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Ein gespaltenes Land

Tobias Käufer, Rio de Janeiro19. März 2016

Die Proteste gegen Staatschefin Rousseff und den Ex-Präsidenten Lula gehen weiter. Die regierende Arbeiterpartei ruft zur Gegendemo auf. Brasilien ist ein zutiefst gespaltenes Land. Von Tobias Käufer, Rio de Janeiro.

Demonstranten in Rio de Janeiro, Foto: DW
Bild: DW/T. Käufer

Das Klingen der Kochtöpfe bahnt sich seinen Weg durch die Häuserschluchten von Rio de Janeiro. Im Fernsehen spricht Präsidentin Dilma Rousseff, doch ihre Worte werden vom Lärm der auf das Metall aufschlagenden Kochlöffel übertönt. Diese Form des Protestes hat Tradition in Brasilien und in diesen Tagen der tiefen politischen Krise ist der Lärm noch ein Stück lauter als bei früheren Gelegenheiten. Ein Teil der brasilianischen Bevölkerung hat sich innerlich von dieser Regierung bereits verabschiedet, nicht einmal mehr Zuhören wollen sie ihrer in den Umfragen abgestürzten Präsidentin. Fast rund um die Uhr berichten die großen brasilianischen Sender über die zugespitzte Lage. Die Menschen stehen vor den Fernsehern der Cafés und Restaurants und verfolgen die Entwicklung gebannt.

Mit Geldscheinen gegen die Regierung

Einer, der wieder auf die Straße gegangen ist, ist Andre Ribeiro. "Dieses System ist durch und durch korrupt", sagt der Student der Wirtschaftswissenschaften. "Das Schlimme ist, dass auch die Opposition keine wirkliche Alternative ist, denn es gibt ja auch bei ihr Fälle von Bestechlichkeit." Als besonderen Gag hat sich Ribeiro zusammen mit seinen Kommilitonen mit falschen und dazu noch kreativ umgestalteten Geldscheinen eingedeckt. "Gefängnis Lula und Dilma" steht auf den falschen 100 Reais-Noten, die am Ende des Tages in den Pfützen liegen.

In Rios Stadtzentrum regiert dagegen die Farbe Rot der Arbeiterpartei PT. Die durch Millionenzahlungen des staatlichen Ölkonzerns Petrobras tief in den Korruptionssumpf verstrickte Regierungspartei hat ihre Anhänger mobilisiert. Lange befanden sich die PT-Anhänger angesichts der immer neuen Vorwürfe und der Vorladung von Ex-Präsident und Parteigründer Lula da Silva in einer Art Schockstarre, doch nun scheint die Parteibasis bereit zu kämpfen. Die umstrittene Rückkehr Lula da Silvas macht ihnen Mut.

Die Demonstranten fordern ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin RousseffBild: DW/T. Käufer

Der Ex-Präsident wurde von Rousseff als Kabinettchef ins Zentrum der Macht zurückgeholt, um die "Regierung zu stärken", wie Lulas Vorgängerin betonte. Doch die brasilianische Justiz schob dem bislang einen Riegel vor. Es müsse weiter ermittelt werden, ein Eintritt in die Regierung sei nicht zulässig, entschieden die Richter. "Lula, Lula" schallt es an diesem Nachmittag über die Plätze. "Nein zum Staatsstreich durch die Justiz", steht auf den Plakaten. Viel weiter auseinander liegen könnten die Standpunkte nicht.

Comeback Lulas wirkt wie Brandbeschleuniger

Die Rückkehr der Ikone der PT wirkt in der aktuellen Lage wie ein Brandbeschleuniger. Den Inhalt eines abgehörten Telefonats zwischen Lula und Rousseff deuten die Regierungsgegner als den Versuch der Regierung, Lula eine Art Immunität gegen die Korruptionsermittlungen zu verschaffen. Das hat die Wut der Regierungsgegner noch einmal erhöht. "Der Mann gehört ins Gefängnis. Er hat das Volk bestohlen", ruft Luana Vierra. Die Krankenschwester ist einer der wenigen afro-brasilianischen Demonstranten bei der Anti-PT-Demo am Abend.

Auch das zeigt, dass ein tiefer Riss durch die brasilianische Bevölkerung geht. Zumindest in São Paulo und Rio de Janeiro stammen die Regierungsgegner überwiegend aus der weißen Mittelschicht, die besonders von der schweren Wirtschaftskrise des Landes betroffen ist. Der Anteil der Afro-Brasilianer ist bei den Demos der PT, die sich traditionell als Anwalt des kleinen Mannes versteht, deutlich höher.

Viele verfolgen die Live-Übertragung der Proteste im TVBild: DW/T. Käufer

In beiden Lagern mischen sich extreme Positionen. Bei den Regierungsgegnern tummeln sich auch Anhänger, die unverhohlen eine Rückkehr zu einer Militärregierung oder gar einer Monarchie propagieren, wenngleich sie nur eine kleine Minderheit ausmachen. Bei den Demonstrationen der PT mischen sich immer mehr linke Fundamentalisten in die Reihen, die einen radikalen Kurswechsel von Rousseff nach dem Vorbild Venezuelas fordern.

An der Rolle von Richter Sergio Moro, einer zentralen Figur bei den Ermittlungen, wird die unterschiedliche Wahrnehmung der beiden Lager besonders sichtbar. Für die PT-Anhänger ist Moro ein Helfer dunkler Mächte, die einen Putsch vorbereiten. Für die Opposition aber ist er ein Volksheld, der sich einer korrupten Regierung entgegenstellt. Die Fliehkräfte in Brasilien sind enorm, nur eine Partei oder eine Persönlichkeit aus der Mitte, die das tief gespaltene Land mit sich selbst versöhnen könnte, ist nicht in Sicht.

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