter der Europäischen Union sendeten dieselbe Botschaft. Man unterstütze die demokratisch gewählte türkische Regierung, die Demokratie und den Rechtsstaat, hieß es von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini ihrerseits brachte gemeinsam mit Erweiterungskommissar Johannes Hahn die "volle Unterstützung für die demokratischen Institutionen" in der Türkei zum Ausdruck.

Beziehung EU-Türkei: Kompliziert

Hahn ist zuständig für die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei - Verhandlungen, die ja eigentlich an Fahrt aufnehmen sollten. Das hatte die EU der Türkei im Gegenzug dafür zugesichert, dass diese im März mit der EU übereingekommen war, in Griechenland gestrandete Flüchtlinge wieder zurückzunehmen.

So hatten EU und Türkei denn auch vor rund zwei Wochen Verhandlungen in einem weiteren Politikfeld, dem der Finanzen und Haushaltsbestimmungen, begonnen. Damit wird jetzt über 16 der insgesamt 35 sogenannten "Kapitel" verhandelt; erfolgreich geschlossen ist indes allein das - unverfängliche - Themenfeld von Forschung und Wissenschaft.

Kümmert sich in der EU-Kommission um die schwierigen Beitrittsverhandlungen mit der Türkei: Johannes HahnBild: Getty Images/AFP/J.Thys

Besonders verfänglich: das Thema der Justiz und Grundrechte. Auch im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsdeal gibt es da erhebliche Differenzen. Die EU besteht darauf, dass Ankara erst seine Anti-Terror-Gesetze reformiert, bevor Brüssel die zugesagte Visumsfreiheit einräumt - ein Punkt, der bereits Drohungen des türkischen Präsidenten provoziert hat, den gesamten Deal platzen zu lassen.

Sorge um Grundrechte

Nach dem Putschversuch droht das Thema der Grundrechte eher noch strittiger zu werden. Äußerungen des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim, die zumindest implizieren, die Türkei könne möglicherweise die Todesstrafe wiedereinführen, sorgten in Brüssel für besondere Besorgnis. Erweiterungskommissar Hahn sagte der österreichischen Zeitung "Kurier", die EU erwarte, "dass die Aufarbeitung dieses gewalttätigen Putsches nach rechtsstaatlichen Prinzipien" erfolge.

Ein möglicher Bruch der auch von der Türkei unterzeichneten Europäischen Menschenrechtskonvention ist nicht das einzige, was die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms, umtreibt. Sie befürchtet auch, Präsident Erdogan könne den überstandenen Putschversuch nutzen, "alle Macht im türkischen Staat endgültig auf seine Person zuzuschneiden." Davor warnte - etwas vorsichtiger formuliert - auch der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, der über Twitter mitteilte, dass bei der Wiederherstellung der Ordnung in der Türkei die Gewaltenteilung und die Personenrechte zu respektieren seien.

Eine schnelle Rückkehr zur verfassungsgemäßen Ordnung, zu Gewaltenteilung und Rechtsstaat und zu den Grundrechten - das mahnten auch die Außenbeauftragte Mogherini und Kommissar Hahn an.

Kein Wunder, dass angesichts dieser Sorgen die europäischen Außenminister die Tagesordnung für ihr Treffen am Montag unter Leitung Mogherinis geändert haben. Eigentlich hätte zu dessen Beginn eine Diskussion über Lateinamerika auf dem Programm gestanden. Doch der erste Programmpunkt wird jetzt ein Austausch über die Situation in der Türkei sein.

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