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Braucht Deutschland Windkraft?

20. Januar 2025

Vor der Bundestagswahl wird die Windenergie in vielen Parteiprogrammen erwähnt. Einige Politiker wollen lieber zur Atomkraft zurück. Doch der deutsche Windsektor wächst weiter.

Drei Windräder stehen vor verschneiten Bergen in der Morgensonne. Deutschland | Föhnwetterlage Alpen
Windräder erzeugen rund 30 Prozent des Strombedarfs in Deutschland Bild: Thomas Warnack/dpa/picture alliance

Die wichtigste Quelle der Stromerzeugung in Deutschland hat nach neuesten Zahlen der Branche im Jahr 2024 einen großen Schub bekommen.

Die Regulierungsbehörden genehmigten mehr als 2400 neue Windturbinen an Land (Onshore) mit einer Gesamtleistung von rund 14 Gigawatt: ein Rekordwert, so ein neuer Bericht des Bundesverbands Windenergie und des VDMA Power Systems, dem Verband für Kraftwerkstechnik.

"Das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung", so Dennis Rendschmidt, Geschäftsführer des VDMA. Die nächste Regierung müsse "diesen Schwung beibehalten", unabhängig vom Ausgang der Bundestagswahl am 23. Februar.

Doch trotz der positiven Zahlen macht die rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) ihre vehemente Ablehnung der deutschen Energiepolitik und insbesondere der Windenergie zu einem zentralen Bestandteil ihres Wahlkampfes. Auf dem Parteitag der  in Teilen rechtsextremen AfD  Anfang Januar wetterte Kanzlerkandidatin Alice Weidel gegen  "Flatterstrom". Erneuerbare Energien könnten "nicht funktionierten wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint", sagte sie dem Fernsehsender ZDF.        

Die Windenergie in Deutschland wächst: Mehr als 2400 neue Anlagen kamen im Jahr 2024 dazuBild: Jens Büttner/dpa/picture alliance

Auch Friedrich Merz, Vorsitzender der Mitte-Rechts-Christdemokratischen Union (CDU), hat die Windkraft in die Kritik genommen. Ende letzten Jahres bezeichnete Merz die Windkraft öffentlich als „hässliche“ „Übergangsenergie“, die eines Tages abgebaut werden könnte. Im Wahlprogramm der Partei, das gemeinsam mit der bayerischen Schwesterpartei CSU erstellt wurde, ist jedoch von der Nutzung aller erneuerbaren Energiequellen die Rede, einschließlich On- und Offshore-Wind.

In ihrer Rede auf dem Parteitag versprach Weidel, alle "Windmühlen der Schande" in Deutschland abzureißen. Sie forderte, Deutschland solle die Nutzung fossiler Brennstoffe, einschließlich russischen Erdgases, verstärken und die Kernenergie als Teil eines "nachhaltigen, seriösen Energiemixes" wieder einführen. Diesen Plan bezeichnen die meisten Experten als unrealistisch.

Rückkehr zur Atomkraft 'nicht plausibel' und nicht wirtschaftlich

"Eine Rückkehr zur Atomkraft in Deutschland ist weder plausibel, noch hilfreich für den Klimaschutz – noch ökonomisch vorteilhaft", sagt Wolf-Peter Schill, Energieexperte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Er verweist darauf, dass Deutschland seine letzten drei Atomreaktoren vor fast zwei Jahren abgeschaltet hat.

Die Reaktoren "sind jetzt abgeschaltet und auch schon so weitgehend rückgebaut, dass sie nicht einfach wieder in Betrieb genommen werden können." Der Bau neuer Kernkraftwerke würde viel zu lange dauern, als dass er zur Erreichung der Klimaziele beitragen könnte.

In Deutschland gibt es heute mehr als 30.000 Windkraftanlagen. Ein tatsächlicher Abbau aller Anlagen wäre laut Experten durch Stilllegungsgebühren, Enteignungen und Entschädigungszahlungen sehr teuer. Ganz zu schweigen von den Kosten für die Deckung des Energiedefizits. Denn dann wäre Deutschland gezwungen, seine Stromimporte zu erhöhen, was den Strompreis für Verbraucher und Unternehmen in die Höhe treiben würde.

Laut Schill könnte ein enormer Anstieg der Solarenergie dazu beitragen, die Windenergie bis zu einem gewissen Grad zu ersetzen. Doch er betont, Photovoltaikmodule seien nicht immer die beste Option, um Windturbinen in Deutschland zu ersetzen, insbesondere in den dunklen Wintermonaten.

"Wenn man weder Wind- noch Solarenergie will, dann bleiben nur die fossilen Brennstoffe", sagt er der DW. "Eine andere realistische Option sehe ich nicht für die Stromerzeugung in Deutschland." Die Verbrennung fossiler Brennstoffe durch den Menschen, etwa zum Heizen und in der Industrie, ist die Hauptursache für den globalen Temperaturanstieg, der zu extremen Wetterereignissen auf der ganzen Welt führt.

Erneuerbare Energien liefern fast zwei Drittel des Stroms in Deutschland

Trotz Weidels Behauptung, dass die erneuerbaren Energien Deutschland bremsten, zeigen die neuesten offiziellen Zahlen das Gegenteil. Anfang Januar veröffentliche die Bundesnetzagentur, die Regulierungsbehörde für den Energiesektor, ihre neuen Daten. Demnach stammten im Jahr 2024 rund 59 Prozent des deutschen Stroms aus erneuerbaren Quellen, ein Zuwachs gegenüber 56 Prozent im Jahr 2023. Etwas mehr als die Hälfte davon kam aus der Windenergie.

