Brasilien: Über 130 Tote bei Polizeiaktion in Rio de Janeiro
Veröffentlicht 29. Oktober 2025Zuletzt aktualisiert 29. Oktober 2025
Bei stundenlangen Feuergefechten zwischen Sicherheitskräften und Kriminellen sind in Rio de Janeiro mindestens 132 Menschen getötet worden, darunter vier Polizisten. Das teilte die unabhängige Ombudsstelle des gleichnamigen Bundesstaates mit. Wie Medien in Brasilien berichten, handelte es sich um den blutigsten Einsatz in der Geschichte des Bundesstaates, der an der Küste des Atlantiksliegt. Spezialkommandos der Kriminal- und Militärpolizei waren in die Favela Alemão und in das Viertel Penha im Norden der brasilianischen Millionenmetropole eingerückt.
Nach Behördenangaben wurden 81 mutmaßliche Mitglieder des Comando Vermelho (deutsch: Rotes Kommando) festgenommen, unter ihnen ein regionaler Anführer und der Finanzchef eines der obersten Bosse. Das Verbrechersyndikat - eines der größten des südamerikanischen Landes - ist vor allem im Drogenhandel aktiv.
Zivilisten geraten ins Kreuzfeuer
Mindestens 2500 Polizisten waren an der Operation beteiligt, bei der zwei Hubschrauber und Dutzende gepanzerte Fahrzeuge zum Einsatz kamen. Über 90 Schnellfeuerwaffen und mehr als 200 Kilogramm Rauschgift wurden beschlagnahmt. Auf Videos ist zu sehen, wie schwarze Rauchwolken über den Vierteln aufstiegen. Kriminelle steckten Barrikaden und Autos in Brand, warfen Sprengsätze von Drohnen ab und schossen auf die Polizisten. Auch drei Passanten gerieten ins Kreuzfeuer.
"Wir handeln gemeinsam mit aller Kraft, um deutlich zu machen, dass die Macht beim Staat liegt", sagte der Gouverneur des Bundesstaates Rio de Janeiro, Cláudio Castro. Auf einer Pressekonferenz in der Kommandozentrale der Sicherheitskräfte kündigte er an: "Wir werden den Kampf gegen das organisierte Verbrechen entschlossen fortsetzen."
Buslinien wegen der Kämpfe umgeleitet
Die bürgerkriegsähnlichen Zustände hatten auch Auswirkungen auf das Stadtleben. Über 100 Buslinien mussten wegen der Kämpfe ihre Routen ändern. Mehrere Universitäten und Schulen ließen den Unterricht ausfallen. In den betroffenen Vierteln leben etwa 280.000 Menschen. Der Sicherheitsminister von Rio de Janeiro, Victor Santos, sagte dem Sender TV Globo: "Wir bedauern zutiefst, dass Menschen verletzt wurden, aber dies ist eine notwendige, intelligent geplante Maßnahme, die fortgesetzt wird."
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch bezeichnete die Polizeiaktion als "Katastrophe". Amnesty International schrieb: "Kein Gouverneur hat das Recht, ein Massaker an Menschen anzuordnen." Das Menschenrechtskommissariat der Vereinten Nationen forderte eine Untersuchung und erinnerte die Behörden in Rio "an ihre Verpflichtungen aus dem internationalen Recht".
Auch Brasiliens Oberstes Gericht verlangte von Gouverneur Castro eine Erklärung. Bereits 2019 hatten die Richter solche Einsätze in den Armenvierteln Rio de Janeiros aufgrund der hohen Zahl ziviler Opfer stark eingeschränkt.
Gouverneur Castro bezeichnete dies als kontraproduktiv. Der Gerichtsentscheid habe zur Ausbreitung der Banden in Rio de Janeiro maßgeblich beigetragen.
Brasiliens Polizei tötet 17 Menschen pro Tag
In kaum einem anderen Land der Welt kommen so viele Menschen bei Polizeieinsätzen ums Leben wie in Brasilien. 2024 töteten Sicherheitskräfte dort 6243 Menschen - durchschnittlich 17 Menschen pro Tag, wie aus dem Jahrbuch für öffentliche Sicherheit hervorgeht.
Zum Vergleich: In den USA waren Polizisten im vergangenen Jahr für den Tod von 1378 Menschen verantwortlich, in Deutschland wurden 22 Personen von der Polizei erschossen.
Allerdings lassen sich Polizeiaktionen in Europa nicht mit denen in Brasilien vergleichen: Die Operationen in den verwinkelten Gassen der Elendsviertel von Rio de Janeiro und São Paulo gleichen eher Militäreinsätzen.
Viele Favelas werden von schwer bewaffneten Drogenbanden kontrolliert. Rücken die Einsatzkräfte dort ein, um einen Haftbefehl zu vollstrecken oder nach Rauschgift zu suchen, werden sie nicht selten mit Salven aus Sturmgewehren empfangen.
jj/AR (dpa, afp, rtr, kna)
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