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Brahimi will Feuerpause

Kersten Knipp19. Oktober 2012

Der UN-Sondergesandte Brahimi will für das Opferfest Ende Oktober in Syrien einen Waffenstillstand erreichen. Die Chancen sind gering, auch wenn der Vermittler gute Argumente hat.

Lakhdar Brahimi (Foto: dpad)
Bild: dapd

Winzig klein ist die Chance, aber sie ist da. Lakhdar Brahimi, der Sondergesandte der UN und der Arabischen Liga, will sie nutzen. Die Hoffnung auf einen Waffenstillstand zum Opferfest vom 26. bis 28. Oktober mag er nicht aufgeben, darf das von Amts wegen wohl auch nicht. Und so ist er nach Damaskus gereist, um zwischen Regierung und Opposition zu vermitteln. Anlass dazu hat er. Denn der Krieg, der bislang rund 30.000 Menschenleben gefordert hat, strahlt von Syrien immer stärker auch in die Nachbarländer aus. Ob Scharmützel zwischen Schiiten und Sunniten im Libanon, die zeitweise aufgeflammten militärischen Gefechte an der syrisch-türkischen Grenze, die Vorbereitungen für einen Einsatz zur Bergung syrischer Chemiewaffen in Jordanien oder die mutmaßlichen iranischen Transportflüge über den Irak: Der syrische Konflikt wirkt sich immer stärker auf die gesamte Region aus.

Brahimi muss also aktiv werden und vermitteln. Doch das dürfte sehr schwierig werden, fürchtet Paul von Maltzahn, geschäftsführender stellvertretender Präsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Denn den Vermittlungsversuchen Brahimis stehe vor allem eines entgegen: der Glaube beider Kriegsparteien, den Sieg durch Waffengewalt erzwingen zu können. Beide rechneten sich Chancen aus, den Gegner zu unterwerfen und sich dadurch Kompromisse und Zugeständnisse sparen zu können. "Und solange dieser Glauben nicht erschüttert wird, werden beide Seiten weiter aufeinander eindreschen."


Krieg mit vielen Fronten

Doch selbst wenn der Optimismus der beiden Parteien unter dem Gefechtsdruck schwinde, dürfte es schwer werden, alle Gruppen an einen Tisch zu bringen, fürchtet Neil Melvin, Programmdirektor des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI). Denn wie sollte man Parteien zum Gespräch veranlassen, von denen die eine – die der Opposition – längst nicht mit einer Stimme spricht? Eine der größten Schwierigkeiten des syrischen Konflikts liege darin, dass es keine einheitliche Opposition gebe, erklärt Melvin, der sich mit der Dynamik bewaffneter Konflikte und deren Eindämmung auseinandersetzt. Innerhalb der Opposition gebe es sektiererische Kräfte, die unterschiedlichen Glaubensrichtungen angehörten. Hinzu kämen ethnische Gruppierungen wie etwa die Kurden, deren Verbindungen sich über die syrischen Grenzen hinaus erstreckten. "Es handelt sich also nicht um einen Konflikt zwischen zweien, sondern mehreren Fronten. Und diese Fronten verschieben sich ständig." Parallel zu den Verhandlungen zwischen den Parteien müsse sich Lakhadar Brahimi auch darum kümmern, die Opposition zu einer einheitlichen Haltung zu bewegen.

Freilich geht die Zersplitterung in allererster Linie auf den Druck zurück, den das Assad-Regime auf die Opposition – und mit ihr große Teile der Zivilbevölkerung – ausübt. Gegner Assads werfen dessen Regierung vor, auch die international geächteten Streubomben einzusetzen. Diese habe die Luftwaffe etwa bei ihrem Angriff auf die Rebellenhochburg Maaret al-Numan an der strategisch bedeutsamen Route Damaskus-Aleppo abgeworfen. Allein dabei wurden Rettungskräften zufolge 44 Menschen getötet. Insgesamt sollen am Donnerstag mindestens 135 Menschen ums Leben gekommen sein. Ein solcher Druck bleibe nicht ohne Auswirkungen, erklärt Melvin. "Teile der syrischen Zivilbevölkerung verlassen das Land, was den Konflikt über die syrischen Grenzen trägt. Andere glauben, sich und ihre Familien verteidigen zu müssen. All das erschwert einen Konsens, auf dessen Grundlage man den Krieg beenden könnte."

Gefahren eines zerfallenden Syriens

Nicht einfacher wird Brahimis Vorhaben – ein zweitägiger Waffenstillstand, auf dessen Grundlage dann eine längerfristige Waffenruhe erwachsen könnte – auch durch die Präsenz der internationalen Akteure. Denn Russland, China, Iran und der Irak auf der einen, Saudi Arabien, Katar, die Türkei und viele westliche Staaten auf der anderen Seite: Sie alle verfolgen in Syrien eigene Interessen, erklärt Paul von Mahlzahn. "Die einzige Möglichkeit, sie zur Zurückhaltung zu bewegen, bestünde darin, sie zu fragen, ob sie ein zerstückeltes oder ein einheitliches Syrien wollen. Dem dürften die meisten Akteure die weitere Einheit Syriens vorziehen." Nach außen bestünde Brahimis Aufgabe also darin, auf die Gefahren hinzuweisen, die ein zerfallendes Syrien mit sich brächte.

Doch wer wollte den ersten Schritt tun? Neil Melvin von SIPRI beobachtet eine einschneidende Veränderung der seit Ende des Kalten Krieges etablierten globalen Sicherheitsarchitektur: Während der letzten 20 Jahre habe es zwischen den Großmächten eine Art Einvernehmen darüber gegeben, wie mit größeren Konflikten umzugehen sei. "Doch in Syrien ist dieses Einvernehmen zerbrochen. Das zeigt sich vor allem an dem Umstand, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen unfähig ist, irgendeine Übereinkunft zu erzielen." Zu befürchten sei, dass sich die globalen und regionalen Mächte in Stellvertreterkriegen bekämpften. Zu ihnen muss man in erster Linie die Dschihadisten und Islamisten zählen, die den Söldnern des Assad-Regimes zunehmend gegenüberstehen.

Vertrauensvorschuss und persönliche Integrität

Um so mehr, erklärt Paul von Maltzahn, komme es darum auf Brahimis Vermittlungskunst an. Auch seine bisherige Arbeit könnte ihm bei seinen Bemühungen um einen Waffenstillstand von Nutzen sein. Brahimi habe im libanesischen Bürgerkrieg, im Irak und in Afghanistan erfolgreich vermittelt. "Insofern hat er zu den wichtigsten Akteuren ein Vertrauensverhältnis und kennt die Probleme bis ins Detail. Wenn jemand Fortschritte erzielen kann, dann er."

Zarte Hoffnung. Demonstration in AleppoBild: AP
Tribut an den Tod. Szene aus AleppoBild: dapd
Siegen um jeden Preis: Szene aus AleppoBild: Reuters