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Rechtspsychiater in Oslo vor Gericht

Agnes Bührig14. Juni 2012

Psychotisch oder straffähig? Im Prozess gegen den norwegischen Attentäter Anders Behring Breivik hängt von dieser Frage ab, ob der Angeklagte im Gefängnis oder Krankenhaus landet. Doch die Gutachter widersprechen sich.

Anders Breivik während des Prozesses (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Auftakt zum Themenblock über die psychische Gesundheit des Angeklagten. Psychiatrieprofessor Ulrik Fredrik Malt hat zu einem Vortrag über die Frage angehoben, warum ein und derselbe Angeklagte von zwei rechtspsychiatrischen Gutachten völlig unterschiedlich beurteilt werden kann. Denn darüber tobt ein heftiger Streit. In einem ersten Gutachten im vergangenen Jahr wurde der Angeklagte als paranoid schizophren eingestuft. Das Gericht bestellte aufgrund eines Kritikersturmes danach eine zweite rechtspsychiatrische Untersuchung. Sie bescheinigte dem Täter im Frühjahr, er sei zurechnungsfähig. Psychiatrieprofessor Ulrik Fredrik Malt hingegen attestiert dem Massenmörder, am Asperger- und am Tourette-Syndrom zu leiden: "Das erste Kriterium, das für die Tourette-Diagnose erfüllt sein muss, ist, dass der Patient Ticks hat. Das kann ein unerwartetes Lächeln sein, das er nicht kontrollieren kann und das immer wieder an Stellen auftritt, wo es nicht hingehört."

Gutachterstreit sorgt für Verwirrung im Prozess

Es ist ein Kampf der gegensätzlichen Ansichten, der sich in diesen Tagen im Osloer Gerichtssaal verfolgen lässt. Während Professor Malt eine Autismusstörung ausgemacht hat, hält ihn ein Team aus Psychologen und Sozialarbeitern für schuldfähig. Die Experten hatten Breivik Anfang des Jahres drei Wochen im Gefängnis beobachtet. Der Psychiater Per Olav Naess diagnostizierte hingegen auch die tiefgreifende Entwicklungsstörung Asperger. Er untersuchte den Angeklagten als dieser vier Jahre alt war. Vor Gericht darf er jedoch nicht aussagen, das konnte die Verteidigung mit Hinweis auf die Schweigepflicht des Mediziners verhindern. Als Professor Malt diese Diagnosevermutung vorträgt, platzt dem Angeklagten der Kragen: "Das ist lächerlich. Dass ich das nicht kommentieren darf, wenn es im Fernsehen gesendet wird", ruft Behring Breivik dazwischen. Die Richterin stoppt ihn.

Hat Breivik beurteilt: Psychatrieprofessor Ulrik Malt (M.)Bild: Agnes Bührig
Das Ila Gefängnis - Norwegens einziges Gefängnis, das die Sicherheitsanforderung für Breiviks Inhaftierung erfülltBild: Kjetil Ree/Wikipedia

Eher in seinem Sinne ist hingegen die Aussage von Randi Rosenqvist. Die renommierte Forensikerin ist langjährige Vorsitzende der Rechtsmedizinischen Kommission. Diese prüft Gutachten von Rechtsmedizinern im Auftrag des Staates. Rosenqvist hält den Angeklagten nicht für psychotisch. Im Gefängnis Ila ist sie für die Beurteilung der Gefährlichkeit der Insassen zuständig. Breivik traf sie dort mehrfach. Dass zwei Gutachten zu einem Täter so unterschiedlich ausfallen können, sei ungewöhnlich, aber nicht verwunderlich, sagt Randi Rosenqvist: "Wenn man eine solche Untersuchung kurz nach Straftat macht, erhält man mehr Informationen darüber, wie der Zustand des Untersuchten zum Zeitpunkt der Tat war." Diese psychische Verfassung könne sich ein halbes Jahr später natürlich geändert haben. Das wäre eine Erklärung dafür, dass die Gutachterteams unterschiedliche klinische Eindrücke von Breivik erhalten haben. "Aber unabhängig davon geht es immer darum, wie die gemachten Aussagen von den Medizinern interpretiert werden."

Ende Juli soll das Urteil fallenBild: Agnes Bührig

Psychisch krank oder ein extremer Ideologe?

Breiviks Attentate seien das Ergebnis der Ideologie, die er vertritt. Es sei aber nicht mit Wahnvorstellungen zu erklären, die als Kriterium für Schizophrenie gelten. Diese Krankheit hatte das erste Gutachten dem Täter attestiert. Doch die genaue Diagnose sei in diesem Zusammenhang auch weniger relevant. Auch psychotische Täter könnten schließlich als zurechnungsfähig eingestuft werden. Es käme immer auf die Schwere der Erkrankung an. Zudem müsse man bedenken, dass es sich hier um einen sehr schwierigen Fall handle, sagt Rosenqvist: "In den 350 Gutachten, die in Norwegen pro Jahr erstellt werden, sind sich die Sachkundigen im Großen und Ganzen einig." Der Fall Breivik ist sehr ungewöhnlich. "Es ist schwer, die Symptome zu interpretieren, eine klinische Diagnose zu stellen und sie in ein juristisches Urteil zu übersetzen."

Erinnerung an die Toten des 22. Juli vor dem Amtsgericht OsloBild: Agnes Bührig
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