Brasilien: Experten loben Bolsonaro-Verurteilung
13. September 2025
Jair Messias Bolsonaro ist als erster Ex-Präsident Brasiliens wegen eines Putschversuchs zur Rechenschaft gezogen worden. Das Oberste Gericht verurteilte ihn zu 27 Jahren und drei Monaten Haft, seine sieben Mitangeklagten erhielten Strafen von zwischen zwei und 26 Jahren.
Der Rechtsprofessor Thiago Bottino von der Universität Fundação Getúlio Vargas in Rio de Janeiro bezeichnet den Prozess als höchst positiv für die junge brasilianische Demokratie. Erst 1985 war das Land nach einer Militärdiktatur wieder zurück zur Demokratie gekommen. "Und in diesen 40 Jahren sind unsere demokratischen Institutionen erwachsen geworden", urteilt Bottino im Gespräch mit der Deutschen Welle (DW).
So hätten sich zuerst ranghohe Militärs geweigert, Bolsonaros Putschpläne auszuführen. Der damalige noch amtierende Präsident hatte versucht, die Machtübernahme seines gewählten Nachfolgers Luiz Inácio Lula da Silva zur Jahreswende 2022/23 zu verhindern.
Und die zivilen Institutionen hätten laut Bottino durch den nun abgeschlossenen Prozess gegen die Putschisten ebenfalls ihre Wehrhaftigkeit bewiesen. "Brasilien darf sich selbst beglückwünschen", urteilt Bottino.
Dieses Hochgefühl werde getrübt durch die Bestrebungen des Kongresses, eine Amnestie für die Putschisten zu beschließen. Allerdings habe das Oberste Gericht auch hier das letzte Wort - und könnte das Amnestiegesetz wegen fehlender Verfassungskonformität notfalls stoppen.
Muss Bolsonaro ins Gefängnis?
Der Jurist relativiert Stimmen, die Bolsonaros Haftstrafe von über 27 Jahren als hoch ansehen. Anhänger Bolsonaros, die an den Ausschreitungen des 8. Januar 2023 in der Hauptstadt Brasília teilgenommen hatten, seien zu hohen Strafen von bis zu 18 Jahren verurteilt worden. "27 Jahre für den Verantwortlichen fällt da nicht aus dem Rahmen."
Zudem könne in Brasilien bereits nach Verbüßung von einem Sechstel der Strafe Vollzugslockerungen beantragt werden. Überhaupt sei nicht sicher, dass Bolsonaro tatsächlich ins Gefängnis müsse. Aufgrund seines labilen Gesundheitszustands in Folge eines Attentats im Jahr 2018 werde Bolsonaros Verteidigung es leicht haben, seine Gesundheitsprobleme zu belegen, so Bottino. "Sehr wahrscheinlich erfüllt er die Bedingungen, um seine Strafe im Hausarrest verbüßen zu können."
Auch César Muñoz, Brasilien-Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW), sieht den Prozess als "historisch für Brasilien." Er erinnert daran, dass die zahlreichen Putsche in der brasilianischen Geschichte davor nie geahndet worden seien, wie der Staatsstreich von 1964 durch das Militär. Auch war nach dem Ende der Diktatur 1985 niemand für die Menschenrechtsvergehen zur Rechenschaft gezogen worden.
Das nun ergangene Urteil sei dagegen "ein klares Signal, dass es zukünftig Konsequenzen haben wird, wenn gegen den demokratischen Rechtsstaat konspiriert oder den Brasilianern ihr Recht verweigert wird, in freien Wahlen ihre Regierung zu wählen", so Muñoz. "Und das ist gut für die Demokratie in Brasilien."
Positiv sei zudem, dass neben Bolsonaro auch ranghohe Militärs zu hohen Strafen verurteilt wurden, so Muñoz. Bisher sei es in Brasiliens Praxis gewesen, dass Militärs nur von Militärtribunalen, aber nicht von zivilen Gerichten abgeurteilt wurden. Für HRW verstößt diese Praxis gegen internationale Rechtsnormen. Das nun ergangene Urteil gegen die Militärs zeige, dass niemand in Brasilien über dem Gesetz stehe.
Bolsonaro noch nicht politisch am Ende
Der Politikwissenschaftler Guilherme Casarões sieht Bolsonaro und seine politische Bewegung des "Bolsonarismus" trotz des Urteils noch lange nicht am Ende. So werde man das Narrativ der politischen Verfolgung des Ex-Präsidenten durch Brasiliens Justiz auch international zu verbreiten versuchen, glaubt der Professor für Brasilianistik an der Florida International University.
Ein wichtiger Test für Bolsonaros Stärke sei, ob er Proteste auf Brasiliens Straßen und die Verabschiedung des Amnestiegesetzes im Kongress bewirken könne. Unklar sei, ob sich das Bolsonaro-Lager um dieses Anliegen scharren werde oder ob es um sein politisches Erbe zu Brüchen kommt. Eine Kandidatur Bolsonaros bei den Präsidentschaftswahlen Ende 2026 ist jedenfalls ausgeschlossen.
USA drohen Brasilien
Offen sei auch, inwieweit die USA weiteren Druck auf Brasilien ausüben werden. Die Regierung von Donald Trump hatte bereits hohe Strafzölle auf brasilianische Güter sowie Sanktionen gegen die meisten Richter des Obersten Gerichts erlassen. Zuletzt gab es gar Drohungen aus Washington, sich notfalls auch militärisch für die Freilassung des Verbündeten Bolsonaro einsetzen zu wollen.
Ob die USA jedoch tatsächlich ein ähnliches Drohszenario gegenüber Brasilien aufbauen würden, wie es derzeit durch die Entsendung von Kampfschiffen gegenüber Venezuela erfolgt, sei unklar, so Casarões. Eventuell könnte es zuerst einmal Verschärfungen der bereits bestehenden Sanktionen gegen die Richter des Obersten Gericht geben, sagt der Politikwissenschaftler.
César Munoz von HRW sieht den Versuch der Trump-Regierung, Einfluss auf das Urteil zu nehmen, äußerst negativ. "Trump hat jene Richter abgestraft, die nicht nach seinem Willen urteilen wollten. Das ist ein Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz und nicht hinnehmbar."