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Brasilien vor einem Jahrzehnt der Industrialisierung

Tobias Käufer aus Rio de Janeiro
20. Februar 2024

Autohersteller, Maschinenbauer, Energieprojekte: Brasilien zieht derzeit internationale Investitionen an. Mittelfristig dürfte das Land einen großen Sprung nach vorne machen.

Zwei Hafenarbeiter sind neben einem riesigen blauen Schiffsrumpf und Ladekränen am Dock des Hafens von Santos zu sehen
Im Hafen von Santos in der Nähe von Sao PauloBild: Nelson Almeida/AFP

Die Branche überschlägt sich mit Superlativen: "Der Sektor erwartet den größten Investitionszyklus der Geschichte", sagt Marcio de Lima Leite, Präsident des Verbandes der Automobilfabrikanten Brasiliens (Anfavea) vor wenigen Tagen im Gespräch mit Journalisten. Nach Verbandsangaben plant die Automobilindustrie im größten Land Südamerikas bis 2029 Investitionen in Höhe von rund 100 Milliarden Reais (umgerechnet 20 Milliarden Dollar). Kaum eine Woche vergeht, an dem nicht Konzerne wie Volkswagen oder der neue Big Player auf dem Markt, BYD aus China, neue Ankündigungen platzieren.

"Wenn man sich dieses Wettrennen anschaut, ist China sehr stark im Kommen: In den letzten sechs Jahren hat China den vierten Platz in Lateinamerika bei der Autoproduktion und den Verkäufen in Lateinamerika verlassen", sagt der Wirtschaftswissenschaftler Felipe Rodrigues von der Universität Fluminense (UFF) im Gespräch mit der DW. Er erwartet, dass China in den nächsten fünf bis sieben Jahren etwa ein Drittel des Marktes beherrschen wird. Und dazu geht der erste chinesische Hersteller nun den Schritt nach Brasilien und baut dort sein erstes eigenes Werk.

Dazu passt die Ankündigung von Präsident Lula da Silva vom Donnerstag, wonach der südkoreanische Autobauer Hyundai Motor umgerechnet eine Milliarde Euro in Brasilien investieren will.  

Symbolträchtiger Start in Goias

Die Autobranche ist aber nur eine Sparte eines Jahrzehnts der Industrialisierung, wie es Brasilien gerade erlebt. Für Aufsehen sorgte vor wenigen Tagen auch der Startschuss für den Bau der ersten Anlage der chinesische WeiChai Group, einem der weltweit größten Hersteller von Motoren und Landmaschinen. Gemeinsam mit dem heimischen Unternehmen Stemac, das bislang die Motoren des chinesischen Unternehmens importiert, wird das Projekt vorangetrieben.

Eine der Haupteinnahmequellen Brasiliens: Bohrinsel der Erdölgesellschaft Petrobras in der Bucht vor Rio de JaneiroBild: picture alliance/imageBROKER

Die Erwartungen sind hoch: "Itumbiara wird die Produktionskapazitäten und die technologische Expansion dieses Großunternehmens ganz Lateinamerika zur Verfügung stellen. Das ist etwas, was das Konzept der Stadt verändert", ist Gouverneur Ronaldo Caiado aus dem Bundesstaat Goias überzeugt. Das chinesische Unternehmen soll die Motoren von Anfang bis Ende vor Ort in der 100.000-Einwohner-Stadt Itumbiara herstellen, um den brasilianischen Markt und andere Länder zu bedienen. Zumindest ist das so versprochen und nur so entstehen auch die erhofften Arbeitsplätze vor Ort.

Tor nach Lateinamerika

"Diese neue Fabrik wird ein Tor für WeiChai-Produkte in Lateinamerika sein. Es wird wichtige Segmente wie Bergbau, Landwirtschaft, Boote und andere Maschinen beliefern", steuert der Minister für Industrie und Handel, Joel Sant'Anna Braga Filho, bei. Das lässt sich die Regionalregierung offenbar einiges kosten: "Der Gouverneur hat uns die attraktive Steuerpolitik vorgestellt und wir haben uns entschlossen, unseren Fuß auf brasilianischen Boden zu setzen", wird WeiChai-Vizepräsident Guo Shan Gan in den lokalen Medien zitiert.

Maschinen zur Holzverarbeitung auf einer Messe in Sao Paulo (Archivbild 2022) Bild: Leandro Chemalle/ZUMA/picture alliance

Ein Grund, warum Brasilien attraktiver für Industrieinvestitionen wird, ist auch die Rolle, die das Land bei der Produktion von Wasserstoff spielen soll. Erst im letzten Jahr sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dem brasilianischen Staatspräsidenten Luiz Inacio Lula da Silva Fördermittel in Höhe von zwei Milliarden zu. Das Geld soll Wasserstoffprojekten zugutekommen. In der Regel siedelt sich die Industrie auch dort an, wo die Planer in der Zukunft eine verlässliche und günstige Energieversorgung erwarten. Brasiliens starke Rolle bei erneuerbaren Energien dürfte hier eine Rolle spielen.

"Brasilien ist auch eine Supermacht im Bereich der erneuerbaren Energien. 87 Prozent des von Ihnen erzeugten Stroms kommt aus regenerativen Energiequellen. Auf den Gesamtenergieverbrauch umgelegt sind das 50 Prozent. Das ist wirklich beeindruckend, und wir können viel von ihnen lernen", sagte von der Leyen bei einem Brasilien-Besuch im letzten Jahr.

Staat hinkt dem Tempo hinterher

Die Investitionen in Brasilien sind allerdings fast überwiegend privatwirtschaftlicher Natur. Deutlich zurück bleiben dagegen die Investitionen in die Infrastruktur: Häfen, Flughäfen, Verkehrsrouten. Brasiliens Finanzminister Fernando Haddad legte erstmals nach zwei Jahren wieder ein defizitäres Haushaltsbudget vor. Schuld daran sei die Vorgänger-Regierung unter Jair Bolsonaro, sagte Haddad. Die hatte allerdings zuletzt zwei Jahre in Folge Haushaltsüberschüsse verzeichnet.

Auch die Zahl der neu geschaffenen formellen Arbeitsverträge hält mit dem Tempo der guten Nachrichten aus dem Investitionssektor nicht Schritt. Das abgeschlossene Jahr endete mit 1,5 Millionen neuen formellen Arbeitsplätzen und damit deutlich unter den 2,01 Millionen aus dem 2022 und den 2,78 Millionen (2021). Für das Jahr 2024 erwarten die Experten sogar eine weitere Verlangsamung. Einen spürbaren Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt bringen die Investitionsversprechen vorerst noch nicht.

Mitarbeit: Ramona Samuel 

Der Artikel wurde am 20.02.2024 veröffentlicht und am 22.02.2024 um die Ankündigung der Investition von Hyundai aktualisiert.  

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