Robert Habeck, Deutschlands Klima- und Wirtschaftsminister, führte das Wachstum auf die Maßnahmen der Mitte-Links-Regierung aus SPD, Grünen und FDP zurück. Sie hatten in den letzten zwei Jahren das Genehmigungsverfahren für Wind- und Solaranlagen vereinfacht und beschleunigt.

Sind Windräder unrecyclebar?

08:04

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Diese Entscheidungen der scheidenden Regierung hätten die Voraussetzungen dafür geschaffen, "dass die Windkraft sehr viel stärker wachsen kann", sagt Schill. Dadurch sei Deutschland auf dem besten Weg, sein Ziel von 115 Gigawatt installierter Kapazität für Onshore-Windkraft zu erreichen.

Größere, fortschrittlichere Windturbinen werden jetzt gebaut, um ältere Kraftwerke zu ersetzen. Und sie könnten dazu beitragen, den Anteil der erneuerbaren Energien an der gesamten Energieversorgung des Landes auf etwa 80 Prozent zu erhöhen.

Es wäre "absurd", so Schill, wenn die nächste Regierung den Schub für die erneuerbaren Energien nicht nutzen würde. "Insofern geht der Vorstoß der AfD, die Windkraft nicht nur zu bremsen, sondern sogar zurückzubauen, vollkommen in die falsche Richtung."

Die neue populistische Sahra Wagenknecht Allianz (BSW) will in ihrem Wahlprogramm alte Windturbinen durch neue ersetzen, damit Deutschland „die Stromausbeute an bestehenden Standorten erhöhen kann, ohne in die Natur einzugreifen“. Die postkommunistische Linkspartei will den Ausbau der erneuerbaren Energien, einschließlich der Windenergie, fortsetzen, aber in öffentlicher Hand halten.

Windkraft auf dem Vormarsch in Deutschland  

Die Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung könnte dazu beitragen, die Energiepreise in Deutschland zu senken, die zu den höchsten der Welt gehören. Schill betont, dass die Windenergie in den Plänen zur Klimaneutralität deswegen eine so große Rolle spielt, "gerade weil sie günstig ist".

Eine Studie des Fraunhofer-Instituts vom August 2024, in der die durchschnittlichen Kosten der Stromerzeugung über die Lebensdauer eines Kraftwerks berechnet wurden, zeigt einen deutlichen Unterschied zwischen erneuerbaren Energien und konventionellen Kraftwerken in Deutschland. Demnach liegen die Kosten für verschiedene Arten von Solar- und Windenergie zwischen 0,041 und 0,225 Euro pro Kilowattstunde. Bei Gas, Kohle und Kernkraft lagen die Kosten zwischen 0,109 und 0,49 Euro pro Kilowattstunde, wobei die Kernkraft am teuersten war.

Die Energiekosten waren auch ein zentraler Punkt in Weidels Ablehnung der erneuerbaren Energien. In ihrem Interview mit dem ZDF betonte sie die Belastung der deutschen Wirtschaft durch die Windenergie: "Unsere Unternehmen sind nicht mehr wettbewerbsfähig im internationalen Vergleich weil ihn die Kosten durch die Decke gehen".

"Es gibt kein relevantes Zukunftsszenario, das ich kenne, das nicht auf einem Mix aus Solar- und Windenergie beruht", sagt dagegen Schill.

Und der Sektor der erneuerbaren Energien kurbelt die Wirtschaft an, wie Kerstin Andreae, Vorsitzende des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft, Anfang der Woche sagte. "Die Windenergie ist nicht nur ein Mittel zum Klimaschutz, sondern trägt auch zur wirtschaftlichen Stabilität bei, weil sie Arbeitsplätze schafft und Investitionen fördert", sagte sie in einer Erklärung vom 13. Januar. Und sie fügte hinzu, die Windenergie habe auch dazu beigetragen, die Versorgung in Zeiten von Energieengpässen zu sichern, die durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine im Jahr 2022 entstanden seien.

Die Tatsache, dass viele Hersteller von Windenergieanlagen in Deutschland und Europa ansässig sind, ist laut Schill ein weiterer Vorteil der Branche. "Im Gegensatz zu anderen Energietechnologien, wie zum Beispiel der Photovoltaik, bei der wir extrem abhängig von Importen aus China sind, ist dies bei der Windenergie nicht der Fall." Die Windkraft habe also auch industriepolitisch und in Hinsicht auf Resilienz viele Vorteile.

Dieser Artikel wurde ursprünglich am 17.01.2025 veröffentlicht und am 22.01.2025 aktualisiert, um eine frühere Stellungnahme von Friedrich Merz, dem Kanzlerkandidaten der CDU sowie die Positionen von CDU, BSW und Linkspartei zu erneuerbaren Energien und Windenergie aufzunehmen. 

23.01.2025: In einer älteren Version dieses Artikels wurde angegeben, dass die Kosten für Solar- und Windenergie 0,41 € betragen. Es sind 0,041 €. Dies wurde nun korrigiert. Die Redaktion entschuldigt sich für den Fehler.

Übersetzung aus dem Englischen: Anke Rasper

Redaktion: Tamsin Walker

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