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Kunst

Brasilien: "Die Zensur ist wieder allgegenwärtig"

2. März 2019

Seit in Brasilien der Rechtspopulist Bolsonaro an der Macht ist, fürchten viele um die Werte der Demokratie. Künstler Hélio Fervenza hat mit der DW über Zensur und die Verantwortung von Kunst gesprochen.

Künstler Hélio Fervenza
Bild: Denise Helfenstein

Hélio Fervenza ist bildender Künstler und lehrt in Porto Alegre am Kunstinstitut der Bundesuniversität Rio Grande do Sul. Seine Werke waren unter anderem schon bei den Biennalen von Venedig, São Paulo und Amsterdam zu sehen. Wie viele Künstler in Brasilien, ist er über die politische Entwicklung in seiner Heimat besorgt. Mit der DW sprach er über den Stellenwert der Kunst, die um sich greifende Zensur und die Verantwortung der Kunst gegenüber der Gesellschaft.

Deutsche Welle: Brasilien hat eine sehr reiche Kultur, angefangen beim Karneval über die Volksmusik bis hin zur Literatur. All das ist sehr lebendig. Aber wie sieht es mit der zeitgenössischen Kunst in Museen aus? Welchen Stellenwert hat sie? Immerhin hat Präsident Bolsonaro das Kulturministerium schließen lassen.

Hélio Fervenza: Kunst interessiert ihn und seine Politikerriege nicht. Aber schon vorher gab es seitens des Ministeriums nur wenig Unterstützung. Für mich ist Kunst ein Zugang zum Wissen über die Welt, denn mit den Augen der Kunst sieht man sie aus neuen Perspektiven. Man wird sensibilisiert und begreift die Dinge auf eine andere Art. Diese Art von Kunst wurde in der Gesellschaft nicht anerkannt. Es war ein Prozess, der eben seine Zeit braucht. Nicht jede Kunst erzeugt sofort eine Reaktion, aber auf lange Sicht stößt sie in der Gesellschaft eine neue Denkweise an. Daher ist es sehr schlimm, was derzeit in Brasilien passiert: die Art und Weise, wie rücksichtslos die Regierung mit der Kunst umgeht.

Chico Buarque gilt als Bob Dylan Basiliens: Die Schließung des Kulturministeriums kommentierte er mit den Worten: "Mit diesen Ministern brauchen wir auch kein Ministerium!"Bild: picture-alliance/dpa

Kann Kunst ein Vehikel für die Entwicklung der brasilianischen Gesellschaft sein?

Niemand denkt derzeit an eine kulturelle Weiterentwicklung der Gesellschaft, schon gar nicht die Regierung. Und das spiegelt sich auch in einem großen Teil der brasilianischen Gesellschaft wider, die wirklich krank ist. Es dreht sich nicht um Qualität, sondern nur ums Geld: Kann man mit Kunst Geld machen oder nicht? Das ist die brasilianische Geschichte des Kapitalismus. Kaum jemand verschwendet einen Gedanken daran, wie Kunst uns weiterbringen oder die Sicht auf die Welt verändern kann. Schon gar nicht die Politiker. Im Gegenteil. Selbst klassische Kunstzweige werden nicht gefördert. Und schauen Sie sich mal an, wie wenige Menschen in Ausstellungen gehen - es geht eben nicht um die Kunst, sondern immer nur um Rentabilität.

Brasilien hat von 1964 bis 1985 unter einer Militärdiktatur gelebt. Damals wurde auch die Kunst unterdrückt, viele Künstler gingen ins Exil. Glauben Sie, dass die heutige Einstellung gegenüber der Kunst ihre Wurzeln in dieser Zeit hat?

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hät nicht viel von zeitgenössischer Kunst Bild: Reuters/U. Marcelino

Auf jeden Fall. Mehrere Politiker, allen voran Bolsonaro, haben offen ihre Bewunderung für die Militärdiktatur bekundet. Sie haben die Taten von Folterern gewürdigt. Man hat sich in Brasilien nie mit dieser Zeit auseinandergesetzt, kaum jemand wurde zur Rechenschaft gezogen. Der ganze bürokratische Unterdrückungsapparat der 1980er Jahre existiert immer noch, die Oligarchen von damals sind immer noch mächtig. Und all das taucht - nach einigen Jahren demokratischer Öffnung - jetzt wie ein Schreckgespenst wieder auf.
Viele brasilianische Künstler haben ihre Sorge ausgedrückt, dass die Zensur wieder zuschlägt. Muss man wirklich davor Angst haben, wenn man nicht regierungstreu ist?

