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Waldschutz per App

Ciara Long São Paulo
11. August 2018

In Brasilien versuchen immer wieder Holzfäller und Rinderfarmer Gebiete zu besetzen, in denen indigene Gemeinden leben. Doch die setzen sich gegen Landraub und Umweltzerstörung zur Wehr - mit Handy und App.

Drei Männer sehen auf ein Smartphone (Quelle: Ádon Bicalho/IPAM)
Bild: Ádon Bicalho/IPAM

Eines Tages standen die Hütten einfach da, direkt an der Grenze des entlegenen Waldgebiets "Serra da Moça” hatte man sie errichtet. Bei Jabson Nagelo da Silva schrillten die Alarmglocken. "Sie hatten sich einfach dort niedergelassen", sagt er. "Diese Leute nutzten einfach unser Land, ohne zu fragen."

"Unser Land", das ist ein Gebiet im nördlichsten Teil Brasiliens, das offiziell dem Volk der Makuxi gehört. Nagelo ist der Sohn eines der Ältesten, der vor wenigen Jahren verstorben ist. Für ihn bedeutet die neue Siedlung eine massive Bedrohung. Überrannt fühle er sich, spricht gar von einer Invasion, die den Lebensstil und damit auch das Überleben seiner Leute bedrohe.

Dabei sind die Absichten der Neuankömmlinge nicht unbedingt klar. Nagelos Bedenken gründen sich vor allem auf Erfahrungen, die sein Volk bereits mit Siedlern gemacht hat.

Seit die Makuxi vor 200 Jahren zum ersten Mal Fremden begegneten, haben sie für ihre Sprache und Traditionen gekämpft. Ebenso für das Stück Land, das sie für sich beanspruchen. Denn hier, sagen sie, haben ihre Vorfahren schon seit Jahrhunderten gelebt.

Trotzdem drängen seit Jahrzehnten Bergbauunternehmen, Holzfäller, aber auch Bauern immer wieder in indigene Territorien vor, auch in die Serra da Moça. Als sich die Makuxi dagegen in der Vergangenheit zur Wehr setzten, stießen sie auf heftige Gegenwehr, bis hin zur Gewaltanwendung.

Hilfe von Seiten staatlicher Behörden konnte Nagelo zunächst auch nicht erwarten. Dazu hätte er beweisen müssen, dass sich die illegalen Eindringlinge tatsächlich auf dem Gebiet der Makuxi befanden. Die dazu notwendige Karte gab es seit einer offiziellen Anerkennung der Grenzen 1984 zwar, allerdings besaß niemand eine Kopie.

Das änderte sich völlig unerwartet durch die Entwicklung einer App namens SOMAI.

Brasiliens indigene Gemeinschaften sind bedroht durch Abholzung, Bergbau und ViehzuchtBild: Ádon Bicalho/IPAM

Digitales Hilfsmittel für Landrechte

Entwickelt wurde sie von der brasilianischen Organisation IPAM. Die regierungsunabhängige Organisation betreibt Umweltforschung im Amazonas. Dazu sammelt sie Daten zu Regenfällen und Abholzung, stellt aber auch die offiziellen Grenzlinien indigener Territorien zur Verfügung.

Wie man das digitale Hilfsmittel bedient, hatten Nagelo und 100 andere indigene Brasilianer bereits Anfang 2018 auf einem Workshop gelernt. Mit der Karte in der App bestätigte sich nun seine Vermutung. Er konnte die Beweise liefern, um die Eindringlinge anzuzeigen - und das geht ebenfalls über die App.

"Wir hatten ja schon vermutet, dass diese Leute illegal auf unser Land gekommen waren, aber niemand von uns hatte die nötigen Mittel, das zu kartografieren", sagt Nagelo. "Als ich die Demarkationslinien unseres Landes sah, war ich sehr glücklich, dieses Hilfsmittel nutzen zu können. Wir Indigene können nämlich am besten selbst auf unser Land aufpassen."

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IPAM sagt, dass ihre kostenfreie App auch in vielen anderen Fällen helfen konnte. Im Juni 2017 beispielsweise meldeten Vertreter des Kayapó-Volks Rodungen an den Rändern ihres Territoriums über die App. Es gelang ihnen, ihr Land zu schützen. Auch heute noch können sie ihre traditionellen Anbaumethoden in einem intakten Wald nutzen. 

Viele dieser Gemeinden seien sehr gut vernetzt, auch wenn sie in extrem abgelegenen Gebieten leben, sagt IPAM-Koordinatorin Fernanda Bortolotto. Sie schätzt, dass inzwischen mehr als 100 Menschen die App nutzen. Die genaue Zahl festzustellen sei schwierig, weil ein Telefon in der Regel von mehreren Menschen innerhalb der Gemeinschaft genutzt werde.

"Für mich ist es viel einfacher, über Facebook und WhatsApp mit ihnen zu kommunizieren, als per E-Mail", so Bortolotto zur DW. "Sie haben schon lange Handys - aber erst jetzt kommen die Neuen Medien bei der Überwachung der Territorien zum Einsatz."

IPAM bietet indigenen Gemeinschaften Workshops an, um ihnen zu zeigen, wie die SOMAI-App funktioniertBild: Ádon Bicalho/IPAM

Mit dem Klimawandel klarkommen

Viele Sprecher indigener Gemeinden sagen, dass sie die App auch nutzen, um besser auf die negativen Folgen des Klimawandels reagieren zu können. Im Amazonas kommt es immer öfter zu Dürren, dadurch steigt auch die Waldbrandgefahr. Durch Hilfsmittel wie SOMAI können die Menschen besonders trockene Gebiete meiden und erfolgreicher gegen bereits ausgebrochene Feuer vorgehen.

