Breite Zustimmung in Israel für den Angriff auf den Iran
21. Juni 2025
In einem unterirdischen Luftschutzbunker in Tel Aviv, der wenig mehr ist als ein enger Korridor mit dicken Wänden, scheint die Zeit stillzustehen. Ohne Internetverbindung gibt es keine Möglichkeit, Informationen über die Explosionen zu erhalten, die draußen während des anhaltenden Feuerwechsels zwischen Israel und Iran zu hören sind.
"Mittlerweile können wir erkennen, ob ein Geschoss eingeschlagen hat oder abgefangen wurde, aber natürlich macht man sich Sorgen, wie nah es wohl ist und ob jemand, den man kennt, in Gefahr ist", sagt Lior, ein junger Israeli, der seinen Nachnamen nicht nennen will. Vergeblich versucht er, mit seinem Handy Empfang zu bekommen.
Seit Israel vor einer Woche den Iran angriff, wird das Leben in Tel Aviv bestimmt vom Rhythmus der Handywarnungen, die das israelische Heimatfront-Kommando ausgibt, und der Luftschutzsirenen, die vor ballistischen Flugkörpern aus dem Iran warnen.
Donnerstagmorgen startete der Iran eine neue Raketenangriffswelle auf Israel. Auch wenn die meisten durch Israels Verteidigungssysteme abgefangen wurden, trafen einige davon Gebäude in der Stadt Holon und in Tel Avivs Vorort Ramat Gan. Im Krankenhaus Soroka in Beer Sheba im Süden Israels zerstörten sie die chirurgische Station. Wie israelische Medien berichteten, war der Gebäudekomplex schon am Vortag geräumt worden.
"Beunruhigende Zeiten"
Tag und Nacht gehen Warnungen ein und bis wieder Entwarnung gegeben wird, kann es dauern. "Das Leben muss weitergehen. Wir haben schon viele Krisen erlebt, aber diese Zeiten sind mit Sicherheit seltsam und beunruhigend", sagt Lior der DW.
Als kürzlich am frühen Morgen wieder eine Warnung einging, konnte eine der Raketen der israelischen Abwehr entgehen und schlug in einem Gebäude etwa einen Kilometer entfernt ein. Der Aufprall erschütterte den Schutzraum, in dem die Schutzsuchenden entsetzt nach Luft schnappten.
"Es macht Angst. Wir wissen, dass die Raketen tödlicher sind und es fühlt sich anders an als frühere Konflikte. Ich frage mich, wie lange das so weitergehen kann. Die Menschen sind schon völlig gereizt, weil sie nachts meist nicht schlafen können"; erzählt Shira, die ihren Nachnamen ebenfalls nicht nennen will.
Netanjahus politisches Vermächtnis
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu betrachtet Iran als die größte Bedrohung der Sicherheit Israels. Auch wenn der Iran darauf besteht, dass sein Atomprogramm nur zivilen Zwecken diene, ist Netanjahu überzeugt, dass in Wahrheit militärische Zwecke dahinterstecken. Schließlich hat die politische Führung des Iran geschworen, Israel und das israelische Volk zu vernichten und bedroht es nicht nur mit seinen ballistischen Flugkörpern, sondern auch durch seine zahlreichen Stellvertreter in der Region.
Seit Jahren schon hatte Netanjahu damit gedroht, den Iran direkt anzugreifen. Mehrere Male stand er Berichten zufolge kurz davor, doch bisher konnte ein größerer Konflikt immer vermieden werden. Stattdessen focht Israel sogenannte "Schattenkriege" gegen den Iran aus, durch Cyberangriffe, rhetorische Drohungen - und gegen die vielen pro-iranischen Stellvertreter wie Hisbollah im Libanon, Hamas und Islamischer Dschihad in Gaza und die Huthi-Rebellen im Jemen.
All das änderte sich am Freitag, dem 13. Juni. "Viele Jahre lang hat Netanjahu den Schwanz eingekniffen. Er war nicht wirklich bereit, Maßnahmen zu ergreifen, die zu Todesopfern und Zerstörung führen könnten. Was also ist geschehen?", fragt der renommierte Journalist und Kommentator Akiva Eldar im Gespräch mit der DW.
Wie andere Berichterstatter ist Eldar überzeugt, dass Netanjahu sein politisches "Vermächtnis", das unter dem Massaker vom 7. Oktober gelitten hat, retten möchte. Bis zu diesem Tag am 7. Oktober 2023 hatte Netanjahu sich als ultimativer Garant der Sicherheit Israels präsentiert. Doch dieses Bild zerbrach mit den Angriffen auf Israel unter Führung der Hamas, bei denen etwa 1200 Menschen, die meisten davon Zivilisten, getötet und 251 Geiseln verschleppt wurden.
Die Ereignisse lösten den Krieg gegen Gaza aus, in dem Angaben des Gesundheitsministeriums von Gaza zufolge bereits etwa 55.000 Palästinenser getötet wurden.
Mehrzahl der Israelis steht hinter Netanjahu
Netanjahus Kritiker im eigenen Land werfen ihm vor, den Krieg in Gaza nicht beenden zu wollen und ein neues Abkommen mit der militanten Hamas verhindert zu haben, das die Freilassung der verbleibenden Geiseln im Gegenzug für einen Waffenstillstand vorsah.
