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Politik

Braucht Berlin den Flüchtlingspakt noch?

9. März 2017

Das angespannte Verhältnis zwischen Ankara und Berlin wird sich auf das Flüchtlingsabkommen zwischen Europa und der Türkei kaum auswirken. Glaubt man Experten, verliert der Pakt für Berlin immer mehr an Bedeutung.

Flüchtlinge in die Türkei
Bild: picture-alliance/AP Photo/L. Pitarakis

"Der aktuelle Nutzen für die Türkei ist derzeit höher als für die EU; sie hat also ein großes Interesse, daran festzuhalten, weil es für sie keine Alternative gibt", sagt Kristian Brakel, Leiter der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul, Er glaubt nicht an ein baldiges Ende des Pakts.

Auch der Migrationsforscher Vassilis Tsianos von der Fachhochschule Kiel hält einen Ausstieg der Türkei für unwahrscheinlich. "Diejenigen, die die türkische Migrationspolitik und die türkische Europapolitik gestalten, sind sehr kluge, erfahrene und europaorientierte Strategen, deren Arbeit nichts mit dem propagandistischen Effekt der Politik des Herrn Erdogan zu hat", sagte er der DW.

Stillstand in der Visafrage

Nicht nur für die EU, auch für die Türkei steht viel auf dem Spiel. Es geht nicht nur um Zahlungen in Höhe von vier Milliarden Euro, sondern auch um die Liberalisierung der Visa für die türkischen Bürger. "Das ist auch für die türkische Regierung wichtig - dann können sie die Liberalisierung als wichtigen Erfolg ihrer Politik vorweisen", sagt Sozialwissenschaftler Tsianos. "Wir gehen davon aus, dass es nicht zur Einführung der Todesstrafe in der Türkei kommt - das heißt: Die offenen Kapitel für die europäische Integration sind immer noch offen." 

Die Türkei hat demnach nicht nur ein hohes Interesse an dem Pakt; sie hat im Gegenzug auch immer weniger in der Hand. Selbst wenn das Abkommen ausgesetzt würde: Die Auswirkungen wären nicht groß. Denn die Anzahl der Flüchtlinge hat drastisch abgenommen - auch ohne das EU-Türkei-Abkommen. "Die große Masse an Menschen, die fluchtbereit waren und auch das Geld dafür hatten, sind schon gegangen", sagt Brakel. Die, die noch da sind, machten sich oft nicht auf den Weg.

Endstation Ungarn? Viele Migranten wissen, dass sie auf der Balkanroute kaum noch durchkommenBild: Reuters/L. Balogh

Mauer zwischen Syrien und Türkei

Das hat vor allem mit der blockierten Balkanroute zu tun: Viele Menschen fürchten, im griechischen Idomeni oder spätestens in Ungarn in schmutzigen, schlecht ausgestatteten Camps hängen zu bleiben und nicht mehr weiter zu kommen. "Die Migranten wissen auch ganz genau, dass die südosteuropäische Migrationsroute gerade geblockt wird", sagt Tsianos.

Da die Routen immer gefährlicher werden, steigen zudem die Preise für Schlepper. Die meisten Menschen können sich die Überfahrt nicht mehr leisten. Doch für viele ist auch schon die Flucht aus Syrien selbst unerreichbar. Denn die Grenzen zwischen der Türkei und Syrien sind hoch gesichert: Eine Mauer trennt die Länder über weite Strecken. Menschenrechtler  berichten auch von Selbstschussanlagen, so Brakel.

Als das EU-Parlament im November 2016 für eine Aussetzung der Beitrittsverhandlung mit der EU plädierte, war die Lage noch eine ganz andere. Erdogan hatte damals Brüssel gedroht, er könne die Grenzen öffnen - obwohl deren Sicherung eigentlich einen wichtigen Teil des Flüchtlingsabkommens darstellt. Kamen 2015 noch rund 850.000 Migranten und Flüchtlinge über die Türkei, waren es im nachfolgenden Jahr nur noch 173.000.

Routen verlagern sich nach Nordafrika

"Die angeblichen Migrationsströme - also die rund 2,5 Millionen Menschen, die sich zurzeit in der Türkei aufhalten, warten nicht darauf, dass der Deal platzt. Sie sind auch nicht im Stande, sofort ihre Koffer zu packen und nach Europa zu kommen", sagt Sozialwissenschaftler Tsianos.

Aussprache in Berlin: Bundesaußenminister Sigmar Gabriel und sein türkischer Amtskollege Mevlut CavusogluBild: picture-alliance/abaca/AA/C. Ozdel

Außerdem verlagern sich die Flüchtlingsrouten Richtung Ägypten und Libyen. "Das heißt: Diejenigen Syrer, die gerade auf dem Weg Richtung Europa sind, befinden sich nicht in der Türkei", so Tsianos.

Mit entscheidenden Folgen für die Politik: "Merkel hat gegenüber Erdogan ja auch deutlich gemacht, dass die Bedeutung des Flüchtlingspaktes für die Bundesregierung enorm abgenommen hat", sagt Brakel. "Die Hauptbedeutung ist jetzt eher symbolisch - das EU-Türkei-Abkommen steht für eine Politik der erfolgreichen Flüchtlingsabwehr."

Trotz der sinkenden Anzahl von Flüchtlingen, die in Europa Asyl sucht, war Außenminister Sigmar Gabriel bei seinem Treffen mit dem türkischen Amtskollegen am Mittwoch in Berlin um eine Deeskalation der Beziehungskrise zwischen den beiden Ländern bemüht.

"Ich finde, dass wir bei allen Schwierigkeiten, die wir heute haben, uns an die großartigen Erfolge dieser Freundschaft, die Zusammenarbeit, den Aufbau unseres Landes erinnern müssen", sagte Gabriel. Weder Deutschland noch die Türkei hätten Interesse an einem dauerhaften Streit.

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