Ja, die Zensur ist wieder allgegenwärtig. Nicht wie früher zu Zeiten der Militärdiktatur, aber man spürt den Druck von mehreren Seiten auf unterschiedlichste Weise. Man verletze religiöse Gefühle oder Ähnliches, heißt es dann. In einigen Ausstellungen wurde massiv randaliert. Dann gab es Bilder, die die aktuelle Politik kritisieren - sie wurden abgehängt. Oft sind es sogar die Kuratoren oder Museumsleiter selbst, die bei Ausstellungen ein Veto einlegen. Und Kuratoren, die sich der gängigen Linie nicht beugen, wurden schon mehrfach bedroht. Es gab Einschüchterungsversuche seitens der Politik, sie mussten sich sogar vor dem Nationalkongress rechtfertigen, weil sie bestimmte unliebsame Werke aufgehängt hatten. Das hat mit Demokratie nichts mehr zu tun.

Die Welt hat sich unter Präsidenten wie Putin, Trump, Erdoğan oder jetzt Bolsonaro sehr verändert. Hat die Kunst eine Verantwortung, sich den neuen Herausforderungen zu stellen?

Nicht nur die Kunst, wir alle müssen uns dem entgegenstellen. Aber natürlich hat die Kunst den Lauf der Geschichte immer kritisch reflektiert und widergespiegelt. Im Alltag bekommen wir oft gar nicht mit, was genau um uns herum passiert oder wir verstehen den globalen Zusammenhang nicht. Aber die Kunst besitzt die Fähigkeit, die Realität sichtbar zu machen und uns einen Überblick zu verschaffen. Oft war das für die Künstler nicht leicht, sie arbeiteten unter miserablen Bedingungen, aber sie haben es geschafft. Und sie haben viel über gesellschaftliche, soziale und politische Zusammenhänge zu sagen.

Beschäftigt sich die Ausstellung "Die Macht der Vervielfältigung" im Goethe-Institut auch mit diesem Thema?

Auf jeden Fall. Einige Werke widmen sich explizit den gegenwärtigen politischen Zuständen und zeigen, dass die Diktatur in Brasilien immer noch irgendwie präsent ist. Es ist erschreckend und skandalös, dass die aktuelle Regierung diese Zeit wie ein Schreckgespenst aufleben lässt. Bei der Ausstellung sollen die Betrachter dafür sensibilisiert werden. 

Wie sieht Ihre künstlerische Antwort auf die aktuelle Situation in Brasilien aus?

Fervenzas Satzzeichen werfen viele Fragen über die Welt auf Bild: Leo Eloy/Fundação Bienal de São Paulo

Ich habe mich vor allem im vergangenen Jahr stark mit dem Phänomen Zeit beschäftigt und einige wichtige Daten der brasilianischen Geschichte herausgepickt, zum Beispiel den Staatsstreich 1964 und den Beginn der Diktatur oder den Sturz von Präsidentin Dilma Rousseff 2016. Diese Daten habe ich durcheinander gemischt, so dass nicht klar wird: Ist das schon passiert? Oder kommt das noch auf uns zu? Es wird im Moment stark über die aktuelle politische Entwicklung diskutiert, und man fragt sich, ob wir nicht wieder in der Vergangenheit leben. Mit meiner Arbeit greife ich diese Debatte auf. Außerdem habe ich mit dem Wort "Demokratie" gespielt, es künstlerisch verfremdet, so dass man es kaum noch lesen kann. Ein Hinweis darauf, dass wir wohl nicht mehr wissen, was Demokratie bedeutet und wie man sich mit ihr identifizieren kann. Und daran müssen wir alle arbeiten.

Das Gespräch führte Suzanne Cords.

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