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Politik

Belgisches Bier allein zu Haus

Marina Strauß
26. April 2020

Um sich vor dem Ruin zu retten, liefern Brauereien in Brüssel jetzt ihr Bier direkt an die Haustür. Während Kunden sich freuen, warnen Psychologen vor erhöhtem Alkoholkonsum im Lockdown. Marina Strauß aus Brüssel.

Belgien Bier Coronakrise
Bild: Getty Images/AFP/K. Tribouillard

Dunkelbraune 0,33l-Flaschen rattern über das Laufband. Eine nach der anderen wird von einer speziellen Maschine mit Bier befüllt. Dann noch ein Kronkorken, später eines der bunten Etiketten, auf denen "En Stoemelings" prangt. Das ist der Name der kleinen Brauerei im Brüsseler Industriegebiet.

Mitgründer und Chef Samuel Languy führt - mit ausreichend Abstand - vorbei an Sudkesseln, Paletten und an Stapeln von halbwegs großen, rechteckigen Pappkartons. Seine Rettung. Darin stehen sechs Reihen à vier dunkelbraunen 0,33l-Flaschen mit buntem Etikett, praktisch schon auf dem Weg zum bierfreudigen Kunden, der in Zeiten der belgischen Coronavirus-Ausgangssperre den Balkon zur Kneipe oder die Küche zum Restaurant umfunktioniert hat.

Samuel Languy vor seiner Brauerei - im Hintergrund warten die Kisten auf AuslieferungBild: DW/M. Strauß

Als die belgische Regierung Mitte März aufgrund der Corona-Pandemie eine mehrwöchige Ausgangssperre verhängte, standen Samuel Languy und sein kleines Team unter Schock - wie so viele, die direkt wirtschaftlich betroffen sind wegen der geschlossenen Läden, Bars und Cafés. "Wir wussten überhaupt nicht, was wir tun sollen", sagt Languy an diesem sonnigen Aprilnachmittag - auf einer Bierbank vor seiner kleinen Brauerei sitzend.

En Stoemelings mache 90 Prozent seines Umsatzes in Restaurants und Kneipen aus. Geld, das jetzt erst einmal fehlen werde. Für Languy bedeutete dies, alle seine Mitarbeiter vorerst in die Arbeitslosigkeit entlassen zu müssen und auf unbestimmte Zeit kein Bier mehr zu brauen.

Liefern als Rettung

Doch am selben Tag noch schrieb Languy alle seine Freunde und Bekannten an, hievte Bierkasten um Bierkasten ins Auto und versuchte, zumindest die Reste aus der Brauerei noch an den Mann oder an die Frau zu bringen. Mit Erfolg. "Da sie auf einmal zu Hause bleiben mussten, war eine der ersten Fragen - wir sind schließlich in Belgien - 'wo kriege ich jetzt mein Bier her?' ", erzählt er. 

Languy fing also an, sein Bier online zu verkaufen und es über einen Fahrrad-Lieferdienst zu den Kunden transportieren zu lassen. Er ist nicht der einzige Unternehmer, der darauf setzt. Andere Getränke- und Lebensmittelproduzenten fahren eine ähnliche Strategie in Belgien.

En Stoemelings gibt es seit 2014 Bild: DW/M. Strauß

Das Konzept von En Stoemelivery (eine Anspielung an das englische Wort "delivery"), wie En Stoemelings, nun kurzzeitig heißt, geht auf. Der Vorrat ist aufgebraucht, die Mitarbeiter nicht mehr arbeitslos, die Produktion wieder hochgefahren. Es komme inzwischen sogar wieder so viel Geld rein, wie vor dem Lockdown, sagt Samuel Languy.

Den Erfolg verdanken Languy und sein Team auch dem Hype um sogenanntes Craft Beer, der vor einigen Jahren in dem für seine Bierkultur (und Bier-Trinkfreudigkeit) bekannten Belgien ausgebrochen ist. Die Idee dahinter: kleine, lokale Brauereien, die sich mit Kreativität gegen die Übermacht der großen Bierindustrie stemmen. 

Ein kühles Bier und ein gutes Gewissen

Ein Schnäppchen kann man bei Languy nicht machen. Bei En Stoemelings kosten 24 Flaschen 45 Euro, für die Lieferung per Rad kommen 10 Euro obendrauf. Die Kunden würden gerne so viel bezahlen, sagt Languy. "Weil sie wissen, dass unser Team dadurch Arbeit hat und somit auch die Auslieferer."

Ein kühles Bier mit einem guten Gewissen trinken: Manche bezahlen sogar für die schiere Aussicht darauf. Über Initiativen wie Café Solidarité oder Café Courage können Trinkfreudige jetzt schon einen Gutschein für ein Bier oder ein anderes Getränk ihrer Wahl kaufen und diesen dann nach dem Lockdown in ihrer Lieblingsbar einlösen.

Das bekannte Bier Jupiler wird von der belgischen Brauerei AB InBev in Löwen gebrautBild: picture-alliance/dpa/J.L. Flémal

Hinter Café Courage steckt AB InBev mit Sitz im belgischen Löwen. Was Angaben zum Umsatz in Corona-Krisen-Zeiten angeht, hält sich die weltweit größte Brauerei zurück. Nur soweit: "Nahezu jede Industrie ist betroffen und die Bierindustrie ist keine Ausnahme", schreibt eine Sprecherin in einer E-Mail.

Auch wenn die Supermärkte Belgiens seit Beginn der Ausgangssperre, laut der belgischen Zeitung Le Soir, generell mehr Alkohol verkaufen, den Umsatz, den Produzenten normalerweise in Bars und Restaurants machen, sei schwer aufzufangen.

Manch einer trinkt mehr, manch einer weniger

Manche Menschen würden gerade sogar weniger trinken, erzählt Psychologin Emilia Bogdanowicz am Telefon. "Ein Grund ist, dass es viel weniger soziale Anlässe gibt". Aber es gebe auch mehr Kontrolle: Trinker, die ansonsten oft heimlich zum Alkohol griffen, könnten das jetzt nicht mehr so leicht tun, weil die gesamte Familie ständig zu Hause sei. Wieder andere wollten gerade aufgrund der Corona-Krise mehr auf ihre Gesundheit achten und hielten sich deswegen zurück.

Belgische Biere: die Auswahl ist großBild: picture-alliance/dpa/D. Kalker

Bogdanowicz sagt, Le Pélican, die Brüsseler Beratungsstelle für Menschen mit Alkoholproblem, bei der sie arbeitet, bekäme gerade mehr Anfragen. Das hinge aber auch damit zusammen, dass es im Moment weniger Angebote gäbe. Ihrer Erfahrung nach würden Menschen, die sehr isoliert sind, Probleme mit Partner oder Familie haben, in Zeiten wie diesen, eher mehr Alkohol konsumieren. 

Samuel Languy weiß sehr wohl um die Tücken seines Produkts. "Wir kennen doch alle Leute, die im Moment viel trinken", sagt er. "Manchmal sagen wir so im Spaß, dass wir legale Drogen herstellen, aber das stimmt natürlich." Viele bedankten sich immer wieder, weil sie dank En Stoemelings - gerade in Tagen wie diesen - ein Bierchen bei sich zu Hause genießen könnten.

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