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Politik

Brexit auf der Zielgeraden?

Barbara Wesel
4. November 2018

Nach britischen Presseberichten sollen die Brexit-Verhandlungen kurz vor dem Abschluss stehen: Eine Zollunion "light" mit der EU könnte die irische Grenzfrage lösen. Aber London dementiert und Brüssel hält sich bedeckt.

UK Großbritannien l Brexit l Theresa May
Bild: Reuters/Y. Herman

Offiziell befinden sich die Brexit-Verhandlungen in Brüssel weiter im "Tunnel" - der selbst auferlegten Nachrichtensperre, die den Unterhändlern das Austesten von Vorschlägen erlauben soll, ohne dass jede Bewegung sofort in den Medien analysiert und von den Pro- und Anti-Brexit-Lagern in Großbritannien abgeschossen wird. Am Wochenende nun berichtete die "Times" von einem Durchbruch, der wohl auf ein geplantes Leck von britischer Seite hindeutet. Ganz Großbritannien werde vorübergehend nach dem Brexit weiter in einer Art reduzierter Zollunion mit der EU verbleiben, und damit die leidige Grenzfrage in Nordirland gelöst werden, erklärte die Zeitung. Ein Regierungssprecher in London dementierte umgehend einen solchen "Durchbruch" und EU-Vertreter in Brüssel wollten den Stand der Gespräche nicht kommentieren.

Der Brexit-Deal steht und fällt mit einer Lösung für die irische Grenzfrage Bild: picture-alliance/dpa/M. Smiejek

Ist eine Zollunion "light" die Lösung der irischen Grenzfrage?

Die letzte große Hürde vor dem Abschluss der Brexit-Verhandlungen ist nach wie vor die Frage, wie eine harte Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Region Nordirland vermieden werden kann. Bisher hatte die Regierung in London alle Versuche Brüssels strikt abgelehnt, eine sogenannte Rückversicherung einzubauen und Nordirland dafür näher an EU-Regeln zu binden. Nach dem Bericht der "Times" könnte nun ganz Großbritannien weiter in einer Art von Zollunion bleiben, die einerseits Kontrollen an der neuen EU-Außengrenze in Nordirland überflüssig machen und andererseits London eine gewisse Freiheiten für abweichende Regelungen einräumen würde.

Allerdings liegt hier der Teufel im Detail. Wenn es bei dieser Zollunion "light" eine Ausstiegsklausel geben sollte, weil Theresa May sonst ihre Brexiteers nicht mit ins Boot bekommt, dann stellt sich erneut die Frage nach einem "Backstop", also der Rückversicherung für die irische Grenzfrage, sprich weiterhin offene Grenzen. Denn schließlich ist nicht sicher, ob die zukünftige Beziehung mit Großbritannien, die am Ende erneuter mehrjähriger Verhandlungen stehen wird, das Problem tatsächlich dauerhaft lösen kann. Es ist offen, ob sie tatsächlich so nah an EU-Regeln bleiben wird, dass keine harte Grenze in Nordirland entstehen müsste.

Die Idee, dass nicht nur Nordirland sondern ganz Großbritannien vorübergehend, bis zur endgültigen Klärung des künftigen Verhältnisses, in einer Art Zollunion bleiben könnte, wurde bereits vor dem fehlgeschlagenen Oktober-Gipfel von der EU lanciert. Damit versucht Verhandlungsführer Michel Barnier die Schwierigkeit zu umgehen, dass die nordirische erzkonservative DUP jedes Abweichen der Regeln in Nordirland von denen im übrigen Großbritannien strikt ablehnt. Nach einem Besuch in Brüssel von DUP-Chefin Arlene Forster im Oktober schien diese Front eher noch härter geworden. Das Zugeständnis der EU-Seite könnte jetzt darin liegen, die vorübergehende Zollunion mit dem gesamten Königreich in die Scheidungs-Vereinbarung mit Großbritannien aufzunehmen und damit rechtlich bindend zu machen.