Seine rechts-populistischen Koalitionspartner haben gedroht, die Koalitionsregierung platzen zu lassen und so Neuwahlen auszulösen, wenn er den Krieg beendet, ohne die Hamas gestürzt zu haben. Angesichts des gegen ihn laufenden Korruptionsverfahrens werfen Kritiker ihm außerdem vor, er würde den Krieg nutzen, um an der Macht zu bleiben.
Mit den Angriffen auf den Iran, die im israelischen Fernsehen weithin gelobt wurden, scheint Netanjahu einige seiner Fehler wieder "ausgeglichen" zu haben.
Unter jüdischen Israelis finden die Luftschläge gegen den Iran großen Zuspruch. Laut einer Meinungsumfrage der Universität von Tel Aviv und der Hebräischen Universität Jerusalem unterstützen etwa 83 Prozent die israelischen Militäraktionen und äußern sich zuversichtlich über die Sicherheitsstrukturen des Landes und ihre Fähigkeit, einem längeren Konflikt standzuhalten.
Die Mehrheit der palästinensischen Israelis hingegen spricht sich gegen die Angriffe aus und gibt der Diplomatie den Vorzug über militärischen Aktionen.
In Ramat Gan, einem Vorort von Tel Aviv, blickt Ronny Arnon ungläubig auf die weitreichende Zerstörung seines Viertels. Eine Rakete konnte das Verteidigungssystem überwinden und traf ein Gebäude. Eine Person starb.
"Ich bin hier in der Minderheit", sagt Arnon am Samstag, einen Tag nach Beginn der israelischen Iran-Offensive, zur DW. "Viele Menschen unterstützen das."
"Unser Ministerpräsident wird der "Zauberer" genannt, weil er weiß, wie man eine Show abzieht, uns vormacht, wir würden gewinnen und all unsere Feinde besiegen. Wir haben ein Feuer entfacht und wissen nicht, wie wir es löschen können."
Geschwächte Gegner
In den vergangenen Monaten hatte Israel die regionalen Stellvertreter des Iran in der Region systematisch geschwächt. Das ist einer der Gründe, warum ein Angriff möglich wurde, sagen Analysten.
Während des letzten direkten Feuergefechts zwischen Israel und dem Iran im Oktober 2024 war es Israel eigenen Angaben zufolge gelungen, wichtige Luftabwehrsysteme zu treffen. Dadurch wurden die Verteidigungskapazitäten des Iran geschwächt und eine Angriffsmöglichkeit geschaffen.
Im Dezember wurde das Regime des syrischen Machthabers Baschar al-Assad, einem weiteren Verbündeten des Iran, gestürzt. Wie israelische Militärbeamte der DW berichteten, verschaffte das Israel die erforderliche Bewegungsfreiheit im Luftraum und eröffnete so der Luftwaffe die Möglichkeit, den Iran anzugreifen.
Nun richten sich alle Augen auf US-Präsident Donald Trump, der darüber nachdenkt, sich an der Seite Israels an Militäraktionen gegen den Iran zu beteiligen.
Ursprünglich hatte Trump Netanjahu von einem militärischen Eingriff abgeraten, doch mittlerweile hat er seine Meinung geändert und das, obwohl seine Regierung von Oman vermittelte Verhandlungen mit dem Iran über dessen Atomprogramm führte. Am Dienstag sagte Trump, die USA würden Ajatollah Chamenei "noch nicht" töten, verlangte aber die "bedingungslose Kapitulation" des Iran.
"Netanjahu glaubt, dass er Trump in diesen Krieg mithineinziehen kann", sagt Eldar. "Und woran wird man sich erinnern? Netanjahu wird der israelische Regierungschef sein, der uns vor einem weiteren Holocaust bewahrt hat", meint Eldar mit Blick auf die Drohung der iranischen Regierung, Israel zu zerstören.
Die Geiseln und der Krieg in Gaza
Israel kämpft jedoch noch an einer anderen Front: Gaza.
Auf dem Zina-Dizengoff-Platz im Zentrum von Tel Aviv versammelte sich am Mittwoch ein kleines Grüppchen Demonstranten. Sie hielten großformatige Fotos der noch immer in Gaza festgehaltenen Geiseln hoch. Unter ihnen war auch die Mutter von Matan Angrest, einem Soldaten, der am 7. Oktober verschleppt wurde.
"Als der Krieg im Iran begann, hatten wir Angst, dass unser geliebter Sohn hier in Gaza vergessen wird. Er ist in einer schlimmen Lage, sein Leben ist in Gefahr", sagte Anat Angrest der DW. "Doch nach ein paar Stunden erhielt ich von Nachrichten von vielen Israelis, die der Meinung sind, dass ein Erfolg im Iran helfen wird, die Geiseln zurückzubringen."
Angrest kritisierte die Regierung Netanjahu dafür, nicht genug getan zu haben, um ihren Sohn und die anderen Geiseln früher nach Hause zu bringen. Doch sie ist überzeugt, dass die Hamas mit einem geschwächten Iran weniger Unterstützung erhält und der Krieg in Gaza früher beendet wird.
"Wir hoffen, dass die Entscheidung, jetzt zu handeln, mit Gaza im Zusammenhang steht, dass es Teil eines strategischen Plans ist und dass die israelische Regierung endlich in der Lage sein wird, den Krieg in Gaza zu beenden", erklärte Angrest der DW. "Denn wenn wir die Anführer der Terroristen, des Iran, beseitigen können, dann können wir beenden, was wir in Gaza angefangen haben, und sind nicht mehr in Gefahr."
Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.