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Protokolle der Besatzung

Andrea Kasiske24. September 2012

Die israelische Organisation "Breaking the Silence" dokumentiert den Alltag in den besetzten Gebieten. Damit brechen die ehemaligen Soldaten ein Tabu. Jetzt zeigen sie ihre Fotos erstmals auch in Deutschland.

Soldat und Palästinenser mit verbundenen Augen Die Bilder gehören der israelischen NGO "Breaking the Silence" und wurden von israelischen Soldaten gemacht.
Bild: Breaking the Silence

Palästinenser und israelische Soldaten stehen lächelnd nebeneinander, das Foto von ihnen strahlt Harmonie aus und Normalität. Doch die gibt es nicht in den von Israel besetzten Gebieten. Das Bild ist ein Propagandafoto für die israelische  Öffentlichkeit. Was nicht an die Öffentlichkeit soll, die "dunkle Seite der Besatzung", sehen die Besucher der Ausstellung "Breaking the Silence", die zur Zeit in der Galerie des Berliner Willy-Brandt-Hauses zu sehen ist. "Breaking the Silence", so heißt nicht nur die Ausstellung, sondern auch die Organisation, die seit 2004 private Schnappschüsse und Aussagen von Soldaten und Soldatinnen sammelt. Sie berichten über ihren Einsatz in der Westbank und Gaza, über das, was sie selbst gesehen oder getan haben und endlich ins Bewusstsein der israelischen Gesellschaft bringen wollen. Bilder vom Alltag der Besatzung, in dem moralische Maßstäbe verrutscht sind, in dem Erniedringungen und Demütigungen an der Tagesordnung sind.

Eine nicht mehr ganz junge Palästinenserin mit Kopftuch und in langem Gewand wird mit einem Geigerzähler abgetastet. "Als Soldat musst du jeden verdächtigen, egal, ob das ein Kind oder eine alte Frau ist", sagt Tal Wasser. "Du siehst sie nicht als Menschen wie du und ich, sondern als Feinde. Und das zersetzt deine Moral." Tal Wasser ist eine von drei Reservisten, die durch die Ausstellung führen und erstaunlich offen von eigenen Erfahrungen berichten. Noch heute ist es ihr unangenehm, wenn sie an den Palästinenser denkt, der "einfach so", aus Langeweile, von ihren Kollegen am Wachposten bedroht, wissentlich falsch beschuldigt wurde und schließlich völlig verängstigt in seinem Auto saß. Und sie hat nichts dazu gesagt. "Ich wollte mich nicht mit denen anlegen, schließlich musst du acht Stunden pro Tag zusammen verbringen. Und ich galt eh schon als links."

Ausstellung Breaking the Silence Zeugnisse einer BesatzungBild: Breaking the Silence

Schmutzige Spiele

Schmutzige Spiele, die jeder Soldat kennt oder beobachtet hat, doch über die keiner redet. Auch oder erst recht nicht die Vorgesetzten. Wer die gerade auf  Deutsch erschienenen Protokolle der Soldaten liest, stößt erschreckend oft auf die Order "Lasst sie [die Palästinenser] schmoren." Ein Befehl, der Raum für Fantasie lässt. Der auch legitimiert, dass Kinder mit verbundenen Augen stundenlang festgehalten werden und sich vor Angst in die Hose machen.

Eine antimilitaristische Organisation will "Breaking the Silence" nicht seinBild: Breaking the Silence

Die Ausstellung lässt diese Situationen beklemmend lebendig werden. An einer Wand hängt ein langes Brett voller Autoschlüssel. Sie stammen von palästinensischen Wagen, die an den Checkpoints gestoppt wurden. Von offizieller Seite wird das geleugnet, doch diese Praxis sei üblich, erzählen die Reservisten. Meist bekommen die Besitzer ihre Autoschlüssel nach mehreren Stunden zurück, aber manchmal auch nicht. Es gäbe keine Regeln,  jemand könne gestoppt werden, einfach, weil er gelacht oder nicht gelacht hat. Oder weil jemandem sein Lachen nicht gefällt. "Du hast die Macht, zu entscheiden, ob diese Person weiterfahren kann oder nicht", erklärt Tal Wasser. Die kleine, zarte Person kann man sich schwer mit einem Gewehr in der Hand vorstellen. Mit Bonbons schon eher. Tatsächlich hat sie die am Checkpoint immer an palästinensische Kinder verteilt. Heute findet sie ihren Versuch, den Kids die Besatzung zu "versüßen", absurd. "Wenn sie einen Checkpoint vor der Haustür haben, an dem sie drei oder vier Stunden warten müssen, dann helfen auch Bonbons nicht."

Besatzung kennt keine Moral

Dem 24-jährigen Nadav Bigelman, der ebenfalls durch die Ausstellung führt,  kamen schon früh Zweifel an dem Sinn seiner Tätigkeit. Er wurde als Scharfschütze in einer Eliteeinheit ausgebildet und plötzlich sah er sich Zivilisten gegenüber. In der sogenannten Aktion "Strohwitwen" besetzen israelische Soldaten willkürlich Häuser, sperren die palästinensische Familie ein oder aus, und kontrollieren von den Fenstern aus die Straße. Natürlich kommt es dabei zu Übergriffen, sagt Nadav. Es wird gestohlen, Fernseher werden demoliert, Graffitis an die Wände geschmiert und die Notdurft wird im Wohnzimmer verrichtet. Extremfälle, aber darum gehe es nicht. Selbst, wenn die Soldaten die Häuser so verlassen, wie sie sie vorgefunden haben, sie haben sie einfach annektiert. Das sei der entscheidende Punkt.

In Berlin führen die ehemaligen Soldaten Besucher durch die AusstellungBild: DW/Andrea Kasiske

Für Dana Golan ist klar: es gibt keine Moral in einer unmoralischen Situation. Sie war mehrere Jahre als Ausbildungsoffizierin beim Grenzschutz, seit 2009 managt sie "Breaking the Silence". Die Arbeit der Organisation zielt ganz klar auf ein Ende der Besatzung. Etwas, was in Israel nicht gerne gehört wird. Hier ist die Armee nach wie vor identitätsstiftend. Wer an dieser Säule rüttelt, habe Konsequenzen zu tragen, erzählt die 29-Jährige. Sie hat Freunde verloren, der Zugang zu vielen Jobs ist ihr versperrt. Die Organisation "Breaking the Silence" selbst wird inzwischen von der Regierung offen angefeindet. Während die Ausstellung 2005 noch im israelischen Regierungssitz, der Knesset, gezeigt werden durfte, wird "Breaking the Silence" mittlerweile von einigen Regierungsmitgliedern vorgeworfen, den Terror zu unterstützen. Und diese Politiker versuchen, Einfluss zu nehmen auf die europäischen Regierungen, die den Aktivisten Geld zukommen lassen.

Breaking the Silence sammelt Zeugenaussagen und dokumentiert sie - auch als VideosBild: DW/Andrea Kasiske

Sie seien keine antimilitaristische Organisation, betont Dana Golan. Natürlich brauche der Staat Israel, mitten im Nahen Osten, eine Armee, aber eben keine Besatzerarmee. Eine Position, für die sich die Aktivisten von "Breaking the Silence" von Deutschland Unterstützung erhoffen. Immerhin, auch wenn von den offiziellen Stellen wohl keine Reaktion zu erwarten ist: die Ausstellung hat jetzt schon bundesweite Aufmerksamkeit bekommen.

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