Kann May ihr Kabinett umstimmen?

Kann Theresa May die Brexiteers in ihrem Kabinett endlich überzeugen? Bild: AFP/Getty Images/D. Leal-Olivas

Noch vor zwei Wochen hatten die harten Brexit-Befürworter in Theresa May's Kabinett eine Zollunion-Lösung rundherum abgelehnt, weil damit eines der Ziele des Austritts unterminiert würde - die selbständige Handelspolitik. Und die Premierministerin musste angesichts neuer Umsturzdrohungen versprechen, sie würde sich nicht darauf einlassen. Noch ist nicht deutlich, was sich nach dem neuen Verhandlungsstand so grundlegend geändert haben könnte, um die Gegner zu überzeugen.

An diesem Dienstag bereits will die Premierministerin, so wird berichtet, ihr Kabinett über den Stand der Verhandlungen unterrichten und seine Zustimmung gewinnen. Mays Kritiker wittern bereits eine Mogelpackung: Der frühere Brexit-Minister David Davis forderte sie auf, die rechtliche Überprüfung des EU-Angebotes durch Regierungsjuristen zu veröffentlichen, um spätere Unklarheiten und unterschiedliche Auslegungen zu vermeiden.

Ist die Meldung in der Wochenendpresse also eine Art Versuchsballon, mit dem Theresa May testen will, wie die zerstrittenen Lager in ihrer Regierung auf die vorgeschlagene Lösung reagieren? Brexit-Minister Dominic Raab hatte schon vor ein paar Tagen die Erwartungen befeuert und von einer voraussichtlichen Einigung bis zum 21. November gesprochen. Danach könnte noch ganz knapp der Zeitplan eingehalten werden, der einen Sondergipfel in Brüssel Ende des Monats vorsieht, um den Ausstiegsvertrag zu besiegeln. Dann bliebe im Dezember gerade noch genug Zeit, um das britische Parlament vor der Weihnachtspause darüber abstimmen zu lassen. Über diesem engen Zeitplan hängt erkennbar die Drohung mit dem No-Deal, dem ungeordneten Austritt Ende März nächsten Jahres, mit der May ihre Kritiker versucht in Schach zu halten und ihre Zustimmung quasi zu erzwingen.

Hunderttausende hatten im Oktober in London für ein zweites Brexit-Referendum demonstriertBild: picture-alliance/ZUMAPRESS/Ray Tang

Skepsis in der Wirtschaft wächst

Am Wochenende unterschrieben rund 70 Wirtschaftsführer einen Aufruf für ein zweites Referendum. Noch in dieser Woche will eine Reihe von Unternehmen eine Gruppe zur Unterstützung der "People's Vote" gründen, um die Bewegung für eine zweite Brexit-Abstimmung zu stärken. Sie will den Wählern die Möglichkeit geben, das Verhandlungsergebnis für den EU-Ausstieg entweder zu akzeptieren oder für den Verbleib in der Europäischen Union zu stimmen. Im Oktober hatte eine Großdemonstration in London bis zu 700.000 Briten auf die Straße gebracht, die ein solches zweites Referendum verlangen.

Die Unternehmer begründen ihren Aufruf  jetzt damit, dass die Brexit-Befürworter ihre Versprechen nicht einhalten würden. "Der Geschäftswelt wurde zugesagt (…), dass es weiter reibungslosen Handel mit der EU geben würde und die Sicherheit über die künftigen Beziehungen, die wir für langfristige Investitionsentscheidungen brauchen." Stattdessen stehe man jetzt einem ungewissen oder sogar einem harten, zerstörerischen Brexit gegenüber. Die Wähler müssten also über die Frage anhand der konkreten Situation erneut entscheiden dürfen. Die britische Regierung lehnt allerdings seine zweite Abstimmung, die auch in der oppositionellen Labour-Partei viele Anhänger hat, weiter kategorisch ab.

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