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PolitikSlowakei

Bratislava nach dem Anschlag: Schock, aber keine Tränen

Lubos Palata (aus Bratislava)
17. Mai 2024

In der liberalen Hauptstadt der Slowakei ist man schockiert über den Mordanschlag auf den Regierungschef. Doch die Trauer hält sich in Grenzen. Zu umstritten ist die Politik der rechtsnationalen Regierung.

Sanitäter in orangen Anzügen schieben eine Liege mit einem Mann
Der slowakische Premier Robert Fico wird am Mittwoch (15.05.2024) in ein Krankenhaus transportiert, nachdem er angeschossen wurdeBild: Jan Kroslak/TASR via AP/picture alliance

Bratislava, die Hauptstadt der Slowakei nach dem Attentat auf den Premier Robert Fico: Wer erwartet hat, dass das Leben im Lande still steht, sieht sich getäuscht. Auf den Straßen Bratislavas geht das Leben weiter wie immer. Jedenfalls mehr oder weniger.

In der benachbarten Tschechischen Republik wird derzeit die Eishockey-WM ausgetragen. Eishockey ist der slowakische Nationalsport, vor allem seit die Slowakei 2002 Weltmeister wurde. Nun sind die Restaurants und Bars in Bratislava mit ihren großen Bildschirmen, die eigens für die WM installiert wurden, am Abend nach dem Attentat vielleicht nicht so voll wie an anderen Tagen, an denen die slowakische Mannschaft eines ihrer Spiele bestreitet. Doch leer sind sie definitiv nicht.

"Der Idiot, der auf Fico geschossen hat, hat uns ein bisschen den Umsatz verdorben, das ist sicher", klagt ein Kellner in einem der Restaurants im Zentrum. Die Slowakei spielte gerade ein wichtiges Spiel gegen Polen. "Wir haben darüber nachgedacht, zu schließen, aber da der Premierminister nicht gestorben ist, haben wir es gelassen."

Eishockeyfans vor einer Bar in Bratislava am Mittwochabend (15.05.2024) nach dem Attentat auf Premier Robert FicoBild: Lubos Palata

Einige Eishockeyfans in Bratislava sind von dem Attentat nicht besonders berührt. "Es ist doch nichts passiert", sagte ein Mann mittleren Alters, der in einem Restaurant direkt neben dem Fernseher, in dem das Spiel übertragen wird, Platz genommen hat. Auf die Bemerkung, dass doch auf den Ministerpräsidenten Robert Fico  immerhin ein Mordattentat verübt worden sei, meint er: "Ja, das stimmt. Aber ich sage Ihnen doch, es ist nichts passiert."

Angst wegen der Drohungen

Mit dieser Ansicht ist er in Bratislava nicht allein. Die liberale und proeuropäische slowakische Hauptstadt ist seit Monaten das Zentrum regierungskritischer, pro-demokratischer Proteste der Opposition. Auslöser für die Demonstrationen sind die von der Regierung verhängten Einschränkungen im Kampf gegen politische Korruption und Vetternwirtschaft oder die Versuche, die Kontrolle über das öffentliche Fernsehen und den Rundfunk zu übernehmen. Die Stimmung in der Bevölkerung Bratislavas spiegelt sich deutlich in den Wahlen wider, bei denen die nun von der liberalen Partei Progressive Slowakei (PS) angeführte Opposition seit Jahren mit großem Vorsprung gewinnt.

Blick auf die slowakische Hauptstadt BratislavaBild: Lubos Palata

"Die Menschen waren überwiegend schockiert über das, was passiert ist, sie waren sehr erschrocken über das Attentat selbst", sagt Tereza, Anfang 30 und Verkäuferin in einer Buchhandlung in der barocken Altstadt von Bratislava. "Andererseits sind wir hier in Bratislava, also kann man kein großes Mitleid oder Sympathie für Robert Fico erwarten." Zwar würde kein normaler Mensch Fico einen derartigen Schicksalsschlag wünschen, ergänzt Tereza. "Aber die Leute sind sehr verängstigt durch die Reden einiger Regierungspolitiker, die mit Vergeltung drohten. Sie haben Angst vor den Folgen des Attentats."

