Braune Schatten
2. März 2012 Auf dem rechten Auge blind?! Ob als Frage oder Vorwurf formuliert, dieses Thema ist wieder einmal verblüffend aktuell. Denn unter dem Eindruck der im November 2011 bekannt gewordenen Neonazi-Mordserie diskutiert Deutschland seit Monaten darüber, wie es zu diesen Taten kommen konnte. Im Fokus der Kritik stehen die Sicherheitsbehörden, allen voran der Verfassungsschutz. Parlamentarische Untersuchungsausschüsse und eine Bund-Länder-Kommission sollen das staatliche Versagen aufklären. Und auch der Verdacht, es könnte rechtsextremistische Gesinnung in deutschen Amtsstuben geben, steht im Raum.
In der Frühzeit der Bundesrepublik Deutschland hat es diese rechte Gesinnung in Behörden definitiv gegeben: Ein Großteil des Beamtenapparats wurde aus der NS-Zeit übernommen, das Schweigen über die eigene Vergangenheit prägte das geistige Klima in staatlichen Institutionen. Die Frage nach den Ursachen und womöglich bis in die Gegenwart reichenden Auswirkungen zu stellen, ist also durchaus legitim. Darum ging es in einer öffentlichen Anhörung des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien in dieser Woche.
Die unfassbare Karriere des Adenauer-Vertrauten Globke
Spektakuläre Fälle sorgten in der Vergangenheit immer wieder für Schlagzeilen. Als Paradebeispiel gilt Hans Globke, der unter dem ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer in den 1950er Jahren Chef des Kanzleramtes war. In der NS-Zeit hatte er als hochrangiger Verwaltungsjurist wesentlichen Einfluss auf die sogenannten Nürnberger Rassegesetze genommen. Sie bildeten die gesetzliche Grundlage für die Diskriminierung und Verfolgung der Juden, die letztlich in den Holocaust mündete.
Globkes ungebrochene Karriere ragt sicherlich heraus und lässt keine verallgemeinernden Rückschlüsse auf den Umgang mit Nazi-Eliten zu. Bezeichnend ist aber die insgesamt spät einsetzende systematische Untersuchung der politischen Schaltstellen auf personelle Kontinuitäten. Auf diesem Gebiet gibt es noch viel zu tun. Beispielgebend untersucht wurde das Auswärtige Amt. Das Ergebnis wurde 2010 vom Karl Blessing Verlag unter dem Titel "Das Amt und die Vergangenheit" veröffentlicht und richtete sich ausdrücklich an ein breites Publikum.
Auch Geheimdienste werden untersucht
Auf Antrag von Sozialdemokraten und Grünen befasste sich jetzt ein parteiübergreifendes Gremium in einer öffentlichen Anhörung mit personellen und institutionellen Kontinuitäten und Brüchen in deutschen Ministerien und Behörden. Ziel ist es, ein "schlüssiges Gesamtkonzept zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit" zu erstellen. Nach dem Willen der Antragsteller soll ein solches Konzept von der Bundesregierung vorgelegt werden.
Der ehemalige Direktor des Instituts für Zeitgeschichte Horst Möller und der Rechtshistoriker Michael Stolleis empfahlen den Parlamentariern, auf "flächendeckende Forschungsaufträge ohne eine problemorientierte Fragestellung" zu verzichten. Auch sollte der Eindruck "politikgesteuerter Aufträge" vermieden werden. Diesen Vorwurf erhebt der Geheimdienst-Experte Erich Schmidt-Eenboom gegenüber der Historiker-Kommission, die sich mit der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes (BND) auseinandersetzt. Sie habe Vorgaben der BND-Spitze akzeptiert, behauptet Schmidt-Eenboom. Dem widerspricht Kommissionsleiter Klaus-Dietmar Henke von der Technischen Universität Dresden ebenso wie BND-Chef Gerhard Schindler, der "größtmögliche Transparenz" angekündigt hat.
Gesperrte Akten kein größeres Problem?
Der Streit um den deutschen Auslandsgeheimdienst verdeutlicht, wie schwierig die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit so unterschiedlicher Häuser wie des BND einerseits oder des Landwirtschaftsministeriums andererseits ist. Die vermutete Verstrickung in das Nazi-Regime, insbesondere in Verbrechen, dürfte bei einem Geheimdienst ungleich stärker gewesen sein. Wenn nach Kriegsende zahlreiche hochrangige Nazis unter Leitung des Wehrmachtsgenerals Reinhard Gehlen die Vorläuferorganisation des BND aufbauen, ist die personelle Kontinuität besonders augenfällig und fragwürdig.
