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Politik

Braucht Afrika Hilfe im Kampf gegen Piraten?

Silja Fröhlich
14. Februar 2020

Nirgendwo auf der Welt verbreiten Piraten mehr Schrecken als im Golf von Guinea. Die Zahl der Überfälle steigt stark an. Die Probleme liegen allerdings an Land. Ist es Zeit, dass die Staatengemeinschaft eingreift?

Somalia: Pirat (2014)
Bild: picture alliance/AP Photo/F. A. Warsameh

Eine Zeit lang waren die Piraten am Horn von Afrika unter Seeleuten besonders berüchtigt. Inzwischen werden neun von zehn Schiffsentführungen jedoch von der anderen Seite des Kontinents gemeldet: aus dem Golf von Guinea. Über 6000 Kilometer erstreckt er sich von Angola bis nach Senegal.

Während weltweit immer weniger Besatzungsmitglieder von Piraten entführt werden, ist der Trend im Golf von Guinea gegenläufig: Dort verdoppelte sich die Zahl von 2018 auf 2019 auf 121. Im vierten Quartal 2019 entfielen alle vier der weltweit registrierten Schiffsentführungen auf die Region, sowie zehn der elf Schiffe, die unter Beschuss geraten waren. Somalia hingegen meldete keine Piratenvorfälle, doch das Internationale Seebüro (IMB) in London rät zur Vorsicht.

Weniger Überfälle, mehr Entführungen

"Seeleute durchleben große Gefahren, damit die Verbraucher Kaffee und Kakao im Supermarkt kaufen oder ihr Auto betanken können", betont Cyrus Mody, stellvertretender Direktor des Internationalen Seebüros der Internationalen Handelskammer (ICC). "Die Zahlen am Golf sind nicht gestiegen", sagt er nüchtern im Gespräch mit der DW. "Die Medien berichten nun mehr darüber, seit die Lage am Horn von Afrika in den Fokus gerückt ist. Am Golf von Guinea werden bisher nur etwa 50 Prozent der Vorfälle gemeldet, Piraterie gibt es schon seit Jahren."

Deutsche Fregatte "Sachsen" im Atalanta-Einsatz: Kein Interesse an zusätzlicher Marinemission?Bild: Bundeswehr/FK Wolff

Piraten nehmen vor allem Schiffe mit internationalen Besatzungen ins Visier, so ein Gutachten zur Piraterie im Golf von Guinea der US-Schifffahrtsbehörde MARAD. Im Dezember enterten Piraten binnen weniger Tage zwei Schiffe je gut 100 Seemeilen vor den Küsten Nigerias und Benins. Sie entführten 19 beziehungsweise 20 Besatzungsmitglieder. "Es gibt seit 2018 ein Viertel weniger Überfälle auf Schiffe, aber mehr Entführungen", sagt Wolf Kinzel, Fregattenkapitän und Experte für die maritime Sicherheit in der Region bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). "Die Vorgehensweise der Piraten hat sich geändert: anstatt drei Matrosen nehmen sie die ganze Crew mit. Geiseln gegen Geld."

Spielplatz für Kriminelle

Doch warum bekommen die Anrainerstaaten die Situation nicht in den Griff? Das Problem sei, dass es ihnen an Kenntnissen, Training und Ressourcen fehle, um mit der Situation umzugehen, sagt Seebüro-Vizechef Mody. "Wenn ein Angriff in den Gewässern eines Landes passiert, ist das ein bewaffneter Raub und liegt in der Verantwortung des Staates. Erst wenn so etwas in internationalen Gewässern passiert, ist es Piraterie und kann von der Gemeinschaft bekämpft werden", so Mody.

Nach dem UN-Seerechtsübereinkommen von 1982 gehört die Zwölf-Seemeilen-Zone (eine Seemeile sind circa 1,85 Kilometer) zum Staatsgebiet. Eine Zusammenarbeit der Staaten würde durch Bürokratie erschwert. Sicherheitskräfte dürfen nicht von einem Hoheitsgebiet in ein anderes fahren, um Piraten zu verfolgen, ohne dem angrenzenden Land davor Bescheid zu geben. "Bis die Bürokratie geregelt ist, sind die Piraten weg", so Mody. "Wegen einer mangelnden Strafverfolgung werden die Gewässer zum Spielplatz für Kriminelle."