Außerdem helfen Temperaturaufzeichnungen und Niederschlagsdaten dabei, sich besser auf Dürren und andere Extremwetterereignisse vorzubereiten. Wer die App nutzt, kann auch selbst Daten in die Datenbank eintragen.

"Mit der App haben wir die Möglichkeit, ungefilterte Informationen von den indigenen Gemeinden zu erhalten", erklärt Sineia do Vale. Er gehört zum Volk der Uapixana und ist der Umweltbeauftragte der NGO Indigenous Council of Roraima. Wie die Makuxi leben auch die Uapixana im Bundesstaat Roraima. "Weil beide Gemeinden nun ihre eigenen Klimakarten erstellen können, werden sie unabhängiger und können sich den klimatischen Veränderungen besser anpassen", so do Vale.

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Das Überleben der indigenen Gemeinden Brasiliens hängt allerdings nicht nur von Verbesserungen bei den Themen Landrecht und Umweltschutz ab, darin sind sich die Vertreter indigener Organisationen einig.

Aktuellen Untersuchungen zufolge nähert sich die Abholzung im Amazonas-Regenwald dem sogenannten "tipping-point". Dieser Punkt markiert einen Schwellenwert, von dem an sich das Ökosystem Wald unumkehrbar in eine Savanne verwandelt. Tritt dieses Szenario ein, dann würde der Planet einen seiner wichtigsten CO2-Speicher verlieren.

Studien belegen auch, dass die Abholzungsraten in Naturschutzgebieten, die auf indigenem Territorium liegen, viel geringer sind als außerhalb dieser Gebiete. Das bedeutet, dass die Menschen, die im Wald und an seinen Rändern leben, eine "unersetzliche Rolle" dabei spielen, den Kohlenstoff, der von tropischen Wäldern gespeichert wird, zu halten. Immerhin geht es dabei um die Menge von 54,5 Millionen Tonnen.

Anfang 2018 protestierten indigene Gemeinschaften gegen die Bodenpolitik der brasilianischen RegierungBild: Getty Images/AFP/C. De Souza

Die Drohungen gehen weiter

Dieser Erkenntnis zum Trotz könnten neue Gesetzesentwürfe eine offizielle Anerkennung indigener Landrechte erschweren. Indigene Territorien mit eindeutiger Abgrenzung machen 13 Prozent der Fläche Brasiliens aus - 98,5 Prozent davon liegen im Amazonas.

Die Demarkierung von Land ist schon heute ein langwieriger und nervenaufreibender Prozess, an dem viele Behörden auf unterschiedlichsten Ebenen beteiligt sind. Im Raum steht bei der Gesetzgebung auch eine Art "Zeitstempel", der die indigenen Gruppen in Bedrängnis bringen würde. Demnach müssten sie beweisen, dass sie und ihre Angehörigen bereits im Jahr 1988, als die neue brasilianische Verfassung in Kraft trat, auf dem entsprechenden Land wohnten. Könnten sie den Beweis nicht liefern, wären sie ihre Landrechte los.

Die Situation sei bereits schwierig und werde immer schlimmer, sagte die Berichterstatterin der Vereinten Nationen (UN), Victoria Tauli-Corpuz, bei einem Besuch der indigenen Gemeinden Brasiliens im Jahr 2016.

Dazu passt, dass der brasilianischen Regierungsorganisation National Indian Foundation (FUNAI) in den letzten Jahren fast die Hälfte ihres Budgets gekürzt wurde. Die Organisation wurde gegründet, um sich um die politischen Prozesse im Zusammenhang mit indigenen Völkern zu kümmern. Nun kann sie ihre Aufgaben, darunter auch Überwachung, Schutz und Kartografierung indigener Gebiete nicht mehr in vollem Umfang sicherstellen.

Auch die Stimmung ändere sich, berichten indigene Vertreter. Sie seien in jüngster Zeit wieder vermehrt verbalen Angriffen ausgesetzt gewesen. Sie reichten bis hin zur Androhung körperlicher Gewalt durch Holz- und Minenarbeiter oder Vertretern der Agrarindustrie.

Insgesamt seien Mitglieder ihrer Gruppe in den letzten Jahren neun Mal bedroht worden, berichteten Sprecher von Indio-Völkern, die sich das Land mit den Makuxi teilen, dem investigativen journalistischen Netzwerk "Amazonia Real". Demnach seien die Drohungen immer von Personen gekommen, die mit der Holzfirma FIT Manejo Florestal in Verbindung stehen. Das Unternehmen ist an den Grenzen des Territoriums aktiv. (Für eine Stellungnahme gegenüber der DW war FIT zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Artikels nicht erreichbar.)

Die Organisation IPAM hofft nun, mittels ihrer App den Druck auf die indigenen Gemeinden mildern zu können. Für ihre Arbeit haben die Brasilianer 2016 bereits eine Auszeichnung im Rahmen von Googles Social Impact Challenge Award bekommen.

"Unser Ziel ist es, diese Daten grundsätzlich allen indigenen Völkern zur Verfügung zu stellen", so IPAM-Koordinatorin Bortolotto, "damit sie sie im Kampf für ihre Rechte einsetzen können."

 

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