Im Parlament kochen Emotionen hoch

Im slowakischen Parlament lief gerade eine der wie üblich stürmischen Sitzungen, als die Nachricht von dem Anschlag eintraf. Die Emotionen kochten hoch. "Das ist euer Werk", warf Lubos Blaha, stellvertretender Parlamentspräsident und prominentes Mitglied in Ficos Partei SMER, der Opposition unmittelbar nach Bekanntwerden der Nachricht von dem Attentat vor. Blaha ist in der Slowakei bekannt für seine antiliberalen, antiwestlichen und prorussischen Ausfälle, mitunter verbreitet er Verschwörungstheorien. Auch Andrej Danko, Vorsitzender der mitregierenden nationalistischen Slowakischen Nationalpartei (SNS) drohte: "Wir werden Maßnahmen ergreifen! Jetzt beginnt der Krieg!"

Der slowakische Premier Robert Fico (M.), der designierte Staatspräsident Peter Pellegrini (l.) und der Vorsitzende der Slowakischen Nationalpartei (SNS), Andrej Danko (r.)Bild: Jaroslav Novak/TASR/dpa/picture alliance

Die Opposition hat das Attentat einhellig und eindeutig verurteilt. Eine für Mittwochabend geplante Protestdemonstration gegen den Umbau des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sagte die PS ab, alle Oppositionspolitiker riefen zur Ruhe auf. "Ich bin schockiert und entsetzt über die Schüsse auf Premierminister Robert Fico", schrieb der PS-Vorsitzende Michal Simecka auf X (Twitter). "Wir verurteilen unmissverständlich und aufs Schärfste jegliche Gewalt."

Aufruf zur Besonnenheit

Innenminister Matus Sutaj Estok sagte nach der Sitzung des Staatssicherheitsrates am Donnerstag vor Reportern, dass der Angriff auf Fico eindeutig politisch motiviert sei und indirekt nahelege, dass der Attentäter ein Sympathisant der Opposition sei. Allerdings schränkte er ein: "Dies ist eine Tat eines Einzelgängers. Ich kann bestätigen, dass der Verdächtige kein Mitglied einer radikalisierten politischen Gruppe ist, weder rechts noch links." Estok rief ebenfalls zur Besonnenheit auf.

Die slowakische Staatspräsidentin Zuzana Caputova mit ihrem designierten Nachfolger Peter Pellegrini am Donnerstag in BratislavaBild: Jaroslav Novak via REUTERS

In einer gemeinsamen Presseansprache äußerten die scheidende parteilose Präsidentin Zuzana Caputova, die ursprünglich aus den Reihen der Progressiven Slowakei stammt, und ihr Nachfolger Peter Pellegrini, derzeit noch Vorsitzender der in Ficos Koalition mitregierenden sozialdemokratischen Partei Hlas, einen ähnlichen Aufruf. "Gemeinsam werden wir alle Parlamentsparteien zu einer Beratung einladen", sagte Caputova.

"Gewalt ist keine Lösung"

"Beschwichtigung ist jetzt der einzig mögliche Schritt", sagt der ehemalige Parlamentspräsident Ivan Miklosko, Mitglied der oppositionellen Christdemokratischen Bewegung, zur DW. "Ich habe seit der Wahl eine Empörung im Parlament gespürt, wie ich sie in den Jahrzehnten, in denen ich dort Abgeordneter bin, noch nie erlebt habe", so der 77-Jährige, der ein Urgestein der slowakischen Politik ist. "Keiner von uns Politikern kann heute sicher sein, dass wir nicht das nächste Opfer werden. Wir müssen diesen Hass stoppen", fügt Miklosko hinzu.

Die meisten Menschen, mit denen man dieser Tage in Bratislava spricht, scheinen ähnlicher Meinung. "Gewalt ist keine Lösung", sagt auch der Student Juraj, der in der Altstadt von Bratislava unterwegs ist. "Und das, obwohl ich mit Fico als Politiker in fast keiner Frage einverstanden bin. Dennoch wünsche ich ihm gute Besserung."

Lubos Palata Korrespondent für Tschechien und die Slowakei, wohnhaft in Prag