Dass ein auf mehrere Jahre angelegtes Forschungsprojekt über den BND am Ende keine Fragen mehr offen lässt, gilt als ausgeschlossen. Darauf lassen auch Äußerungen des Präsidenten des Bundesarchivs in Koblenz, Michael Hollmann, schließen. In der Bundestagsanhörung sprach er einerseits davon, Beschränkungen von Verschluss-Sachen, also gesperrte Akten, seien "kein größeres Problem". Das bedeutet in der Praxis, dass Wissenschaftler zwar an die meisten beantragten Akten herankommen, aber eben nicht an alle. Als Willkür will Hollmann das keinesfalls verstanden wissen. "Quellen- und Methodenschutz müssen wie im Journalismus akzeptiert werden", sonst könne die Behörde "einpacken".
Nazifreiheit der DDR hinterfragt
Ans Auspacken dachte die Fraktion "Die Linke", als sie 2011 in einer Großen Anfrage an die Bundesregierung wissen wollte, wie der "Umgang mit der NS-Vergangenheit" in der deutschen Politik ausgesehen habe. Die Antwort kam kurz vor Weihnachten und ist 88 Seiten lang. Mit Blick auf die Forschungsprojekte über den BND, das Bundeskriminalamt (BKA) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) heißt es, der Bundesregierung sei daran gelegen, "dass die Ergebnisse dieser Arbeiten zu einem kritischen Diskurs in der Öffentlichkeit führen".
Kein Wissenschaftler wird der Bundesregierung in ihrer Einschätzung widersprechen, die nationalsozialistische Gewaltherrschaft sei "generell die am besten erforschte Periode der Geschichte des 20. Jahrhunderts". Micha Brumlik von der Goethe-Universität Frankfurt/Main sieht aber dennoch eine Menge dunkler Flecken. So wüsste er gerne, "welche einschlägigen Archivbestände der NS-Zeit nach 1945 gegebenenfalls in der DDR oder der Sowjetunion gehalten wurden". Dass die ostdeutsche Diktatur ihrer antifaschistischen Staaträson entsprechend weniger NS-Leichen im Keller hatte als die junge westdeutsche Bundesrepublik, steht außer Frage. Durch die deutsche Wiedervereinigung bietet sich nun aber die Gelegenheit, die propagierte Nazifreiheit der DDR wissenschaftlich seriös zu hinterfragen.
Personelle Kontinuität nach 1945 "generell relativ hoch"
Für die prägenden Jahre der Bundesrepublik gilt das, was Micha Brumlik in der Bundestagsanhörung über das Entstehen der Demokratie nach 1945 sagte: dass sie geglückt sei, "lag nicht am Personal der Bundesministerien". Entscheidend seien die Anstöße von Außen gewesen, gemeint sind in erster Linie die Alliierten. Von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern, SS- oder Gestapo-Angehörigen waren solche Impulse nicht zu erwarten. Die Bundesregierung bestätigt in ihrer Antwort auf die Große Anfrage der Linken nach dem Umgang mit der NS-Vergangenheit, "dass die personellen Kontinuitäten in der Beamtenschaft generell relativ hoch waren". Auf durchschnittlich 70 Prozent schätzen Experten den Anteil des Personals, das bereits in der NS-Zeit in Ministerien und Behörden beschäftigt war und nach 1945 problemlos weiterarbeiten konnte. Manche schätzen den Anteil sogar auf 90 Prozent.
Solche Zahlen veranlassen den Dresdner Historiker Klaus-Dietmar Henke zu der Frage, "weshalb die Demokratie trotz des schleichenden Giftes des Nationalsozialismus und personeller Kontinuitäten so gut gelungen ist". Es wird wohl schlicht daran gelegen haben, dass die mehreren hunderttausend NS-Mitläufer und die gar nicht so wenigen NS-Täter sich aus Karrieregründen so schnell den neuen Zeiten anpassten, wie sie sich auch nach 1933 der Nazi-Herrschaft unterworfen hatten. Eine wichtige Rolle spielten dabei der alte Korpsgeist und Seilschaften. Diese vermuteten Netzwerke nicht nur im Auswärtigen Amt, sondern überall aufzudecken, wäre eine lohnende Aufgabe. Darin waren sich die Sachverständigen im Deutschen Bundestag einig.
Autor: Marcel Fürstenau
Redaktion: Sarah Hofmann