Piraterie entsteht an Land

Laut SWP-Spezialist Kinzel liegt das Grundproblem nicht auf See. "In den vergangenen Jahren war das Hauptgebiet von Piraterie die Küste Nigerias, einer Region, wo an Land keine Staatlichkeit vorhanden ist." Die starke Umweltverschmutzung durch die Ölförderung lasse die Lebensweise als Fischer und Viehhirten kaum noch zu. Hinzu kämen Schmuggel, ethnische und religiöse Konflikte, Terrorismus. Und Jugend­arbeitslosigkeit.

In einer Studie schreibt Kinzel: "Perspektivlosigkeit, fehlende Konsequenzen durch mangelhafte Strafverfolgung, Korruption und damit durchaus nachvollziehbares fehlendes Vertrauen in staatliche Akteure bilden beste Bedingungen für Piraterie." Im DW-Interview konkretisiert er: "Die Menschen fühlen sich ausgenutzt und nutzen ihre Seefahrtexpertise, um Piraterie zu betreiben. Um das Problem zu bekämpfen, muss etwas gegen die Umweltverschmutzung und für Staatlichkeit, Bildung und Gesundheitsversorgung getan werden."

Kein zweites Horn von Afrika

Am Horn von Afrika hat sich die internationale Gemeinschaft des Problems angenom­men: Seit 2008 patrouillieren Schiffe und Flugzeuge vor der Küste Somalias im Rahmen der EU-Mission Atalanta. Allerdings ist die Region als Verbindungsstück zwischen dem Indischen Ozean und dem Roten Meer (und somit dem Mittelmeer) auch eine der meistbefahrenen und dadurch wichtigsten Schifffahrtsrouten der Welt.

An einer zusätzlichen Marinemission im Golf von Guinea hat Deutschland wohl kein Interesse, schätzt Kinzel: "Am Horn von Afrika geht es um große Warenströme, die von Europa nach Asien gebracht werden. In Westafrika finden die meisten Überfälle im Hoheitsgebiet und den Häfen der Länder statt, da müssen die Nationen selber eingreifen."

"Es gibt einen riesigen Unterschied zwischen dem Golf von Guinea und dem Horn von Afrika", ergänzt Mody. "Die Schiffe müssen durch den Golf von Aden, wo die meisten Überfälle passieren. Doch bei der Passage handelt es sich um internationales Gewässer, weswegen die internationale Gemeinschaft die Schiffe schützen kann. 30 Länder haben Schiffe dafür zur Verfügung gestellt." Allerdings finden im Golf von Guinea auch viele Übergriffe in Küstennähe statt.

Piraten im Nigerdelta (2007): Umweltverschmutzung als AuslöserBild: picture-alliance/dpa

Trotzdem betont Mody, dass internationale Missionen äußerst wichtig seien. "Sie ermöglichen den Austausch von Informationen und Wissen von Ländern, die über Ressourcen verfügen, mit denen, die mit diesen Verbrechen zu kämpfen haben. Innerhalb der Hoheitsgewässer dürfen keine internationalen Missionen eingesetzt werden. Doch mit ihrer Hilfe können sie Übungen durchführen, um die Küstenwache zu trainieren, wie sie auf einen Überfall reagieren oder Piraten verhaften. Zudem können die lokale Gesellschaft für das Thema sensibilisieren."

Die Verantwortung der Länder

Ansätze gibt es bereits. So etwa den Verhaltenskodex, den Anrainerstaaten des Golfs im sogenannten Yaoundé-Prozess 2013 aushandelten, um untereinander die maritime Sicherheit im Golf von Guinea zu gewährleisten. "Seit dem Yaoundé-Prozess 2013 haben sich alle Länder Westafrikas zusammengetan, um das Seegebiet sicherer zu machen. Sie haben Zonen eingerichtet, wo Schiffe ihren Notruf abgeben können, damit die nationalen Marinen darauf reagieren können", sagt Kinzel. Zudem führen die Vereinigten Staaten seit 2010 jährlich die Übung "Obangame Express" aus, um die Fähigkeiten der Staaten in Westafrika zur Bekämpfung von illegalen Aktivitäten auf See zu verbessern.

Auch die Europäische Union engagiert sich seit 2013 mit einem Ausbildungsprogramm vor Ort, Frankreich sogar schon seit 1990. "Gib einem Mann einen Fisch und er isst einen Tag - bring ihm das Fischen bei und er wird sein ganzes Leben lang essen", sagt Mody. Eine internationale Mission funktioniere nur, solange es das Budget dafür gebe. Langfristig können nur die Staaten am Golf von Guinea selbst, ausgestattet mit den richtigen Ressourcen, die Piraterie bekämpfen.

Silja Fröhlich Redakteurin, Reporterin und Moderatorin
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