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PolitikHongkong

Nach Brand in Hongkong: Offene Kritik führt zu Festnahmen

Wesley Rahn
3. Dezember 2025

In Hongkong wird nach dem tödlichen Hochhausbrand öffenltich über die Gründe für die Katastrophe diskutiert. Wer sich jedoch kritisch über die Untätigkeit der Verwaltung äußert, riskiert Verfolgung und Festnahme.

Hong Kong 2025 | Suchtrupps in Schutzkleidung nach Brand in Hongkong
Mitglieder der Katastrophenopfer-Identifizierungseinheit (DVIU) der Polizei vor den abgebrannten Wohnhochhäusern in HongkongBild: Kyodo/dpa/picture alliance

Nach dem verheerenden Hochhausbrand in Hongkong mit mehr als 150 Todesopfern regt sich wachsender Unmut in der chinesischen Sonderverwaltungszone - gegen die Baubranche genauso wie gegen die Politik. Zur Brandursache wird zwar noch ermittelt. Die Behörden vermuten aber inzwischen, dass minderwertiger Isolierschaum und billige Kunststoffnetze, die an Gerüsten verwendet wurden, den Brand beschleunigt haben.

Kunststoffnetze sollen nach Behördenangaben den Brand beschleunigt habenBild: May James/DW

"Das war keine Naturkatastrophe. Das war menschliches Versagen", meint wütend eine Bewohnerin des Apartmentkomplexes, die sich als Anna vorstellte. Sie gab an, dass sie dort seit mehr als 40 Jahren wohne und nur mit viel Glück dem Inferno entkommen sei: "Meine Trauer hat sich in Wut verwandelt. Wenn ich jemals den Bauunternehmer sehe, werde ich ihn schlagen, egal was die Konsequenzen sind."

Festnahmen sollen Unmut besänftigen

Aber die Unzufriedenheit der betroffenen Familien richtet sich auch gegen die Stadtverwaltung. Bereits im September 2024 äußerten Anwohner Sicherheitsbedenken hinsichtlich der für die Hochhäuser verwendeten Baumaterialien. Doch ihnen war vom Amt für Arbeit der Stadtverwaltung Hongkong mitgeteilt worden, dass das Brandrisiko "relativ gering" sei, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters. Inzwischen wurden 15 Personen im Zusammenhang mit dem Brand festgenommen, mehrere davon arbeiteten für das Bauunternehmen, das die Sanierung durchführte.

Die Polizei in Hongkong veröffentlichte das Foto einer abgebrannten WohnungBild: Hong Police Force/AFP

Eric Chan, Leiter des Amts für politische Angelegenheiten der Stadtverwaltung, sagte, das Bauunternehmen habe aus Kostengründen an mehreren Stellen die Fassade mit minderwertigen Netzen abgedeckt. Die Verdächtigen hätten "vorsätzlich und geplant gehandelt". Nach Worten des Hongkonger Verwaltungschefs John Lee werde ein unabhängiges Komitee unter der Leitung von Berufsrichtern "die Ursachen und die rasche Ausbreitung des Feuers sowie alle damit zusammenhängenden Fragen untersuchen".

Forderungen nach Rechenschaftspflicht

Die Missbilligung der Bevölkerung äußert sich in den sozialen Netzwerken und bei privaten Gesprächen in den engen Straßen der Metropole. Wer aber in Hongkong öffentlich Kritik an den Behörden übt, riskiert, mit dem Sicherheitsgesetz in Konflikt zu geraten. Das Gesetz wurde von der Zentralregierung in Peking initiiert und vom Volkskongress gebilligt. Das Ziel ist, die Stabilität in Hongkong nach Lesart der kommunistischen Machthaber zu wahren und kritische Meinungsäußerungen schon im Keim zu ersticken.

Bürger gedenken spontan der Todesopfer im Bezirk Tai PoBild: Peter Parks/AFP

Die Pekinger Behörde für nationale Sicherheit warnte diese Woche die Menschen in Hongkong, dass China-feindliche Kräfte die Katastrophe nutzen würden, um "Hass gegen die Regierung zu schüren" und Hongkong "zurück in das Chaos von 2019" zu stürzen. Damals hatten unzufriedene Menschen monatelang die wichtigsten Straßen blockiert und einen politischen Neuanfang gefordert. Diese zum Teil blutige Massenbewegung war schließlich der Auslöser für das Nationale Sicherheitsgesetz gewesen, das 2020 in Kraft trat.

Kritiker festgenommen

Nach lokalen Presseberichten seien die Behörden bereits gegen zwei Personen vorgegangen, die sich kritisch zu dem Brand in dem Stadtbezirk Tai Po geäußert hatten. Einer von ihnen war Kenneth Cheung, ehemals parteiloses Mitglied des Hongkonger Bezirksparlaments in Tuen Mun. Er wird dem China-kritischen demokratischen Lager zugerechnet und sei am Sonntag (30.11.) festgenommen worden.

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Im DW-Interview sagte er, dass er nicht gewusst habe, welche seiner Äußerungen genau gegen das Sicherheitsgesetz verstoßen haben soll. Auf Facebook hat er in diversen Posts Kritik geübt. "Alle spüren, dass es eine 'rote Linie' bei Meinungsäußerungen gibt. Aber niemand weiß wirklich, wo sie verläuft. Daher üben viele Selbstzensur und entscheiden sich dafür, ihre Meinung nicht zu frei zu äußern", so Cheung. "Insgesamt spüren wir deutlich, dass der Raum für freie Meinungsäußerung im Vergleich zu den Situationen vor fünf oder zehn Jahren viel enger geworden ist."

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Der andere Festgenommene war Medienberichten zufolge der Student Miles Kwan. Er soll "aufrührerische Absichten" gehabt haben, so der Vorwurf. Er hatte zuvor bei der Hongkonger Verwaltung eine Petition mit vier Forderungen überreicht: Entschädigung der Brandopfer, Rechenschaftspflicht von Beamten, gründliche Überprüfung der Bauaufsicht und die Einrichtung eines unabhängigen Ausschusses zur Untersuchung potenzieller Interessenkonflikte im Bausektor. Seine Petition erhielt online Tausende von Unterschriften.

"Die Hongkonger sind vereint in ihrer Trauer. Wir sind vereint in unserer Wut. Natürlich sind wir der Meinung, dass alle unsere Forderungen vom Gesetz toleriert werden sollten", zitierte die Hong Kong Free Press (HKFP) Kwan vor seiner Festnahme. Die HKFP veröffentlichte auch Bilder, die Kwan beim Verteilen von Flugblättern an einem Bahnhof in Hongkong zeigen. Am Montag (1.12.) soll Kwan wieder freigelassen worden sein.

Student MilesKwan verließ am 1.12.2025 wieder das PolizeirevierBild: Lam Yik/REUTERS

Behörden "zutiefst beunruhigt" über öffentliche Reaktion

Die Hongkonger Behörden äußerten sich nicht direkt zu den Festnahmen. Der Sicherheitschef Chris Tang erklärte aber am Montag (1.12.), dass die nationale Sicherheit durch "falsche Kommentare im Internet" bedroht sei. "Wir müssen geeignete Maßnahmen ergreifen, einschließlich Strafverfolgungsmaßnahmen." Details dazu habe er aber aus ermittlungstaktischen Gründen nicht bekannt geben können. Sein Dienstherr, Hongkongs Verwaltungschef John Lee, bekräftigte am Dienstag (2.12.), er werde "keine Verbrechen tolerieren", die "die Tragödie, mit der wir derzeit konfrontiert sind, ausnutzen". Lee war zuvor der Polizeichef der Metropole mit sieben Millionen Einwohnern gewesen.

Verwaltungschef John Lee (m.) mit seinem Kabinett auf der GedenkveranstaltungBild: Peter Parks/AFP/Getty Images

"Sowohl Hongkong als auch Peking haben das Krisenmanagement nach dem Brand zu einem Krisenmanagement umgestaltet, das sich auf die Sicherung des Regimes konzentriert", sagt Eric Lai, Senior Fellow am Center for Asian Law der Georgetown University im DW-Interview. "Die Behörden scheinen zutiefst beunruhigt zu sein über die selbstorganisierten Hilfsmaßnahmen und die Forderungen nach Rechenschaft."

Lai erklärte, dass die Behörden bereits damit begonnen hätten, die von der Zivilgesellschaft eingeleiteten Hilfsinitiativen durch offizielle Teams zu ersetzen, und dass sie Verhaftungen nutzten, um die Menschen davon abzuhalten, genauer zu untersuchen, was den Brand verursacht habe.

Löscharbeit während des Brands am 27.11.2025Bild: Amr Alfiky/REUTERS

"Ineffiziente Bauaufsicht"

Als Reaktion auf die Rufe aus der Bevölkerung versprach Regierungschef Lee nun Reformen in der Bauindustrie. Die Stadtverwaltung habe schlampigen Bauunternehmen unter die Arme gegriffen, sagt Bauingenieur und Aktivist Jason Poon Chuk-hung im DW-Interview. "Das größte Problem liegt in der mangelhaften Durchsetzung gesetzlicher Mindeststandards. Sie existieren zwar auf dem Papier, werden aber nicht befolgt. Die Bauvorschriften werden nicht strikt umgesetzt."

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Poon setzt sich seit mehr als einem Jahr dafür ein, dass die Brandsicherheit von Gerüstnetzen verbessert wird. "Letztendlich war dies ein außergewöhnlicher Brand, wie er möglicherweise nur einmal in hundert Jahren vorkommt. Die Leistung der Regierung von Hongkong war aber von Anfang an mittelmäßig. Unmittelbar nach der Katastrophe war die Leistung noch katastrophaler, insbesondere bei der Versorgung der Bewohner, die all ihr Hab und Gut verloren haben."

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Mitarbeit: Rik Glauert aus Hongkong und China-Redaktion der DW

Aus dem Englischen adaptiert von Dang Yuan

Korrektur am 03.12.2015: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es unter dem ersten Bild, dass es sich bei den dargestellten Personen um Rettungsteams handelt. Tatsächlich sind es Mitglieder der Disaster Victims Identification Unit (DVIU), auf deutsch Katastrophenopfer-Identifizierungseinheit, der Hongkonger Polizei. Die Redaktion bittet, den Fehler zu entschuldigen.

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